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Peter Schönlaub
Autor: Peter Schönlaub
peter.schoenlaub@motorrad-magazin.at
27.3.2023

Ducati Multistrada V4 Rally: Erster TestSauteuer – aber wirkt sie auch?

Wir waren mehr als gespannt und – wir geben es gerne zu – vor der ersten Ausfahrt auch ein wenig skeptisch. Denn ob der Zusatz Rally wirklich verdient ist, das durfte man im Vorfeld ruhig bezweifeln: 17 zusätzliche Kilo und ein deutlich höherer Schwerpunkt als beim Basismodell sind schließlich nicht dazu geeignet, das Bike speziell im Unwegsamen zu verorten, wo gerade diese Kriterien kontraproduktiv sind.

Doch wir wurden geläutert, und zwar nachhaltig, denn dieses Bike ist tatsächlich eine veritable Überraschung.

Wir zählen hier nicht noch einmal alle Änderungen und Abweichungen zu V4/V4 S auf, wer sie im Detail erklärt haben will, findet die Beschreibung hier. Nur so viel: Die wichtigsten Änderungen betreffen den von 22 auf 30 Liter vergrößerten Tank, die auf 200 Millimeter vorne und hinten verlängerten Federwege, den größeren Windschild und mehr Platz für einen Passagier dank nach hinten verlegten Koffern und Befestigungspunkten für das optionale Topcase. Neue, leichtere Speichenräder und ein Hauptständer sind außerdem serienmäßig.

Zusätzlich hat Ducati auch noch viel Feinschliff betrieben, sowohl beim Motor als auch beim Quickshifter und letztlich ebenso bei der Elektronik. Vieles davon wird auch beim nächsten Modelljahr an der normalen Multistrada V4/V4 S zu finden sein, mit Produtkionsstart im Sommer ’23.

Also hinauf auf die Multistrada V4 Rally, wo unsere Erwartungen noch erfüllt werden. Die um 30 Millimeter gestiegene Sitzhöhe ist tatsächlich beträchtlich, die untere Sitzposition liegt nun auf 870 Millimeter. Im Zusammenspiel mit dem breiten Sattel war es für ihren Autor mit 1,80 Meter Körpergröße schon nicht mehr möglich, beide Fersen am Boden abzustellen. Nichts für deutlich kleinere Fahrerinnen und Fahrer also. Es gibt freilich die Möglichkeit, einen tieferen und einen ultratiefen Sattel aus dem Zubehörprogramm zu kaufen (und einen noch höheren!).

Die restliche Ergonomie passt aber, der Knieschluss ist kaum breiter als beim normalen Modell, der Tank zwar etwas mächtiger, aber nicht extrem ausgeufert, der Lenker liegt perfekt in der Hand. Der Tank ist nun übrigens tatsächlich ein Alu-Spritfass, im Gegensatz zur normalen V4/V4 S, die ja einen Kunststofftank mit Plastikabdeckung besitzt. Das Handy-Staufach wanderte von dessen Oberseite in den Rand der Verkleidung, wo nun auch (endlich!) für eine Luftkühlung per Ventilator gesorgt ist.

Die ersten Meter, schon erwacht das Multi-Feeling, erweckt durch den sensationellen Granturismo V4. Er wurde ebenfalls überarbeitet, ist nun minimal schwächer (121 statt 125 Newtonmeter), soll dafür aber ein wenig sparsamer geworden sein. Dies vor allem, weil nun die hinteren Zylinder auch bei speziellen Fahrzuständen abgeschaltet werden (bislang nur am Stand). Ist man im zweiten bis sechsten Gang unter 4000 Umdrehungen unterwegs und legt nur wenig Gas an, dann wird die hintere Zylinderbank in Pension geschickt. Kommt man über 4000 Umdrehungen oder dreht den Gasgriff stärker auf, dann schalten sich die Zylinder in 0,02 Sekunden wieder zu.

Wir waren natürlich neugierig, ob man diesen Effekt spürt, ähnlich wie seinerzeit bei Hondas VTEC. Die Antwort: nein. Das Ab- und Zuschalten läuft so geschmeidig ab, dass wir tatsächlich nichts gemerkt haben.

Die nächste positive Erfahrung: Der Quickshifter arbeitet nun nochmals besser, speziell im unteren Drehzahlbereich. Mit dieser Überarbeitung zählt der Quickshifter nun tatsächlich zu den allerbesten am Markt, und er trägt dazu bei, dass die Multi insgesamt noch eleganter fährt. Ein Gedicht!

