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Clemens Kopecky
Autor: Clemens Kopecky
22.3.2017

Fahrwerks- SetupHaftverlängerung

Sündteure Racingauspuffanlage, Karbon-Räder, Leichtlaufketten – um die Potenz des zweirädrigen Untersatzes zu steigern, wird nicht selten tief ins Portemonnaie gegriffen. Dabei sind die wichtigsten Dinge im Leben bekanntlich ohnehin gratis – sogar beim Motorradfahren. Das mit Abstand größte Serien-Tuningpotential ist in der feinfühligen Abstimmung der Fahrwerkskomponenten verborgen, und wird hier gleichzeitig oft verschenkt – dabei kompensiert ein perfektes Setup bei der Jagd nach persönlichen Rundenrekorden problemlos das ein oder andere fehlende PS.

Steife Chassis, extrem haftfähige Reifen und vor wenigen Jahren noch unvorstellbare Motorleistungen schrauben die Anforderungen an moderne Fahrwerke in neue Dimensionen. Um die ganze Bandbreite an Abstimmungsmöglichkeiten abrufen zu können, implantieren immer mehr Hersteller ihren Sportmotorrädern voll einstellbare Federungskomponenten – deren Schrauben vom Großteil der Piloten aus Angst vor Verschlechterungen gegenüber dem Basis-Setup oder einfach aus Unwissenheit unangetastet bleiben.

Andere vertrauen auf den Leitspruch „hart ist sportlich“ und drehen die Einstellschrauben bis auf Anschlag nach Rechts. Ein fataler Trugschluss, vor dem Tuning-Experte und YART-Techniker Josef „Sepp“ Unger ausdrücklich warnt: „Wenn es so wäre, könnte man viel Geld bei den Entwicklungsabteilungen einsparen und einfach starre Rahmen verbauen. Aus einer zu harten Abstimmung resultieren schlechte Traktion und fehlende Stabilität in Schräglage – das bedeutet eher früher als später einen Sturz. Aber kein Wunder – Hobbymotorradfahrer sind mit den vielfachen Verstellmöglichkeiten ihres Fahrwerks oft überfordert. Bei all den rätselhaften Schrauben scheint dann ein simpler Ausweg eben verlockend.“

Mit Hilfe von Moto-Profi Unger hat das Motorradmagazin eine Anleitung für ein optimales Fahrwerks-Grundsetup zusammengestellt. Das anschließende Feintuning hängt stark vom persönlichen Fahrstil und den Vorlieben ab und kann daher nur live an der Rennstrecke erfolgen. „Einen guten Spürsinn für Fahrwerkseinstellung zu entwickeln, dauert meist viele Jahre. Vor Ort am Ring finden sich aber immer erfahrene Piloten, die man um Rat fragen kann – alleine kommt man bei der Feinjustierung manchmal nicht weit. Eine passable Grundabstimmung ist dagegen kein Mirakel, und da kann man sich ruhig drübertrauen.“ Irgendwo muss man schließlich anfangen.

Das Motorrad muss mit beiden Rädern auf waagrechtem, ebenen Boden stehen. Montageständer würden die Radlastverteilung verfälschen, am besten hält ein Assistent den zweirädrigen Patienten. Die Federelemente sollten bei Betriebstemperatur eingestellt werden, da kaltes Dämpferöl keine Rückschlüsse auf das Fahrwerksverhalten im Fahrbetrieb zulässt. Sepp Unger empfiehlt: „Am besten fährt man bei kühlen Außentemperaturen ein paar lockere Runden – an heißen Sommertagen ist das natürlich nicht so dramatisch. Außerdem sollte unbedingt mindestens einmal im Jahr ein Gabel- und Federbeinservice vom Fachbetrieb durchgeführt werden. Dämpferöl wird mehr belastet als Motoröl, ist extremen Temperaturschwankungen ausgesetzt und die mechanischen Belastungen werden nur von wenigen Millilitern Flüssigkeit abgeschwächt. Ein reiner Ölwechsel ist übrigens nicht ausreichend, der Metallabrieb sammelt sich zum Beispiel zwischen den Shims der Gabel – und dort bleibt er auch hartnäckig. Zu einem Jahresservice gehört die gewissenhafte Zerlegung und Reinigung aller Einzelteile der Fahrwerkskomponenten – eine nicht ungefährliche Arbeit nur für absolute Fachleute.“

