Streusplitt zählt für Motorradfahrer zu den größten Unfallgefahren. Ärgerlich ist er vor allem dann, wenn der Straßenerhalter seiner Räumpflicht nicht nachkommt. Aber was kann man aus rechtlicher Sicht dagegen tun?
Jeder kennt das: Der Frühling lockt mit angenehmen Temperaturen und das Motorrad wird für erste Erkundungsfahrten aus der Garage geschoben. Dabei sollte man es schon deshalb vorsichtig angehen, weil nach dem Winter in jeder Kurve eine Spur aus Streusplitt auf der Ideallinie lauern kann. Und nicht nur dort, denn der von Autos zur Fahrbahnmitte und zu den Rändern transportierte Splitt liegt im Prinzip genau auf dem Fahrbahnabschnitt, wo Motorräder laut Straßenverkehrsordnung (StVO) fahren müssen: in der Fahrbahnmitte.
Sogar geübte Motocrosser sollten diese Winterreste unbedingt vermeiden, weil das in nicht vorhersehbarer Dicke auf dem harten Asphalt liegende Gemisch aus zermahlenem Splitt, Sand und Staub den Reifen-Grip abrupt abreißen lässt und sogar auf Geraden – etwa beim Bremsen – zum Sturz führen kann. Dabei geht davon sogar für mehrspurige Kfz eine erhebliche Gefahr aus. Auch mit ESP können Autos in Kurven in den Gegenverkehr oder in den Straßengraben rutschen, wenn unvermutet eine breite Splittspur auftaucht.
Kommt es zu einem Unfall ohne Beteiligung anderer Verkehrsteilnehmer, also etwa bei einem klassischen Ausrutscher mit dem Motorrad, freut man sich als Geschädigter entweder über seine Vollkaskoversicherung oder fügt sich zähneknirschend in sein Schicksal. Genau an diesem Punkt sollte man die Frage stellen, wie es aus rechtlicher Sicht mit der Verschuldensfrage aussieht, auch wenn das eine durchaus komplexe Angelegenheit ist.
Grundsätzlich ist der Wegehalter zur Verkehrssicherung der von ihm erhaltenen Straßen und Wege verantwortlich und kann haftbar gemacht werden, wenn er diese Pflicht in grob fahrlässiger Weise vernachlässigt. Entscheidend ist dabei in jedem einzelnen Fall die Zumutbarkeit. Konkret ist es beispielsweise einer kleinen Gemeinde nicht zumutbar, ein weit verzweigtes Netz von entlegenen Wegen sofort nach dem Einsetzen von Tauwetter von Splitt zu befreien.
Ländliche Gemeinden lagern den Winterdienst meistens an spezialisierte Unternehmen aus, die natürlich eine begrenzte Kapazität an Räumfahrzeugen und Mitarbeitern haben. Ob allerdings auch noch eine Woche nach dem Abtauen der Straßen der Splitt nicht eingeräumt werden kann, wäre im Schadensfall vor Gericht abzuklären. Ein Sonderfall ist Wien, wo seit einigen Jahren praktisch kein Splitt mehr gestreut wird und es eine eigene Verordnung zur Räumung gibt, nach der eingekehrt werden muss, sobald der Splitt nicht mehr benötigt wird (also auch im Winter).
Laut Mag. Alexander Letitzki, ÖAMTC-Rechtsdienste, richtet sich der Verschuldensmaßstab auch danach, wie der Wegehalter seinen Räumungsplan organisiert. Liegen im Zuständigkeitsgebiet bekanntermaßen beliebte Motorradstrecken, sollte die Räumung entsprechend vorrangig erfolgen, um Unfälle zu vermeiden. Hier könnte sich ein Fehlverhalten des Wegehalters bei der Planung durchaus auf Schadenersatzpflichten auswirken.
Unabhängig davon gilt natürlich die Verpflichtung, die Fahrgeschwindigkeit so zu wählen, dass ein sicheres Anhalten vor Gefahrenstellen jederzeit möglich ist. Dieser Faktor wird im Schadenersatzverfahren zweifellos berücksichtigt und auch dann ein Teilverschulden des Verunfallten bewirken, wenn zwar der Streusplitt den Sturz verursacht hat, die gewählte Geschwindigkeit aber zu hoch war.
