
Jack Miller zu KTM!Hintergründe von Pit Beirer
Die Gerüchte schwirrten schon seit Wochen umher, jetzt ist es fix: Jack Miller wechselt zurück zu KTM – zu der Marke also, mit der er bereits in der Moto3 erfolgreich war. Der Wechsel passiert ab kommender Saison, wo der Australier Miguel Oliveira im Red Bull KTM Factory Team ersetzen wird. Jack Miller erhält einen Zwei-Jahres-Vertrag.
Über die Hintergründe zu diesem Transfer und zu vielen weiteren Themen konnte das Motorradmagazin direkt mit KTM-Motorsportchef Pit Beirer sprechen. Hier seine Infos. Pit Beirer über ...
... die Gründe, warum sich KTM für Jack Miller entschieden hat:
Wenn du um Aufholen kämpfst, wie wir gerade, dann hilft es dir enorm, wenn du verschiedene Charaktere hast. Dass wir mit Brad Binder einen der besten für die Renndistanz haben, das steht wohl außer Frage und hat er mehrfach bewiesen. Mit Jack Miller bekommen wir einen, der auch auf Zeitenjagd gehen kann und in einer Runde alles aus dem Bike herausquetscht. Diese eine Runde bereitet uns nach wie vor Kopfzerbrechen. Wir haben aktuell zwei Fahrer, die mit uns in die MotoGP gekommen sind, dazu zwei Rookies, und in dieser Konstellation lösen wir das Rätsel nicht, was am Samstag um 13 Uhr unsere große Schwäche ist.
Es war auch in Barcelona so: in FP2, im Warm-up und auch beim Rennen fahren wir eh ganz okay, aber ausgerechnet beim Qualifying sind wir zu schlecht. Das ist etwas, das uns fast in den Wahnsinn treibt, denn die schlechten Startplätze verändern ein Rennwochenende. Da reizt mich Jack Miller, der auf eine Runde pushen kann – oder vielleicht auch stärkere Rennen fahren kann als Oliveira, was er allerdings erst beweisen muss. Nach wie vor buhle ich ja auch um die Gunst von Miguel. Er ist vierfacher GP-Sieger und ein wichtiger Baustein unseres Projekts.
... die Zukunft von Miguel Oliveira:
Ich habe vor Mugello ein Gespräch mit Miguel gehabt, um ihm die Verhandlungen mit Miller zu „beichten“. Ich wollte fair sein, Miguel ist ein Freund von mir und vom Team und soll das auch bleiben, egal, was passiert. Ich habe ihm vor Mugello schon ein Angebot gemacht für einen Platz bei Tech3 und habe ihm sogar die Gage für 2023 erhöht. Ich wollte damit auf jeden Fall vermeiden, dass er nach Mugello kommt und den Eindruck hat, meine Freunde, meine Familie setzt mich auf die Straße. Das hat er aber trotzdem nicht gut aufgenommen, sondern war enttäuscht, hat sich mehr oder weniger abgekapselt und seinen Vater zu Verhandlungen zu anderen Teams geschickt.
Das hätte ich so nicht erwartet, da wir Tech3 absolut nicht als Abstellgleis sehen. Wir haben dann gesagt: Wenn du irgendwo anders in einem Einser-Werksteam fahren kannst, dann werden wir dir nicht im Weg stehen. Wir hätten eine Option gehabt, die wir bis 31. Mai hätten einlösen können. Dann hätte Miguel bei uns fahren müssen, egal auf welchem der vier Bikes. Darauf haben wir aber bewusst nicht bestanden, weil wir ein so gutes Verhältnis zu Miguel haben. Wir hätten ihn gerne weiter bei KTM, aber ich weiß nicht, ob wir noch Chancen haben. Laut seinem Management – seinem Vater – ist noch nichts unterschrieben und er möchte noch mit uns reden. Wir haben aber auch schon verdächtige Fotos im Internet gesehen (lacht).
... die enttäuschende Performance des KTM Tech3 Teams:
Wir wollen auch diese Seite wieder stärken, unser Ziel ist es nach wie vor vier gleichwertige Werksplätze zur Verfügung zu stellen. Momentan sieht es so aus, als wäre das ein Abstellgleis, aber die zwei Jungs dort kommen nicht in Schwung, pushen sich nicht gegenseitig in die richtige Richtung und haben offenbar aufgegeben. Wir haben in den letzten zwei Wochen sehr viel mit ihnen gesprochen, siehe da, jetzt stehen ein 11. und 15. Platz auf dem Papier. Sie hatten wohl zu hohe Erwartungen oder die Moto2 für sich selber überschätzt. Wir haben ihnen erklärt: Kämpfen, Burschen! Auch um einen WM-Punkt! Remy Gardner war schon verzweifelt, hat sich in der falschen Klasse gesehen und gemeint, er fährt lieber Superbike – seit Mugello haben wir versucht ihn umzudrehen. Jetzt hat er einen 11. Rang und verstanden, dass er sich millimeterweise nach vorne arbeiten muss.