Wichtigste und erste einzustellende Komponente beim Fahrwerkssetup ist der Negativfederweg, der maßgeblich die Geometrie des Motorrades beeinflusst und durch die Federvorspannung justiert wird. Er sorgt am Vorderrad für Bodenkontakt beim Beschleunigen und hält beim Bremsen das Hinterrad am Boden. Häufiger Irrtum: Die Härte einer Feder wird durch das Vorspannen nicht verändert – lässt sich der Negativfederweg zum Beispiel bei einem schweren Piloten nicht ausreichend adaptieren, muss auf eine andere Feder mit härterer Federrate (Einheit: Newton pro Millimeter) umgebaut werden.

Zu wenig Vorspannung lässt das Motorrad tief in der Federung hängen. Das Federbein gerät zu schnell in die Progression, die Gabel zu schnell auf Block. Die Maschine schlingert, reagiert unsensibel und büßt Bodenfreiheit ein. Bei zuviel Vorspannung dagegen heben die Reifen bei Straßenunebenheiten zu schnell ab, die Haftung geht verloren.

Voraussetzung für die Negativfederweg-Einstellung ist eine verspannungsfrei montierte und leicht ansprechende Gabel. „Gegebenenfalls beim Radeinbau erst die Achse selbst festschrauben, die Gabel ohne die Vorderradbremse zu betätigen am Boden ein paar Mal durchschaukeln und erst dann die Sicherungsschrauben an der Achse festziehen. Die Klemmung an der Gabelbrücke allerhöchstens mit 20 Newtonmetern anziehen, damit die Tauchrohre nicht gequetscht werden“, warnt Sepp Unger.

 

Durch Druck auf die Gabelbrücke lässt man das Motorrad ein- und wieder ausfedern. Ein Helfer misst nun die Standrohrlänge von Gabelfuß bis Tauchrohranfang. Dann wird die Gabel komplett entlastet, zum Beispiel durch Flaschenzug oder Lenkkopf-Montageheber und erneut gemessen. Die Differenz der beiden Messungen entspricht dem Negativfederweg. Er sollte bei Supersportlern zwischen 20 und 30 Millimeter betragen, bei längerem Gesamtfederweg (zum Beispiel bei einer Supermotard) rechnet man etwa 20 bis 25 Prozent des Gesamtfederwegs. Die Einstellung der Federvorspannung erfolgt an der großen Sechskantschraube oben am Gabelholm. Drehungen im Uhrzeigersinn verringern, gegen den Uhrzeigersinn erhöhen den Negativfederweg.

Am Heck im Prinzip dasselbe Prozedere: Man federt das Motorrad durch Druck auf die hintere Sitzbank langsam ein und lässt es bis in Ruheposition ausfedern. Dann kommt wieder das Maßband zum Einsatz: Die Entfernung der Radachse zu einem beliebigen Punkt am Heck wird notiert. Anschließend hebt man das Heck bis das Federbein komplett entlastet ist und misst wieder. Die Differenz ergibt den Negativfederweg, der bei Sportmotorrädern hinten zirka 10 bis 15 Millimeter ausmachen sollte, allgemein zirka 5 bis 15 Prozent des Gesamtfederwegs. Wer nicht über den Luxus einer hydraulischen Verstellung der Federvorspannung verfügt, sollte bei der Einstellung mit dem Hakenschlüssel an der Nutmutter des Federbeins vorsichtig sein – akute Abrutschgefahr!

Passt der Negativfederweg, ist der wichtigste – aber auch leichteste – Teil einer optimalen Fahrwerksabstimmung geschafft. Die richtige Einstellung der Dämpfung, die dem Nachschwingen der Federung entgegenwirkt, kann nicht an konkreten Zahlen festgemacht werden und hängt von Faktoren wie Rennstrecke, Reifen und individuellen Vorlieben ab. „Wichtig ist eine gute Balance zwischen Front und Heck. Als Ausgangsbasis für Dämpfungseinstellungen justiere ich Zug- und Druckstufe überall auf einen mittleren Wert. Dann drücke ich mit den Handballen abrupt auf den Tank. Wenn die Dämpfereinstellung für den Sporteinsatz ungefähr stimmt, federt das gesamte Motorrad harmonisch aus und stoppt am höchsten Punkt, ohne danach wieder nennenswert einzusinken oder nachzuschwingen“, beschreibt Sepp Unger die Fahrwerksprobe im Stand. „Wenn der ’Trockentest’ positiv ausfällt, heißt es raus auf die Rennstrecke. Nur in freier Wildbahn kann man der Abstimmung den letzten Schliff verpassen. Hier aber Schritt für Schritt vorgehen, und immer nur einen Faktor verändern. Bei serienmäßigen Fahrwerkskomponenten dürfen schon 3 bis 4 Klicks auf einmal verstellt werden, damit überhaupt ein spürbarer Effekt während des Fahrens zu erfühlen ist. Faustregel, zutreffend zum Beispiel für die Flaggschiffe der Öhlins-Produktpalette: Je teurer und hochwertiger das Fahrwerk, desto sensibler reagiert es auf kleinste Modifikationen.“

