
BMW E-Power-RoadsterProbefahrt mit neuem Elektro-Prototypen
Als BMW-Chefdesigner Edgar Heinrich im Sommer vergangenen Jahres im Rahmen der Technologie-Präsentation #NEXTGen in München die optisch radikale Studie des „Vision DC Roadster“ Elektromotorrades der Öffentlichkeit vorstellte, schien die elektrifizierte Zukunft bei BMW beinahe schon zum Greifen nahe. Die optische Hommage an den Boxer-Zweizylinder mit Duolever-Gabel, offener Kardanwelle, tiefer Front und hohem Heck wurde in der Fachpresse als klares Bekenntnis der Bayern gewertet, dass man in Sachen E-Motorrad ernst machen wolle. Doch zu früh gefreut. Wenige Monate später, Ende November 2019, lädt BMW in das fünf Quadratkilometer große, firmeneigene Testzentrum nach Miramas an der Cote d’Azur zu einer exklusiven Testfahrt mit einem neuen Elektromotorrad-Prototypen.
Was uns dort auf dem Parkplatz erwartet, hat jedoch mit der Vision DC Roadster ungefähr so viel Ähnlichkeit wie Frankensteins Monster mit Megan Fox: die Frontmaske des 300 Kilo schweren Prototyp entstammt einer S 1000 R, die Einarmschwinge einer R 1200 R. Das Cockpit kennen wir bereits aus dem C evolution E-Scooter, das Plastikheck weckt Erinnerungen an die HP2 Sport und der rustikale Stahl-Gitterrohrrahmen ist offensichtlich ein rustikales Einzelstück, das einen wuchtigen Batterieblock mit 13 kWh Kapazität in die Zange nimmt. Ganz klar: ein serienreifes Fahrzeug sieht anders aus.
Auch die knapp dreiminütige Probefahrt bringt vorerst keine Erleuchtung: Wir beschleunigen ein paar Mal aus dem Stand auf Tempo 170, bei 12.000 Touren riegelt der Antrieb sanft ab – laut BMW wäre das Triebwerk bereits bis 14.000 Touren drehzahlfest, dann sind maximal 200 km/h möglich. Zwar ist der vehemente, gleichmäßige Vorwärtsdrang des Strom-Aggregats beeindruckend, die Fahrdynamik des BMW-Elektroantriebs ist dennoch keineswegs einzigartig. Sie ist in der Praxis jener einer Zero SR/F oder der Harley-Davidson LiveWire zum Verwechseln ähnlich. In Sachen Fahrwerk und Handling wirkt der BMW-Prototyp obendrein recht hemdsärmelig. Ein wenig ratlos bitten wir Florian Traub von „BMW Predevelopment E-Mobility“ zum Gespräch. Hinken die Bayern dem Trend zum Elektromotorrad überraschenderweise meilenweit hinterher?
Was hat es mit diesem Prototyp auf sich? Ehrlich gesagt haben wir eine Weiterentwicklung des Vision DC Roadsters erwartet. Tatsächlich testet BMW aktuell noch gar keine konkreten Fahrzeuge, wir erproben im Moment einfach neue Konzepte. Mit diesem Prototyp wollen wir ausschließlich das Gefühl eines elektrischen Antriebes erlebbar machen. Mit dem Vision DC Roadster haben die Designer gezeigt wie ein elektrisches Motorrad von BMW aussehen könnte, heute geben wir Techniker einen ersten Eindruck wie es fahren könnte. Die Zusammenführung dieser beiden Projekte wird aber noch einige Jahre dauern. Generell wird BMW elektrische Mobilität zuerst für den urbanen Raum offerieren, weil das dort einfach mehr Sinn macht. Es wird also das Segment um den C evolution Scooter erweitert. Daran arbeiten wir bereits. Erst im nächsten Schritt werden wir uns auf Motorräder fokussieren.
Wieviel C evolution Scooter steckt in diesem Motorrad-Prototypen? Außer dem TFT-Cockpitinstrument absolut gar nichts. Die Technik des C evolution ist mittlerweile absolut „oldschool“. Seine Akkus stammen aus dem Pkw i3 und sind technisch überholt – bei neuen Autos setzten wir nun auf die „Generation-5-Akkupacks“, die deutlich kleiner sind und schneller geladen werden. Auch in Sachen C evolution arbeiten wir ja bereits an einem Nachfolger.
Wieso arbeitet man nicht auch mit Hochdruck an einem Elektromotorrad? Weil aus unserer Sicht die Zeit für elektrische Motorräder einfach noch nicht gekommen ist. Mit diesem Protoyp wollen wir nur zeigen, dass wir könnten, wenn wir wollten. Aber wir halten den Markt nicht reif dafür. Sobald sich das irgendwann ändert, bringen wir garantiert auch ein entsprechendes Fahrzeug in den Handel. In jenen Segmenten, in denen die Chinesen derzeit zahlreiche urbane E-Bikes auf den Markt bringen, können wir jedenfalls kein Geld verdienen. Das ist alles eine Frage der Stückzahlen und der resultierenden Kostensituation. Die teure Elektro-Entwicklung rechnet sich bei niedrigen Verkaufszahlen einfach nicht.
