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Suzuki V-Strom 800 2024 im TestGünstiger, leichter – und lustiger?
Die V-Strom 800DE war Anfang dieser Saison eine der größten Überraschungen für uns; mit ihrem fantastischen, neuen Zweizylindermotor, dem superben Fahrwerk und ihrer sauberen Machart fand sie dann auch viele Freunde. Allerdings ist das hochbeinige, sehr auf Offroad-Einsatz zugeschnittene Adventurebike wohl auch einigen zu hoch und zu schwer gewesen. Für alle jene, die sich eine niedrigere, günstigere, rundum alltagstauglichere Variante wünschen, schießt Suzuki daher nun eine zweite Version nach, die ohne zusätzliches Kürzel auskommt: die V-Strom 800.
Diese seltsame Strategie der Namensgebung legt natürlich den – falschen – Schluss nahe, dass es sich um ein Einstiegsmodell in die neue Klasse handelt. Dafür spricht ja auch der Preis, der in Österreich um satte 1300 Euro günstiger ist: 11.490 Euro kostet die V-Strom 800. Aber ein Einstiegsmodell ist sie dennoch nicht. Klar, manche Komponenten wie etwa Gabel oder Federbein sind simpler ausgelegt, manche Komponenten fehlen, aber andere Bereiche wie die Bremsen sind dafür deutlich hochwertiger ausgeführt.
Die wichtigsten Änderungen haben wir euch bereits hier präsentiert, daher nur noch einmal ein kurzer Überblick, worin die Unterschiede zur bekannten DE-Version bestehen:
• Das Vorderrad wechselt von 21 auf 19 Zoll, die Räder von Speichen auf Alu-Guss. Die Reifen sind straßenaffine Dunlop 614.
• Die Federwege schrumpfen von 220 auf 150 Millimeter, jeweils vorne und hinten. Die Gabel ist nur in der Vorspannung, das Federbein in Vorspannung und Zugstufe verstellbar.
• Damit sinkt die Sitzhöhe um 30 auf 825 Millimeter; die Bodenfreiheit schrumpft um 35 auf 185 Millimeter.
• Die Bremsen legen vorne zu, besitzen bei der V-Strom radial montierte 4-Kolben-Sättel mit entsprechend leistungsfähigerem Hauptbremszylinder.
• Die Ergonomie wurde modifiziert, der Alulenker ist etwas schmäler, tiefer angesetzt und rückt ein Stück nach vorne. Die Fußrasten – jetzt aus Alu – wandern leicht hinauf und nach hinten.
• Der Sattel ist neu und deutlich besser gepolstert.
• Der Windschild ist größer (bisher schon eine Option bei der DE). Eine noch größere Tourenscheibe ist über das Zubehörprogramm zu bekommen.
• Die Aluschwinge und der Stahl-Heckrahmen wurden ebenfalls leicht modifiziert. Der Radstand ist um 55 Millimeter kürzer.
• Handschützer, Motorschutzplatte und Kühlerschutz sind nicht serienmäßig verbaut. Die Traktionskontrolle besitzt keinen Offroad-Modus, das ABS lässt sich am Hinterrad nicht deaktivieren.
• Vorderradkotflügel und das Kunststoff-Endstück am Entenschnabel wurden neu gestaltet.
• Unterm Strich wiegt die V-Strom um sieben Kilo weniger als die DE-Version: 223 Kilo fahrfertig, also mit zu 90% gefülltem 20-Liter-Tank.
Schon bei der ersten Begegnung sieht man der V-Strom 800 ihre kompaktere Form an. Durch die deutlich reduzierten Federwege und das kleinere Vorderrad wirkt sie zierlicher und für viele wohl weit weniger einschüchternd als ihre DE-Schwester.
Das geringere Gewicht und der niedrigere Schwerpunkt machen sich dann auch beim Rangieren bemerkbar, während man beim ersten Platznehmen keine Defizite spürt. Die Sitzhaltung – wiewohl am Papier ein wenig sportlicher – fühlt sich immer noch sehr ausgewogen und harmonisch an, also langstreckentauglich. In diese Kategorie ordnen wir auch den Sattel ein, der sich im Lauf unseres Testtags über 200 Kilometer als extrem angenehm erwiesen hat.
Mit 825 Millimeter Sitzhöhe hat man naturgemäß einen deutlich sichereren Stand als bei der DE; wer sich hier noch immer nicht wohlfühlt, kann im Originalzubehör einen nochmals zwei Zentimeter niedrigeren Sattel ordern. Großgewachsene wiederum bekommen als Alternative ein drei Zentimeter höheres Sitzgestühl angeboten.