Nun zur Frage, ob man das zusätzliche Gewicht und den höheren Schwerpunkt spürt. Die Antwort lautet hier: Ja, natürlich, aber nicht in einem Maß, das den Fahrspaß verdirbt. Wir waren bei unseren Testfahrten mit den Seitenkoffern und den großen, seitlichen Sturzbügeln unterwegs, außerdem mit Pirelli Scorpion Rally STR. (Serienmäßig sind Scorpion Trail II montiert, also deutlich straßenfokussierteres Material.) Trotzdem zeigte sich die Multistrada V4 Rally extrem agil, verzögerte punktgenau und bliebt in den schnellen Kurven schön stabil. Klar: die Leichtigkeit und Schärfe des Basismodells kann sie nicht erreichen, aber für ein Bike dieser Größe und dieses Gewichts ist die Performance atemberaubend.

Die große Stunde der Multistrada V4 Rally schlägt dann natürlich beim Thema Komfort. Der Windschutz ist noch einmal besser geworden, bei meiner Größe reicht bereits die untere Position des Schilds. Verwirbelungen sind ebenfalls nicht zu beobachten. Und dann schwebt man auf dem ebenfalls weiterentwickelten Skyhook-Fahrwerk wie auf einer Wolke, selbst über gröbere Absätze oder wenn man einmal ein Schlagloch übersehen hat – Chapeau! Dazu sollen Kleinigkeiten das Leben weiter verbessern: zwei neue Hitzeschilder und eine verstellbare Klappe bei den unteren Winglets: Sie sollen entweder die Beine und Füße des Fahrers mit Frischluft versorgen oder – in geschlossenem Zustand – bei kälteren Bedingungen die Motorwärme in diesem Bereich halten.

Zusätzlich hat Ducati – wie schon erwähnt – auch das Thema Soziuskomfort in den Fokus genommen. Neben dem erwähnten gewachsenen Freiraum wurde auch der Sitz selbst überarbeitet, zusätzlich findet man im Zubehörprogramm auch einen niedrigeren und einen höheren (noch besser gepolsterten) Sitz für den Passagier. Zudem wurde der Verstellbereich der hinteren Federvorspannung um 50 Prozent erweitert. Dieser Einstellung kann man nun außerdem auch automatisch vornehmen lassen: dank der Funktion Auto-Levelling, die die Zuladung erfasst und die Vorspannung selbsttätig justiert.

Im Lauf unserer Testfahrt sind wir letztlich auch noch ein gutes Stück Offroad unterwegs gewesen; keine schweren Etappen natürlich, aber in gewissen Bereichen doch auch anspruchsvoll für ein Bike dieser Größe: ausgewaschene Fahrwege mit teilweise derbem Gestein, rollendem Schotter und engen Kehren. Auch hier war es erstaunlich, wie gut die Multistrada V4 Rally ihr hohes Gewicht und den ebenso hohen Schwerpunkt kaschiert – und wie viel Vertrauen sie rasch vermittelt. Im überarbeiteten Enduro-Modus ist die Leistung nun auf 114 PS limitiert, das Ansprechverhalten des Motors aber knackig – falls man rasch Leistung braucht. Zudem ist das ABS hinten automatisch deaktiviert. Wer es generell ausschalten will, der muss tiefer ins Menü einsteigen, es ist aber möglich.

Unterm Strich: Natürlich ist die Multistrada V4 Rally kein dezidiertes Offroadbike, das man sich fürs Absolvieren von TETs oder ähnlichem zulegen würde. Sie ist viel eher ein Globetrotter, mit dem man auch Pisten aller Art und zwischenzeitlich auch einige schwierigere Fahrwege befahren kann – die richtige Bereifung vorausgesetzt. Für weite Reisen bringt sie außerdem einen enormen Komfort, viel Stauraum (117 Liter mit Topcase) und einen perfekten Soziusplatz mit. Bei alldem sorgt sie trotzdem für gewaltigen Fahrspaß auf verwinkelterem Geläuf, eine auf diese Art einmalige Spreizung.

Zwei Kritikpunkte bleiben am Ende dennoch. Auch wenn Ducati am Verbrauch gearbeitet hat (WMTC nun 6,6 l/100 km, CO2: 152 g/km) liegt die Multi immer noch am oberen Rand ihres Segments. Erst recht preislich, womit wir beim zweiten Kritikpunkt angelangt sind. Die Multistrada V4 Rally beginnt in Österreich bei 31.995 Euro, zwar bereits mit viel Ausstattung (Front- und Heckradar, elektronisches Fahrwerk, Quickshifter, volles Elektronik-Paket, Connectivity), aber noch ohne Heizgriffe! Wer diese will plus Sitzheizung und Seitenkoffer muss zur Radar Adventure greifen (34.595 Euro). Die Topversion Full Adventure kommt schließlich mit zusätzlichem Titan-Carbon-Akrapovic und Carbon-Kotflügel – um stolze 36.295 Euro. Die Auslieferungen der damit teuersten Serien-Reiseenduro der Welt starten in Kürze.

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