E-Fuels für MotorräderSauberer Saft
Text: Rudolf Skarics
Die Verbrennungskraftmaschine wird als einer der Hauptschuldigen am Anstieg des Kohlendioxid-Gehalts in der Atmosphäre geführt. So ist auch das Motorrad in das Zielfernrohr der Kritik geraten. Das Wesen des Motorrads ist ja tatsächlich, dass es rund um seine Antriebsquelle gebaut ist, dass es eigentlich sich selbst und seinem Bändiger genügt, dass es vor allem Freude an der Bewegung bereitet. Und ganz gewiss ist eines: Das Motorrad ist nicht systemrelevant. Verkehr und Transport funktionieren auch ohne Motorrad, das sieht man alleine schon, sobald es Winter wird und die Mehrzahl der Geräte in den Garagen bleibt – und ein halbes Jahre lang überhaupt kein CO2 ausstößt.
So wird das Motorrad im Kleinkrieg der Argumente oft übermäßig angegriffen, in den großen Strategien mitunter aber ganz übersehen. Dort, wo das Zweirad und auch das Dreirad im Dienste der Gesellschaft unterwegs sind, erscheint auch eine Umstellung auf Elektroantrieb möglich und sinnvoll, und zwar sogar sehr rasch. Man denke an die vielen City-Flitzer, vom Scooter bis zum Motorroller, die Menschen sehr umweltschonend von A nach B bringen, aber auch an den Logistik-Bereich wo elektrische Zwei- und Dreiräder aller Art immer mehr ernsthafte Transportaufgaben erfüllen. Das Motorrad als Freizeit- und Sportgerät ist dann schon schwieriger aus der Kohlenstofffalle zu befreien.
Die Anforderungen an Leistungsfähigkeit und Reichweite sind bei Touren- und Reisemotorrädern einfach zu hoch, um sie mit einem batterieelektrischen Antrieb in erquicklicher Weise zu erfüllen. Volumen und Gewicht der Batterien würden im Wortsinn jeden Rahmen sprengen. Um den Verbrennungsmotor weiterhin zu verwenden, werden genau an dieser Stelle häufig so genannte E-Fuels oder Synthetic Fuels genannt, flüssige Kraftstoffe regenerativen Ursprungs. Ihre Eigenschaften sind mit Benzin und Diesel fast identisch. E-Fuels werden idealerweise mit Hilfe von regenerativ hergestelltem Strom produziert. Das ist sehr aufwendig und damit teuer, aber es funktioniert. Dabei sind mehrere Arbeitsschritte notwendig. Zuerst muss Strom aus Wind- oder Sonnenkraft hergestellt werden. Durch Elektrolyse zerlegt man mit diesem Strom dann Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff. Der Wasserstoff wird in der Folge mit Kohlendioxid aus Industrieabgasen zu Methan (CH4) umgewandelt, also zu einem Gas, das auch Hauptbestandteil des fossilen Erdgases ist. Dieses Synthesegas wird dann noch verflüssigt, entweder zu Benzin- oder Dieselersatz. Alle diese Verfahrensschritte sind mittlerweile gut erprobt und vom technischen Ablauf her stabil.
Davon, riesige Mengen zu einem akzeptablen Preis herzustellen, ist man jedoch noch weit entfernt. Es gibt aber große Anstrengungen von Motorenherstellern und der Luftfahrtindustrie, aber auch den klassischen Mineralölkonzernen, E-Fuels in die Massenproduktion überzuführen. Davon könnte auch das Motorrad profitieren. In einem Gemeinschaftsprojekt mit Siemens Energy und weiteren Konsorten aus der fossilen Energiebranche betreibt Porsche das Projekt „Haru Oni“ in Chile. In einer Pilotanlage sollen bereits im kommenden Jahr 130.000 Liter E-Fuels hergestellt werden. Ziel ist es unter anderem, mit den Windrädern in Patagonien den weltweit günstigsten Wasserstoff zu erzeugen – und daraus eben auch E-Fuels. Porsche möchte damit einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung der bestehenden Fahrzeugflotten leisten, man könnte auch sagen, den 911er in die Zukunft retten.
