
BMW oder KTM?Die grossen Reiseenduros im Marathon-Vergleich
Wir nehmen es gleich vorweg: Diese klassische Unterscheidung ist nun Geschichte. Mit Wechsel zur 1290 kann die KTM nun auch beim Touren-Komfort zur BMW aufschließen und ihr das Wasser reichen. Allerdings gibt es weiterhin feine Unterschiede: In machen Disziplinen ist die KTM ein Stück besser, in anderen die BMW.
Beginnen wir beim Motor: Der neue 1290er-V2 aus Österreich ist tatsächlich eine Wucht und zündet bei Bedarf wie eine Trägerrakete. Umgekehrt tritt er extrem geschmeidig auf, fast völlig ohne Lastwechsel und Ruckeleien. Allerdings ist er aufgrund seiner enormen Leistung von 160 PS natürlich auf eine höhere Endgeschwindigkeit übersetzt als der „nur“ 125 PS starke Boxermotor der BMW. Dazu kommt, dass der Boxer bereits ab rund 2500 Umdrehungen rund läuft und souveränes Drehmoment abgibt. Die KTM kann man kaum unter 4000 Umdrehungen fahren. Nimmt man beides zusammen, ergibt sich als logische Konsequenz, dass man die BMW im Tourenbetrieb schaltfauler fahren kann. Der sechste Gang wird kurz nach dem Verlassen des Ortsgebiets eingelegt und reicht danach für alle weiteren Belange. Bei der KTM muss öfter zwischen viertem, fünftem und sechstem Gang gewechselt werden, was vor allem dank des optionalen Quickshifters kein Beinbruch ist, wie wir weiter unten sehen werden. Vorteil der KTM: Bei Autobahntempo macht sich die längere Endübersetzung positiv bemerkbar, sie fährt hier souveräner, während man sich bei der BMW einen siebenten Gang wünscht, auch weil das Ansauggeräusch – geil bei Zwischenbeschleunigung – hier ungebührlich laut ist.
Noch ein Blick auf den Verbrauch: Auf 3300 Kilometer mit fast aussschließlich Landstraßennutzung in Touren-Tempo verbrauchte die BMW exakt 5,0 l/100 km, die KTM 5,3 l/100 km. Die Konsumation wird also kaum entscheidendes Kaufkriterium sein, damit auch nicht die Reichweite. Je nach Geläuf sind mit beiden Bikes problemlos über 350 Kilometer ohne Nervenkitzel möglich; der Tankinhalt ist bei der KTM mit 23 übrigens um drei Liter höher als bei der BMW.
Kommen wir zum nächsten wichtigen Punkt: der Ergonomie. Hier erlaubt sich keiner der beiden einen Schnitzer, wobei die Philosphien unterschiedlich sind – bei der BMW ist man besser ins Motorrad integriert, bei der KTM thront man eher auf dem Pferd. Beide Zugänge sind zulässig, hier entscheidet der Geschmack. Allerdings gibt es eine kleine Entscheidungshilfe: Größere Fahrer (ab 1,85 Meter) werden sich tendenziell eher auf der KTM wohler fühlen, kleinere auf der BMW. Natürlich bieten beide Hersteller auch Lösungen an, um durch Sättel oder Umbauten auf körperliche Unterschiede zu reagieren. Beim Sitzkomfort aufgrund der Sattelpolsterung haben wir keine Präferenzen entwickelt.
Und wie ist der Windschutz? Auch hier kommt es auf Körpergröße und Helm an. Die BMW bietet eine sehr ausgefeilte Aerodynamik, die auch die Schultern des Fahrers gut schützt und für Menschlein bis gut 1,80 Meter hervorragend ist. Größere Lenker recken ihren Helm allerdings nach oben in den Fahrtwind; sie werden sich auf der KTM besser aufgehoben fühlen und den etwas höheren Winddruck an den Schultern in Kauf nehmen.
