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Porträt: Bob Weber von 6D HelmetsDer Bessermacher
Leonardo DaVinci, Christoph Columbus, Marie Curie und Bill Gates – wahre Visionäre kämpfen stets mutig gegen verkrustete Weltbilder und werden zum Entstehungszeitpunkt ihrer Vision meist als Träumer oder sogar Spinner abgetan. Obwohl sie meist auf Ablehnung stoßen, folgen sie beharrlich ihrem inneren Antrieb, erkennen Probleme, stellen gängige Annahmen neu in Frage und wollen Dinge permanent verbessern oder frisch erschaffen.
So auch Bob Weber, der mit seinen Gedanken und Ideen oftmals der Zeit voraus zu sein scheint. Der US-Amerikaner ist seit 1976 ambitionierter Motocross-Rennfahrer – für ihn der mit Abstand beste Sport der Welt – und hat neben seiner Honda CRF450 und diversen Mountainbikes auch eine BMW R 1200 GS in seiner Garage geparkt. Seine beachtliche Karriere in der US-Motorrad-Branche gipfelt in der Position des Vizepräsidenten von „Troy Lee Design“, bis die schreckliche Motocross-Verletzung eines jungen MX-Piloten den Erfindergeist in ihm weckt und ihn bei der Helm-Entwicklung neue Wege beschreiten lässt. Er lässt TLD spontan hinter sich und gründet die Marke „6D Helmets“. Seither entwickelt er mit seinem kleinen Team in Los Angeles einen unvergleichlich innovativen Kopfschutz für Motorradfahrer und Mountainbiker, der in puncto Sicherheit die arrivierte Helm-Konkurrenz in den Schatten stellen. Die ersten Prototypen klebte und feilte er einst eigenhändig in seiner Garage zurecht. 2016 gewinnt seine ODS-Technologie zur Reduktion von Gehirnerschütterungen den mit 500.000 Dollar dotierten „Head Health“ Wettbewerb, den die amerikanische Football-Liga NFL ausschreibt. Jetzt schicken sich seine einzigartigen Helme an auch in Europa das Motorradfahren sicherer zu machen. Wir trafen den sympathischen Erfinder und Firmen-Boss zum Gespräch im 6D-Headquarter im kalifornischen La Habra, wo sich sogar in der Teeküche die Helme bis unter die Decke stapeln.
Bob, Du warst Vizepräsident von Troy Lee Design. Wieso jetzt eine eigene Firma?
Ja, das war einer meiner Jobs hier, seit ich 1990 mit meiner Frau Nancy von Connecticut nach Kalifornien gezogen bin. Ich war übrigens auch einmal unter anderem der Herausgeber des „Dirt Rider Magazine“. Und lange Zeit bei „White Brothers“ (Anm. d. Red.: Offroad-Zubehör). Eines Tages hat mich Troy (Lee) angerufen, ob ich bei der Entwicklung eines Helmes helfen kann. Dafür habe ich einen Business-Plan erstellt – und daraus wurde für achteinhalb Jahre ein fixer Job bei TLD. Ich habe direkt mit Troy zusammengearbeitet. Das waren unterhaltsame und auch etwas verrückte Zeiten in einem coolen Unternehmen, mit einem prima Boss. Gemeinsam haben wir TLD saniert und auch das Racing Team mit Jeff Ward und Jeremy McGrath aufgebaut, weil ich gute Kontakte zu Honda hatte. Mit der Zeit hatten Troy und ich jedoch von einander genug – es war Zeit etwas Neues anzufangen. Da habe ich die Firma verlassen und 6D gegründet.
Einfach so?