Bei Fernandez wiederum haben wir eine Option eingelöst, bei der ich mittlerweile bereue, es getan zu haben. Wir dachten, wir wären einen so coolen Weg miteinander gegangen – Rookies Cup, Moto3, Moto2 – und hatten das Gefühl, er gehört zu uns, den geben wir nicht gern so einfach her. Dafür gibt’s ja auch Verträge. Aber daraus habe ich heuer gelernt. Du brauchst Fahrer, die ans Projekt glauben, die dabei sein wollen und alles geben. Es war wohl auch nicht die richtige Mischung. Wenn du einen jungen Fahrer hochziehst, ist es gut, wenn daneben in der Box ein erfahrener Leader steht. Das sind Dinge, die wir heuer schmerzhaft lernen mussten.
...den Ausblick auf die zweite Saisonhälfte:
Ich bin ja endloser Optimist und versuche das Beste aus der Saison herauszulesen. Brad Binder ist derzeit Sechster, wir sind punktemäßig auf Tuchfühlung, da nicht nur wir mit dem Auf und Ab dieser Saison kämpfen. Zufrieden sind wir natürlich nicht. Top-3-Plätze waren vor der Saison das Ziel – und da sieht’s momentan nicht gut aus. Unsere Überschrift heuer war eigentlich: Nicht mehr so viel testen an den Rennwochenenden, Stabilität hineinbringen. Jetzt stehen wir mit dem Rücken zur Wand und können nicht sagen: Obwohl das Motorrad nicht funktioniert, testen wir mit den Rennfahren nichts Neues. Du musst ja wieder heraus aus der Ecke, und das funktioniert nur mit neuen Teilen und Testen.
Nun hatten wir zum Glück einen Testtag mit guten, neuen Teilen an Bord, die wir uns eigentlich gerne für den Herbst aufgehoben hätten fürs nächstjährige Bike. Wir werden also wie schon so oft in der KTM-MotoGP-Karriere neue Teile vorziehen und in den Rennbetrieb geben müssen, da wir den Jungs natürlich ein leichter zu fahrendes Motorrad hinstellen wollen.
... die Aerodynamik:
Die Entwicklung war in den letzten Monaten enorm. Wir haben auch dazu ein Update, das haben wir in Mugello verschossen, was eigentlich nicht der Plan war. Aber wir wussten, wir müssen etwas tun. Unsere Vorteile in den Kurven gingen zulasten des Topspeeds, und wenn du acht sehr schnelle Ducatis hast, dann musst du Topspeed einliefern.
... den MotoGP-Ausstieg von Suzuki:
Die Nachricht kam für uns alle aus heiterem Himmel. Ich habe selbst mit Suzuki-Teammanager Livio Suppo noch am Tag nach dem „bösen Erwachen“ telefoniert und ihn gefragt, wie es ihm geht. Es war wirklich noch so, dass er am Wochenende mit den Teammitgliedern und den Fahrern über die Vertragsverlängerungen diskutiert hat – und während dem Test am Montag kam die Nachricht aus Japan: Wir steigen aus. Das war recht radikal und kurzentschlossen.
... die Performance von Pedro Acosta in der Moto2:
Vor der Saison war das Thema: Welchen eurer vier Fahrer werft ihr hinaus, wenn der Acosta in die MotoGP aufsteigt? Die meisten dachten, er würde durch die Moto2 durchmarschieren als wäre das auch ein Kindergarten. Jetzt sehen wir die Normalität: dass er mit einem Superspeed dort angekommen ist und dann stürzt er ein paar Mal. Zum Glück ist dabei nichts passiert. Er ist schon ein besonderer Bursche, eine Frohnatur, er kam nach den Stürzen zu uns und hat uns getröstet – nicht umgekehrt (lacht). Alles wird gut, „we are lucky bastards“, das ist sein Lieblingsspruch.
Mit dieser positiven Einstellung steckt er das ganze Team an, und deswegen freuen wir uns, dass er sich gerade stabilisiert. Ob er fünf, zehn oder 15 Rennen braucht, um in der Klasse richtig anzukommen, ist eigentlich egal. Wir haben mit ihm ohnehin vereinbart, dass er zwei Jahre Moto2 fährt. Wir wollen nicht den verrückten Aufstieg auf einer ganz dünnen Eisdecke, wir wollen, dass er sich zwei Jahre in der Klasse eine ordentliche Basis einfährt. Er wird dieses Jahr auch noch einige Rennen gewinnen, da bin ich ziemlich überzeugt, und nächstes Jahr wird der Titel in der Moto2 über ihn führen. Und dann ist er gut vorbereitet, um aufzusteigen. Mit ihm zu arbeiten macht schon ganz viel Spaß.