Die Chassis-Abstimmung des Prototyps wirkt noch ein wenig hölzern ... Die Fahrwerksabstimmung ist trotz des hohen Gewichts und der unkonventionellen Bauweise eigentlich kein großes Problem. Klar muss man die Abstimmung straffer machen, die Radlastverteilung ist bei unserem Prototyp jetzt schon 50:50. Man könnte für einen niedrigen Schwerpunkt übrigens auch den Motor oben und den Akku unten montieren – ob das gut fährt, wissen wir aber noch nicht. Wir werden es jedoch bestimmt noch ausprobieren. Eine Lösung mit Kupplung und Getriebe denken wir übrigens nicht an – das macht technisch überhaupt keinen Sinn.
Welche Akkukapazität hält BMW bei einem E-Motorrad für ausreichend? Harley-Davidson spart bei der LiveWire zum Beispiel an der nur 15 kWh kleinen Batterie, wie auch Zero mit nur 12 kWh. Wir werden später dank Technologieentwicklung über 20 kWh einbauen, bei gleicher Akkugröße und ähnlichem -gewicht wie hier beim Prototyp. Wir wollen zukünftig außerdem mit 40 bis 50 kW laden und damit 80 Prozent Ladezustand in nur einer halben Stunde erreichen. Die Ladegeschwindigkeit wird also 6 Kilometer pro Minute betragen, das bedeutet 180 Kilometer Reichweite nach 30 Minuten an der CCS-Ladesäule („Combined Charging System“). Kompatible Schnellladestationen sind derzeit überwiegend entlang der Autobahn und in der Stadt verfügbar – auf den typischen Motorrad-Ausflugsstrecken gibt es nahezu keine Versorgung. Auch dieser Grund hat uns dazu bewogen das Thema Elektro-Motorrad vorerst hintenanzustellen.
Wie könnte man sonst die Reichweite effizient erhöhen? Der Hauptfaktor bei der Reichweite eines E-Motorrades ist der Luftwiderstand. Er wächst potenziell zur Fahrgeschwindigkeit. Die einfache Lösung: eine aerodynamische Vollverkleidung anbauen, dann kommt man bei gleichem Energieverbrauch deutlich weiter. Als Ingenieur ist mir daher unerklärlich weshalb aktuelle E-Motorräder großteils Naked Bikes sind.
Werden neue Akkutechnologien dem E-Antrieb in naher Zukunft Flügel verleihen? Ziemlich sicher ist: Wir werden auch in den nächsten 30 Jahren nicht mit dem Elektro-Motorrad in einem Rutsch nach Barcelona auf Urlaub fahren können. Die letzten zehn Jahre hat sich die Akkukapazität zirka verdoppelt, in den nächsten fünf Jahren können wir mit weiteren 20 bis 30 Prozent rechnen. Danach warten wir noch auf die sogenannten Festkörperakkumulatoren, in denen der flüssige Elektrolyt quasi durch eine Kunststoff-Folie ersetzt wird. Mit diesen „all solid state“ Batterien ist nochmals eine Verdoppelung drin. Dann ist in Sachen Stromspeicher alles erreicht was die Wissenschaft bis heute kennt. „All solid state“ soll übrigens in zehn Jahren serienreif sein. Das habe ich allerdings auch schon vor zehn Jahren gehört.
Welche Lebensdauer hätte das Elektro-Motorrad der Zukunft? Wir kalkulieren mit rund tausend Ladezyklen à 200 Kilometer – also insgesamt 200.000 Kilometer Motorrad-Lebenszeit. Mehr schafft ein Verbrenner auch nicht.
Was wird die treibende Kraft hinter der langfristig absehbaren Umstellung auf E-Fahrzeuge sein? Hauptfaktoren für die Umstellung auf Elektroantrieb sind die Kosten für das Fahrzeug und den gefahrenen Kilometer. Sobald ein zurückgelegter Kilometer mit dem E-Auto nur einen Zehntel Cent billiger ist, stellen garantiert alle Fuhrparks auf Elektro um – einschließlich der Paketdienste und so weiter. Dann starten endlich die Skaleneffekte, damit wir als Hersteller attraktive Verkaufspreise anbieten können. Unterm Strich muss also erst der E-Pkw den Weg für die E-Zweiräder bereiten – sowohl bei der notwendigen Infrastruktur als auch bei den kostengünstigeren Komponenten. Natürlich werden außerdem auch regulatorische Eingriffe wie Streckensperrungen für Verbrennerfahrzeuge, der Benzinpreis und diverse Steuern in Zukunft dem Fortschreiten der E-Mobilität zuträglich sein.