Die Verwendung von E-Fuels in bestehenden Verbrennungsmotoren gilt jedenfalls nach einigen Adaptierungen als unproblematisch. Man nennt das rückwärtskompatibel. In Norwegen werden von „Norsk E-Fuel“ bereits in der ersten industriellen Anlage jährlich zehn Millionen Liter Kerosin für die Luftfahrt aus grünem Strom hergestellt. Auf die Luftfahrt als Leitbranche setzen alle Beteiligten große Hoffnungen, die E-Fuels als Ausweg aus der Kohlenstofffalle sehen. Dort kann durch Beimischung zum Kerosin der Anteil an CO2-neutralem Kraftstoff sukzessive erhöht werden. Durch Konkurrenzdruck und Skaleneffekte glaubt man auch, den Preis rasch senken zu können. Als weitere Einsatzbereiche sieht man die Schifffahrt aber auch die Eisenbahn, die ja nur in Europa zum überwiegenden Teil elektrifiziert ist, sonst aber mit Diesel fährt. Die Chancen für das Überleben des Motorrads im gewohnten und geliebten Sinn steigen vor allem mit Erfolgen von E-Fuels in anderen im Absatzvolumen viel bedeutenderen Branchen.
In Österreich wurde erst Anfang November die eFuel-Alliance Austria als Teil einer europaweiten eFuel-Initiative gegründet. 1,4 Millionen Fahrzeuge, 27.000 Flugzeuge und 90.000 Schiffe weltweit könnten nur durch den Einsatz von E-Fuels rasch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, wird von dieser Seite betont. Vor diesem Hintergrund erscheint die Einführung von E-Fuels geradezu zwingend. Doch es gibt auch Zweifel. Durch die vielen Umwandlungsschritte ist der Wirkungsgrad von E-Fuels niedrig. Während von der Energie des produzierten Stroms bei einem Elektroauto mehr als 70 Prozent für den Vortrieb genutzt werden, sind es bei E-Fuels weniger als 20 Prozent. Auf ein Fahrzeug bezogen heißt das, man benötigt drei bis viermal so viele Windräder, um mit E-Fuels gleich weit zu fahren wie mit Elektroantrieb.
E-Fuels werden deshalb wohl nie ganz aus dem Schussfeld der Kritik kommen, und trotzdem: Kein anderer Energieträger ist so kompakt und problemlos zu lagern und zu transportieren. Das ist neben dem Aufrechnen von Prozesswirkungsgraden auch ein bedeutender Faktor. Durch Erdöl, Erdgas und Kohle sind derzeit weltweit ständig enorme Mengen an Energie jederzeit und überall abrufbereit. Dafür wird zumindest teilweise direkter Ersatz in Form von E-Fuels notwendig sein. Diese Rolle des Energiespeichers kann der volatile elektrische Strom nie einnehmen. Auch reiner Wasserstoff ist durch seine geringe Dichte und große Flüchtigkeit für viele Einsatzzwecke ein zu eigenwilliger Energieträger im Umgang.
Die Motorradhersteller bekennen sich ausnahmslos zur Defossilisierung ihrer Produkte und auch zur Elektromobilität für weite Bereiche, wo sie sinnvoll erscheint. Sie fordern aber generell einen technologieoffenen Zugang, sehen E-Fuels als Teil der Lösung. Auf den Punkt gebracht: Wenn Flugzeuge, Schiffe, Lkw und Eisenbahn mit E-Fuels angetrieben werden, so erscheint das auch für bestimmte Motorräder sinnvoll. Sie machen im Gesamtvolumen nur einen verschwindend geringen Teil aus. Andersrum gefragt: Warum sollte man die E-Fuels den Motorrädern vorenthalten?