Zugegeben, es gab damals einen Rechtsstreit zwischen Troy Lee und einer Familie, deren Sohn sich bei einem Motocross-Sturz eine Rotationshirnverletzung zugezogen hatte. Ich habe mich in dem Fall um die Akten et cetera gekümmert. Ich will da nicht ins Detail gehen, aber wir konnten das schlussendlich im Sinne der Familie regeln. Trotzdem hat mich die Sache innerlich sehr beschäftigt und ich war überzeugt, dass es möglich sein müsse bessere Motorradhelme zu entwickeln. Bei einem Design-orientierten Unternehmen wie Troy Lee wäre das nicht möglich gewesen. Ich habe daraufhin meinen langjährigen Ingenieurs-Freund und Motocross-Weggefährten Robert Reisinger kontaktiert und ihn nach seiner Meinung zur Helm-Problematik gefragt. Er hat mich erst für verrückt erklärt gegen Shoei, Arai oder Bell antreten zu wollen. Ich habe ihm dann diverse Dokumente, Daten und Studien zu Motorradunfällen zukommen lassen sowie mein erstes technisches Konzept, wie man besser gedämpfte Helme bauen könne, die auch Rotationsenergie optimal abbauen. Eine Idee, die ich damals übrigens während des Rennradfahrens hatte. Nach einer Woche hat Robert mich zurückgerufen und gemeint: „Du bist an etwas ganz Großem dran! Es wird garantiert schwierig, aber lass es uns gemeinsam durchziehen.“
Wir haben dann in meiner Garage in einen alten TLD-Helm zwei Innenschalen eingebaut, die mit Gummi-Dämpfern provisorisch verbunden waren. Mit sechs solchen rustikalen Prototypen bin ich im Juni 2011 zur bekannten Helm-Koryphäe Terry Smith vom „Head Protection Research Institute“ der USC Universität gegangen, dem ein einzigartiges Test-Labor zur Verfügung steht. Auf Anhieb zeigten die Messergebnisse, dass unser Prototyp des ODS-Systems einem konventionellen Helm mit simplem EPS-Schaum-Aufbau weit überlegen war – mein ODS-Helm war je nach Sturz-Szenario 25 bis 100 Prozent besser! Terry meinte: „Verschwende deine Energie nicht mit dem kleinen Motorrad-Segment, diese Erfindung musst du ans Militär verkaufen oder in American Football Helme einbauen lassen.“ Aber damit kenne ich mich nicht aus, und ich interessiere mich auch nicht dafür – ich bin einfach ein „Motorcycle-Guy“, und da will ich für Sicherheit sorgen!
Wie schwierig war der Start?
Aufgrund der vielversprechenden Tests haben wir einen Businessplan geschrieben und Investoren gesucht – alleine konnte ich das finanziell nicht stemmen. Nach meinem Ausstieg bei TLD habe ich von Nancy ein Jahr Freiheit erbeten um mich ganz ohne Job voll auf die Entwicklung von 6D zu konzentrieren. In der Zeit hat sie das Geld verdient und es war offen gesagt wohl nicht jede Nacht tränenfrei. Aber nach elf Monaten hatte ich tatsächlich den ersten Investor. Im ersten Jahr bauten wir also Prototypen, sammelten Messdaten, das erste unserer mittlerweile acht Patente wurde eingetragen und im Dezember 2011 konnte ich Robert und mir erstmals ein kleines Gehalt auszahlen. Bis heute halte ich gemeinsam mit Robert die Mehrheitsanteile an 6D, der Rest gehört nur vier Personen im Hintergrund aus meinem privaten Netzwerk. Als die ersten Helme im Februar 2013 auf den Markt kamen, hatten wir bereits rund eine Million Dollar investiert – wir mussten nun unbedingt das Produkt endlich auch verkaufen.
Wann gelang in den USA der Durchbruch?
Wir waren 2013 kurz nach 6D-Marktstart erstmals bei der Motorradmesse in Indianapolis, da fand gleichzeitig ein AMA Supercross-Lauf in Dallas statt. Gemeinsam mit anderen Motorradindustrie-Vertretern schauten wir abends das SX-Rennen im TV, als unser 6D-Fahrer Zach Bell einen unfassbar schrecklichen Sturz hatte, bei dem er mitten im Sprung die Kontrolle verlor und hart am Kopf aufschlug. Die Übertragung wurde sofort unterbrochen, und ich dachte „das war’s, unsere Firma ist erledigt“. Doch Zach konnte selbst aufstehen und sogar die weiteren Rennen des Abends mitfahren. Das war unglaublich! Dieser mittlerweile viral gegangene, berühmte Crash war für uns die beste Werbung und ein echter Raketenstart – das Telefon klingelte pausenlos, denn jeder wollte plötzlich unseren „Wunderhelm“.
Wieso ist das ODS-System von 6D besser als das häufig in Helmen verbaute Mips?
