Leeren ›

Österreichs Plattform
Symbol, das darstellt, dass dieses Magazin 24h am Tag und 7 Tage die Woche verfügbar ist
für schräges Leben

Leseprobe gefällig?

Bitte, gerne! Einfach auf das Vorschaubild klicken und schon startet der Download.

Kiosk-Button
menu
Christoph Lentsch
Autor: Mag. (FH) Christoph Lentsch
christoph.lentsch@motorrad-magazin.at
20.4.2020

Achtung StreusplittSicherheit und Rechte

Manche werden sich noch erinnern: Früher gab es im österreichischen Winter Schnee nicht nur in den Bergen, sondern auch in Städten und im Flachland. Damit wenigstens Autofahrer trotzdem einigermaßen sicher unterwegs sein konnten, wurde die gesamte Wintersaison hindurch mit Splitt und Salz gearbeitet. Großstädte wie Wien waren oft schon im November durch staubende Schotterfahrbahnen gekennzeichnet, die für Motorradfahrer noch gefährlicher waren als für die Lungen der dort lebenden Menschen. Während in Wien mittlerweile kaum noch Splitt verwendet wird, ist er auf typischen Bergstrecken, zahlreichen Gemeindestraßen und in vielen Ortschaften oft bis in den April hinein vorzufinden.

Wenn Autos oft genug über eine schneefreie, aber mit Splitt bestreute Straße fahren, erzeugen die Reifen typischerweise vier Splittstreifen; links und rechts am Fahrbahnrand und je einen jeweils doppelt so großen gerade dort in der Mitte der Fahrspur, wo Motorräder laut Straßenverkehrsordnung fahren müssen. Dass das sogar für versierte Motocrosser keine gute Idee ist, steht außer Frage. Im Gegensatz zu echtem Gelände, wo ein Mix aus Erde, unterschiedlich großen Steinen und Schotter für brauchbare Traktion sorgt, ist die Reibung zwischen dem nicht verformbaren Asphalt, den kleinen Splittsteinen und den Reifen erheblich schlechter.

Bremsen, Beschleunigen und schon geringe Schräglagen bewirken ein abruptes Abreißen der Seitenführungskräfte und damit fast zwangsläufig einen Sturz. In Schräglage helfen auch ABS und Traktionskontrolle nicht, weil auch die Reibung korrekt abrollender Reifen auf Splitt zu gering ist, um der zur Kurvenaußenseite wirkenden Fliehkraft zu widerstehen.

Verstärkt wird das Problem durch das allmähliche Abfahren der scharfen Kanten der Streusplittsteine. Diese Kanten sind dafür verantwortlich, dass bei Schnee oder einer ausreichend dicken Eisschicht die Reibung zwischen Reifen und Fahrbahn deutlich verbessert wird – was ja Sinn und Zweck der winterlichen Splittstreuung ist. Aber sobald einige Hundert Autos darüber gefahren sind, verwandelt sich der Splitt in kleine kugelförmige Steinchen, die eher die Funktion eines Kugellagers haben und damit genau das Gegenteil dessen bewirken, wozu sie ursprünglich ausgestreut worden sind.

Man kann also nicht darauf hoffen, dass einmal gestreuter Splitt nach dem Abtauen der Schneefahrbahn seine Funktion auch noch beim nächsten Schneefall erfüllt. Stattdessen muss er inklusive dem durch das Zermahlen der Steine entstandenen Staub eingekehrt und entsorgt werden. Denn erstens befindet er sich dann nicht mehr gleichmäßig verteilt auf der ganzen Fahrbahn und zweitens kann er ohne seine Kanten nicht mehr die erforderliche Funktion erfüllen. Noch verheerender ist die Wirkung von altem Streusplitt während der schneefreien Zeit, wo er in jedem Fall für mehr Schaden sorgt, als er auf einer Schneefahrbahn an Nutzen bringt. Das reicht bis zu seinem Beitrag zur Feinstaubbelastung der Luft und diversen Schäden infolge von Steinschlag.

Die von Streusplitt ausgehenden Gefahren betreffen also bei weitem nicht nur Motorradfahrer. Auch Autos und Lkw sind von den kleinen Steinkugeln auf der Straße betroffen, wenn kein Schnee mehr liegt. Sie erzielen dadurch wesentlich längere Bremswege als auf sauberem Asphalt und können in Kurven ins Schleudern kommen.

Wir haben diesen Effekt selbst nachgemessen, indem wir mit einem Auto die Bremswege von 80 auf 0 km/h mit allen vier Rädern zuerst auf den Splittstreifen und dann auf dem splittfreien – aber immer noch verstaubten – Bereich direkt daneben verglichen haben. Auf dem Splitt verlängert sich der Bremsweg von 33 auf 71 Meter. Während ein Auto bei einer Bremsung aus 80 km/h auf dem Asphaltstück schon steht, rauscht ein mit gleicher Geschwindigkeit auf dem Splittstreifen bremsendes mit einer Restgeschwindigkeit von 56 km/h an ihm vorbei – wenn es nicht zu einer Kollision kommt.