Die Druckstufe verlangsamt das Einfedern und verhindert so ein Springen der Räder, was den Fahrbahnkontakt verschlechtert. Die Einstellschraube findet man bei Serienfahrzeugen am unteren Ende der Gabelholme, hinten am oberen Dämpferauge oder am Ausgleichsbehälter des Federbeins. „Kabelbinder um das Standrohr und die Stange des Federbeins informieren nach Proberunden, wie viel Prozent des Federweges bei der jeweiligen Einstellung ausgenutzt wurden. Im Idealfall bleiben 5 bis höchstens 10 Millimeter Reserve, bevor die Fahrwerkskomponente auf Block geht. Bei den meisten modernen Motorrädern kann man das Durchschlagen im Gegensatz zu früher wegen der eingebauten hydraulischen Anschläge nicht mehr am Geräusch erkennen. Eine zu harte Druckstufe spürt man dagegen sofort: Der Federweg wird nicht verwendet, die Reifen rutschen, die Räder verlieren Bodenkontakt, das Motorrad reagiert unsensibel und neigt zum Lenkerschlagen“, schildert Unger die Tücken der Dämpfungseinstellung.

Die Zugstufe bremst das Ausfedern von Gabel und Federbein nach einer Kompression und verhindert das Nachschwingen beim Ausfedern. Ist sie zu weich, federt das Fahrwerk zu weit und schnell aus. Bei zu harter, langsamer Einstellung reagiert das Fahrzeug auf mehrere hintereinander folgende Bodenwellen bockig, die Fahrwerkskomponenten bleiben nach dem Einfedern „stecken“. Die Zugstufen-Einsteller findet man an beiden Holmen oben an den Gabelstopfen, oberhalb der Sechskantschrauben für die Federvorspannung. Die Heck-Einstellschraube befindet sich am unteren Auge des Federbeins.

Für die optimale Dämpfungsabstimmung braucht es Geduld, Experimentierfreudigkeit, ausgeprägten Spürsinn oder einen erfahrenen Berater. Bevor man überhaupt mit Versuchen am Fahrwerk startet, rät Unger: „Unbedingt die Klicks der werksseitigen Standard-Einstellung notieren – so kann man jederzeit zum Ausgangspunkt zurück.“ Hat man das Wunsch-Setup gefunden, bleibt es dennoch keine Lösung für die Ewigkeit. Werden Rundenzeiten und Fahrstil des Piloten besser, muss auch das Fahrwerk den gestiegenen Anforderungen angepasst werden. Sepp Unger motiviert sich trotzdem am kurzfristigen Erfolg: „Die Mühe rentiert sich auf jeden Fall. Schließlich fährt ein Motorrad nur so gut, wie es seine Fahrwerkseinstellung zulässt.“

Sportfahrwerke bieten mehr und mehr eine separat einstellbare High-Speed-Einstellung für besonders harte, schnelle Schläge ins Fahrwerk. Sepp Unger hält wenig von dieser Option: „Bei Standard-Dämpfern einfach das Werks-Setup unverändert lassen. Man merkt hier ohnehin keinen großen Unterschied. Eine optimale Abstimmung ist nur bei extrem hochwertigen Komponenten machbar. Eigentlich ist das Ganze eher ein Marketing-Gag.”


Für kompetente Beratung in Sachen Fahrwerk empfehlen wir auch:

www.haslacher.at - Bernd Haslacher

www.wiro-motorradtechnik.at - Robert Wilhelmer

www.pema-mt.at - Peter Gastinger

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