Mips gab es bereits 11 Jahre bevor 6D gegründet wurde, aber niemand beachtete die Technik. Kein Hersteller, außer POC in 2013 für einen Skihelm, wollte das System wegen der Lizenzgebühren und des technischen Aufwands in einen Motorradhelm integrieren. Der Marktstart von 6D funktionierte auch für Mips wie ein Brandbeschleuniger. Das Mips-System ist betreffend des Abbaus von Rotationsenergie ein Schritt in die richtige Richtung, hat aber Schwächen. Der große Unterschied zum 6D-Helm ist, dass unser ODS-Aufbau nicht nur Rotationsenergie besser abbaut, sondern schon bei relativ schwachem Bodenkontakt den Kopf stark dämpft und nachgiebiger ist. Daher auch der Name „Omni-Directional Suspension“.
Wie funktioniert ODS?
Obwohl ein Großteil der Stürze bei niedrigen Geschwindigkeiten passiert, sind bei konventionellen Helmen – auch mit Mips-Layer – trotzdem oft gefährliche Gehirnerschütterungen die Folge. Hier brilliert unser ODS, indem es die Aufprallenergie durch die Elastomer-Dämpfung zwischen den beiden eigenständigen Schalen sowie die unterschiedlichen Schaum-Härten der beiden Schalen maximal reduziert – eine Gehirnerschütterung wird abgewendet. Ein erwachsener Mann bekommt bei rund 60 G eine Gehirnerschütterung. Frauen sogar bei weniger. (Bob zeigt ein Diagramm auf seinem Monitor). Wenn man zum Beispiel mit nur 5 m/s (18 km/h) mit einem beliebten Luxus-Helm der Konkurrenz mit Mips (Modellname der Redaktion bekannt) aufprallt, wirken hier knapp 90 G – das führt unweigerlich zu einer Hirnverletzung. Beim gleichen Test wirken im 6D-Helm weniger als 50 G – also klar unter der Gehirnerschütterungs-Marke von 60 G.
Bei der ECE 22.05 Homologation wird übrigens mit 7,5 m/s (27 km/h) getestet – hier liegt unser Helm bei rund 85 G, während die Konkurrenz oft fast den doppelten Wert erreicht. Kurz gefasst: konventionell gebaute Helme dämpfen indem sich ausschließlich der harte EPS-Schaum komprimiert. Im Unterschied dazu dämpft der 6D-Helm viel früher und „sanfter“ – zuerst durch die einzigartigen Elastomere, dann durch den soften EPP- und zuletzt (erst ab 4 m/s) mittels härterem EPS Schaum. Ganz offen: Auf die edle Verarbeitungsqualität von Shoei oder Arai fehlen 6D vielleicht noch ein paar Prozentpunkte – aber wenn’s um die Sicherheit geht, ist 6D wegen unseres ODS-Systems längst deutlich besser. Daten und Studien belegen das. Viele namhafte Hersteller sind technisch einfach nicht up-to-date! Unausgereifte oder in meinen Augen sogar problematische Konstruktionen werden dann bloß mit viel Marketing-Blabla und feschen Designs aufgehübscht.
Marketing ist Dir also nicht wichtig?
2023 trugen in Loretta Lynn bei den AMA Amateur National MX Championships in Kalifornien rund 33 Prozent der Teilnehmer einen 6D-Helm. Den tatsächlichen US-Marktanteil kann ich aktuell wirklich nicht abschätzen. Viel wichtiger ist mir, dass unser Markteintritt auch die Konkurrenz bewegt mehr in die Sicherheit ihrer Helme zu investieren – das macht mich stolz. Ich freue mich natürlich, wenn Profi-Racer meine Helme tragen – aber ich will mir für ein Sponsoring in der Racing-Top-Liga keine 250.000 Dollar oder mehr leisten. Das Geld stecke ich lieber in die Produktentwicklung, denn ich sehe uns in erster Linie als Forschungsunternehmen. Auch die Mountainbike-Linie wollen wir zukünftig stärker forcieren. Mein genereller Anspruch wird immer sein die sichersten Helme der Welt zu bauen. Das alleine zählt für mich. Soeben haben wir die nächste Evolutionsstufe unseres Offroad-Helms, den ATR-3, auf den Markt gebracht.
Sollten die Helm-Normen strenger sein?