Wie macht sich alles beim Fahren bemerkbar? Beide Reiseenduros bieten mit diesen Systemen einen Kompromiss aus Souveränität, Stabilität, Komfort und Agilität, den man vor Jahren noch als unerreichbar angesehen hätte. BMW gelingt allerdings im Fahrmodus „Road“ noch eine etwas bessere Auslegung fürs gemütliche Touren: Der Komfort ist etwas höher als bei der KTM, trotzdem bleibt das Lenkverhalten noch sehr präzise. Bei der KTM hat man dafür die Möglichkeit, in einen Komfort-Modus zu schalten, was das Fahrwerk mindestens ebenso komfortabel macht wie jenes der BMW – dann allerdings mit kleinen Einbußen in der Präzision.
Unterschiede auch bei Agilität/Stabilität: Die BMW vermittelt wie schon in den letzten Jahren das Gefühl, „von selbst einzulenken“. Sie wirkt unfassbar behände, Kurvenwedeln ist ein lustvoller Akt, den man einem so großen Bike kaum zutrauen würde. Dagegen wirkt die KTM eine kleine Spur weniger spritzig, dafür besitzt das Fahrwerk im Angriffsmodus höhere Reserven und liegt bei hohem Autobahntempo auch eine Spur satter.
In der Bedienung der Anzeigen gehen beide Hersteller ebenfalls unterschiedliche Wege: BMW setzt mehrere Tasten zur Direktwahl ein, bei KTM muss man über einen Vier-Wege-Schalter durch verschiedene Menüs zappen. Das ist zwar leicht verständlich, dauert aber dennoch länger. Für uns besser: Die BMW-Strategie mit mehreren Tasten. Zu dem Thema noch ein Detail: Die Bordcomputer-Anzeigen sind bei der BMW ein Alzerl besser, verlässlicher. Die KTM braucht lange, um auf wechselnde Außentemperaturen zu reagieren (Tunnel), dafür springt die Reichweite viel zu schnell um, wenn man beispielsweise ein Stück bergauf oder bergab fährt – so kann man sich schlechter darauf verlassen.
Bleibt letztlich, vor unserem großen Resümee, noch ein Blick auf den Preis. Hier hat BMW scheinbar die besseren Karten: Die R 1200 GS beginnt in Österreich bei 18.300 Euro, die KTM kostet mit 19.398 Euro um 1100 Euro mehr. Allerdings fördert ein Vergleich der Ausstattung eine andere Wahrheit zutage: Bei der BMW muss man vieles, das bei der KTM serienmäßig ist, als Extras kaufen: Kurven-ABS, DTC, das elektronische Fahrwerk, Keyless Ride, LED-Scheinwerfer mit -Tagfahrlicht, Kofferhalter, Handschützer. Bringt man KTM und BMW auf ein ausstattungsmäßig vergleichbares Niveau, dann kostet die KTM nach unserer Rechnung um 1950 Euro weniger (und hat immer noch ein Leistungs-Plus von 35 PS).
• Mächtiger, charakterbildender Motor-Punch
• Hervorragender Quickshifter
• Hohe Stabilität und Souveränität auf der Autobahn
• Besser für Großgewachsene
• Fantastisches Display
• Klar besseres Preis-Leistungs-Verhältnis
Die BMW kontert wiederum mit einer Harmonie und Ausgereiftheit, die bis in die letzte Haarwurzel reicht. Sie fördert durch ihren Charakter entspanntes Cruisen und sorgt für etwas mehr Entspannung auf Langstreckenetappen. Gleichzeitig sollte sie allerdings in ein paar Bereichen nachziehen: Quickshifter und Display wirken im Vergleich unzureichend bzw. veraltet. Ihre Pluspunkte:
• Spielerisches Handling
• Entspannte Boxer-Charakteristik auf der Landstraße
• Etwas ausgefeiltere Aerodynamik (außer für sehr groß Gewachsene)
• Einfachere Bedienung aller Systeme
• Im Detail liebevollere, hochwertiger wirkende Verarbeitung
• Praktische, automatische Verstellung der Vorspannung (Option)
• Etwas weniger Verbrauch, „verlässlichere“ Bordcomputer-Anzeigen
Was lernen wir daraus? Die perfekte Reiseenduro gibt es nicht. Aber zwei fast perfekte, mit denen man nichts falsch machen kann. Welche man nehmen sollte, liegt einzig an den persönlichen Vorlieben. Jetzt muss man halt noch selbst ganz genau wissen, was einem wichtig ist.