Der Schadensfall ist jedenfalls die Voraussetzung dafür, um auf privatrechtlichem Weg Schadenersatzforderungen stellen zu können. Die bloße Tatsache, grob fahrlässig gefährdet worden zu sein, ermöglicht nach österreichischem Recht keinen Anspruch auf Schadenersatz.
Anders sieht es aus strafrechtlicher Sicht aus, wobei der Zusatz „grob fahrlässig“ der wesentliche Punkt ist. Wenn vor einem mit Splitt verunreinigten Straßenabschnitt, an dem vernünftigerweise nicht damit zu rechnen ist, beispielsweise kein Gefahrenschild „Schleudergefahr“ oder „Vorsicht Splitt“ aufgestellt ist, liegt eine grobe Fahrlässigkeit des Wegehalters vor. Auch wenn der Straßendienst oder die Polizei nachweislich (!) mehrmals auf eine Gefahrenstelle hingewiesen wurden und diese dennoch nicht beseitigt wird, liegt grobe Fahrlässigkeit vor.
Übrigens kann bei mautpflichtigen Straßen auch eine leichte Fahrlässigkeit des Wegehalters rechtliche Ansprüche begründen. Mit der Entrichtung der Maut wird mit dem Wegehalter ein Vertrag begründet und demnach der Sorgfaltsmaßstab entsprechend hoch eingestuft.
Das heißt konkret: Stellt man als Verkehrsteilnehmer einen solchen Zustand fest, sollte man ihn bei der nächsten Polizeidienststelle zur Anzeige bringen. Wobei es sinnvoll ist, die Situation beispielsweise mit einem Handyfoto zu dokumentieren und sich eine Bestätigung der Anzeige aushändigen zu lassen. Der Wegehalter – in den meisten Fällen die zuständige Gemeinde – handelt sich damit eine empfindliche Verwaltungsstrafe ein. Und je öfter das geschieht, um so eher wird ein Umdenken stattfinden...
ÖAMTC-Rechtsschutz hilft
Laut Auskunft von Mag. Alexander Letitzki, ÖAMTC-Rechtsdienste, sind allfällige Streitigkeiten wegen eines durch Straßenverunreinigungen wie Streusplitt verursachten Sturzes, von der ÖAMTC-Rechtsschutzversicherung gedeckt. Fahrzeughalter müssen allerdings den Mobilitätsrechtsschutz inkludieren und darauf achten, dass sie beim Abschluss der Versicherung nicht Motorräder von der Versicherung ausnehmen, weil sie beispielsweise meistens mit dem Auto unterwegs sind.
Sturzvermeidung
Noch besser als jeder Paragraph ist es, erst gar nicht zu stürzen. Zunächst sollte man den Reifenkontakt mit Streusplitt auf Asphalt oder Beton vollständig vermeiden. Das heißt: Vorausschauendes Fahren und überlegen, wo auf der Fahrbahn der Splitt am wahrscheinlichsten liegt. Fast immer ist das die Fahrbahnmitte und deren Ränder. Fährt man mit dem Vorderrad in Schräglage auf Splitt, hat man praktisch keine Chance, einen Sturz zu vermeiden, während es beim Hinterrad auf die Breite der Splittspur, die Schräglage und die Geschwindigkeit ankommt.
Wenn man rutscht, kann nur ein blitzartiges Aufrichten des Motorrads oder bei sehr geringen Geschwindigkeiten – etwa in Spitzkehren – zusätzlich ein Fahrbahnkontakt mit dem kurveninneren Bein helfen. Aber Achtung: Auch ein Highsider kann passieren, wenn der Hinterreifen plötzlich wieder vollen Grip bekommt. Bei nicht zu hohem Tempo kann man theoretisch über eine schmale Splittspur rutschen, ohne zu stürzen, aber auf jeden Fall wird das Motorrad dabei deutlich versetzt und die Kurvenlinie entsprechend gefährlich verändert. ABS und Traktionskontrolle schützen übrigens nicht vor Splitt-Stürzen in Kurven! Auch wenn die Räder nicht blockieren, bzw. sich nicht durchdrehen, gehen die Seitenführungskräfte der Reifen auf Splitt verloren.