Nein, denn diese Vorgaben verfehlen mittlerweile das Thema. Bei ECE 22.05 wissen die Hersteller genau an welchen fünf Stellen ihr Helm getestet wird - daher werden diese Bereiche einfach extra verstärkt. Besser ist hier die US-Norm DOT, denn da wird die Test-Stelle zufällig gewählt. Eine Kombination der beiden Normen wäre daher sinnvoll.
ECE 22.06 bzw. FIM FRHPhe-01 zum Beispiel sind generelle Fehler, auch wenn sie „gut gemeint“ sein mögen – wahrscheinlich machen diese Vorgaben die Helme sogar schlechter als bisher! Denn nun wird mit 8,2 m/s statt wie bisher mit 7,5 m/s geprüft. Das erfordert, dass alle Helme „steifer“ gebaut werden müssen. Dadurch treten bei den viel häufigeren „langsamen“ Stürzen viel eher fatale Gehirnerschütterungen oder -Blutungen auf. Ganz ehrlich, das ist genau das Gegenteil von dem, was wir für mehr Sicherheit benötigen. Alle Helm-Experten, die ich kenne, sind sich einig: Ein stumpfer Aufprall mit 7,5 m/s ist in jedem Fall tödlich. Auch weil ja nicht nur der Kopf, sondern auch das Genick eine Rolle spielt. Und falls man dennoch überlebt, wäre man bestimmt lieber tot. 7,5 m/s als Vorgabe ist in puncto Sicherheit damit mehr als ausreichend – es ist egal, ob man bei 7,5 oder 8,2 m/s stirbt. Sinnvoller wäre es sich vermehrt auf die Sicherheit bei niedrigeren Geschwindigkeiten und „low energy impacts“ bei beispielsweise 4 oder 5 m/s zu fokussieren, wo der Pilot realistische Überlebenschancen hat. Zusammenfassend: Alle Helme verhalten sich bei hartem Aufprall ähnlich, denn auf diese obligatorischen Testverfahren werden sie vom Hersteller hingetrimmt. Auch meine 6D-Helme absolvieren die notwendigen Homologationen ähnlich wie die Konkurrenz – im eher praxisrelevanten Bereich dagegen, wo Stürze meist mit Gehirnerschütterungen enden, sind wir derzeit jedoch unvergleichlich sicherer.
Kann ein Helm, der kaum mehr als einen Kilo wiegt, sicher genug sein?
Nein, meiner Meinung nach garantiert nicht. Es wird wohl auch nie einen hundertprozentigen Schutz gegen Gehirnerschütterungen geben – dazu müssten Helme viel größer werden, was dann andere Probleme, beispielsweise für die Wirbelsäule, hervorrufen würde.
Wofür steht der Begriff „6D“?
Das steht für Bewegungsfreiheit in sechs Achsen, eigentlich ein Begriff aus der Raumfahrttechnik. Es ist heute echt schwierig einen coolen Namen zu finden, da viele treffende Begriffe schon geschützt oder vergeben sind. Aber es zeigt sich, dass „6D“ in Kombination mit unserem einprägsamen Logo gut funktioniert. „Bob and Robert’s excellent helmet company“ wäre meine zweite Wahl gewesen (lacht).
6D bietet mit dem ATS-1R ja auch ein Straßen-Modell an. Weshalb sind 6D-Helme so hochpreisig?
Im Unterschied zur Konkurrenz stecken in unserem Helm eigentlich fast zwei separate Helme, und wir produzieren auch vier Schalengrößen. Die Werkzeugkosten in der Produktion sind daher horrend, die Form für nur eine kleine Komponente kostet schon mehr als 20.000 Dollar. Außerdem ist der Produktionsprozess in der Fabrik langsamer als bei technisch einfachen, konventionellen Helmen – damit meine ich beispielsweise auch Shoei und Arai. Außerdem kann jeder 6D-Helm nach einem Sturz vom Käufer zu uns oder einem Importeur gesendet werden – dort wird er auf Schäden überprüft, wenn möglich das Innenleben erneuert. Das kostet den Kunden nur 135 Dollar und der Helm ist in puncto Sicherheit wieder wie neu. Das bietet kein anderer Hersteller.

Bauweise werden fatale Gehirnerschütterungen häufiger." Bob Weber