Splitt und Schotter sind leider nicht nur in der kalten Jahreszeit ein Thema. Noch immer werden Bankette zwecks besserer Wasserableitung geschottert. Fährt beispielsweise ein Bus oder Lkw in einer Kurve aufgrund seiner Fahrzeugbreite versehentlich auf das Bankett, gelangt dieser Schotter auf die Fahrbahn, wo er von den nachkommenden Autos mit der Zeit genau in die Mitte des Fahrstreifens geschaufelt wird.

Besonders gefährlich ist das, weil die kleinen Steine durch ihre Farbe nicht leicht zu erkennen sind und meistens dort liegen, wo ein Motorrad beim Durchfahren der Kurve die größte Schräglage einnimmt. In Rechtskurven finden sich solche Stellen noch häufiger. Dabei gibt es durchaus Alternativen für die Befestigung von Banketten, die zwar aufwändiger und teurer, dafür aber nachhaltiger und ganz erheblich sicherer für den Straßenverkehr sind. Möglichst häufige und konsequente Anzeigen derartiger Gefahrenstellen bei der Polizei sind ein effektives Mittel, um die zuständigen Straßenerhalter zu einem Umdenken zu bewegen.

WAS TUN BEI SPLITT?

Grundsätzlich bewirkt Streusplitt auf Asphalt oder Beton eine drastische Reduktion der von den Reifen auf den Untergrund übertragbaren Kräfte. In Fahrzuständen, bei denen nur geringe Kräfte übertragen werden, ist die Gefahr am geringsten. Wenn der Kontakt mit einem Splittstreifen unvermeidlich ist, fährt man daher am besten geradeaus mit gleichbleibender Geschwindigkeit darüber. Bremsen auf dem Splitt sollte unbedingt vermieden werden. In Schräglage sollte man dem Splitt auf jeden Fall ausweichen, indem man die gefahrene Linie rechtzeitig zum Beispiel durch Bremsen und teilweises Aufrichten des Motorrads ändert. Wenn man die Wahl hat, befährt man den Splitt besser mit dem Hinterrad als mit dem Vorderrad. Ein sehr schmaler Splittstreifen kann theoretisch auch in Kurven sturzfrei überfahren werden, wenn die Geschwindigkeit nicht zu hoch ist. Allerdings ist anschließend ein Highsider wahrscheinlich, wenn die Räder nach dem Rutschvorgang plötzlich wieder Grip haben. Generell sollte man natürlich vorausschauend fahren, also so, dass man vor einem Splittstreifen rechtzeitig abbremsen kann. Da der Splitt die gleiche Farbe wie die Straße hat, ist das in der Praxis aber leichter gesagt als getan.

RECHTLICHE MÖGLICHKEITEN

Wer aufgrund von Splittstreuung einen Verkehrsunfall erleidet, sollte sich auf jeden Fall eine Rechtsberatung gönnen. Eine gute Möglichkeit ist der Mobilitätsrechtsschutz im Rahmen der Rechtsschutzversicherung des ÖAMTC, bei dem man auch Motorradunfälle inkludieren lassen kann. Der Erfolg von Schadenersatzansprüchen hängt allerdings von vielen Faktoren ab. Auf jeden Fall muss ein tatsächlicher Schaden entstanden sein. Die bloße Gefährdung bewirkt auf privatrechtlichem Weg keinen Anspruch auf Schadenersatz. Hat ein Straßenerhalter allerdings grob fahrlässig gehandelt, kann er dafür strafrechtlich verantwortlich gemacht werden. Etwa wenn auf entsprechende Gefahrenstellen nicht mit geeigneten Verkehrszeichen aufmerksam gemacht wird, obwohl dort aufgrund der Wettersituation nicht mit Splitt zu rechnen ist. Auch wenn die Polizei oder der Straßenerhalter nachweislich mehrfach über eine Gefahrenstelle informiert wurden und diese dennoch nicht beseitigt wird, wäre das grob fahrlässig. Wenn man als engagierter Motorradfahrer wirklich etwas ändern will, erstattet man am besten sofort bei der nächsten Wachstube Anzeige, wenn man einen nicht geräumten Splittstreifen sieht. Idealerweise gleich mit einem Handyfoto inklusive Geo-Tagging. Je öfter man das macht und je flächendeckender es passiert, um so größer wird der Druck gegenüber den Straßenerhaltern, diese Gefahrenstellen zu beseitigen.

Text und Bilder: Markus Reithofer

Mehr zum Thema:

:

Leseprobe gefällig?

Bitte, gerne! Einfach auf das Vorschaubild klicken und schon startet der Download.