Das erste Anfahren erinnert natürlich sofort an die DE. Der Antrieb ist ja auch indentlisch, am herrlichen Zweizylindermotor gab’s keine Veränderungen. Von Suzuki bekannte Assistenten wie das Easy Start System oder der Low RPM Assist sind weiterhin an Bord, auch der sehr gut funktionierende Quickshifter (up/down). Die Traktionskontrolle besitzt wie das Ansprechverhalten des Motors drei Stufen, das ABS zwei. All das muss man separat einstellen, was aber dank der guten Bedienlogik kein Problem darstellt. Leider weiterhin verzichten muss man auf Connectivity und einen Tempomaten.
Dass es sich bei der neuen V-Strom 800 keineswegs um ein Einstiegsmodell handelt, das bemerkt man sofort nach den ersten Kilometern. Auch wenn die Gabel und das Federbein, beides von Showa, weniger Einstellmöglichkeiten besitzen – das Grund-Setup passt. Natürlich kann der Federungskomfort nicht so hoch sein wie bei der DE mit ihren ellenlangen Federwegen, aber auch die V-Strom 800 muss man noch immer als sehr komfortables Bike einstufen, das aber gleichzeitig, vor allem an der Front, ein wenig straffer ist. Das kommt einem beim harten Anbremsen zugute, wenn die Front deutlich weniger weit abtaucht.
Hartes Anbremsen: Ja, das geht auch, sehr gut sogar. Die Bremsen beißen ambitioniert zu, lassen sich aber fein dosieren. Auch die Hinterradbremse ist gut eingebunden und verursacht kein ungutes Ausschlagen des Hinterrads.
Das Federbein ist grundsätzlich etwas softer und zeigt bei sehr sportlicher Fahrweise ein ganz leichtes Nachschwingen. Eigentlich nicht störend, und möglicherweise durch ein Nachdrehen der Zugstufe in den Griff zu bekommen. Interessant: Die Techniker von Suzuki Frankreich haben für unsere erste Testfahrt die Vorspannung hinten (30 Klicks) fast völlig zugedreht. Wir konnten ein wenig experimentieren und mussten ihnen recht geben, zugedreht – also mit leicht erhöhtem Heck – war die V-Strom 800 noch agiler. Wie es da mit einem Passagier an Bord aussieht, diese Antwort müssen wir aber leider noch schuldig bleiben.
Was wir hingegen bestätigen können: Dass das Fahren mit der V-Strom 800 genauso leichtfüßig und unkompliziert wie unterhaltsam ist. Sie lenkt ganz geschmeidig ein, bleibt in Schräglage stabil, lässt sich auch durch Schlaglöcher oder Wurzelsasphalt nicht aus der Ruhe bringen. Damit wirkt sie unfassbar souverän und sprengt so klar die Grenzen ihrer Klasse.
Mit dem kürzeren Radstand, dem geringeren Gewicht und vor allem dem deutlich abgesenkten Schwerpunkt lässt sie sich ganz einfach auf engen Straßen wenden, im Stop-and-Go-Verkehr dirigieren und im Hooligan-Modus, wenn einmal der Hafer sticht, präzise durchs Geläuf torpedieren.
Alles fein und perfekt? Fast. Nicht ganz zufrieden sind wir mit der Abstimmung der Aerodynamik, denn der doch ziemlich große Windschild wird seinem Eindruck nicht gerecht, sondern erzeugt im Helmbereich Turbulenzen. Sie treten schon deutlich unter dem bei uns erlaubten Autobahntempo auf, dort natürlich erst recht. Man müsste also wohl doch Tourenscheibe ausprobieren. Wobei: etwas kleinere Kollegen hatten diese Probleme nicht, es hängt also auch von der Körpergröße ab.
So stellt sich am Ende die Frage: Ist die V-Strom 800 die bessere Wahl? Klare Antwort: Ja, zumindest für all jene, die ihr Heil nicht nicht im Unwegsamen suchen oder ganz besonders groß gewachsen sind. Alle anderen werden mit der V-Strom 800 sämtliche Meriten der DE genießen, vor allem den grandiosen Antrieb – und im Alltag noch einfacher zurechtkommen, außerdem auf flotten Asphaltetappen mehr Spaß haben.
Wir freuen uns schon auf das nächste Wiedersehen, wenn wir die V-Strom 800 ihrer Konkurrenz gegenüberstellen. Oder für eine Reisestory ausfassen, uns ist jeder Vorwand recht.