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Retro Naked Bikes Vergleich 2018Luftgekühlte Neo-Klassiker
Text: Peter Schoenlaub
Fotos: Kurt Pinter
Was ist so schlecht an einem Kühler, dass wir der Luftkühlung so hündisch huldigen? Nun, im Grunde eigentlich gar nichts. Aber wenn sich Bikes schon klassisch kleiden und sich dem Purismus verschreiben, dann passt ein luftgekühlter Motor natürlich besser. Ganz abgesehen von der Optik: Kein großer Wasserkühler mit Geschläuch und Befestigung stört die Reinheit der Linien, stattdessen dürfen die Zylinder metallischen Feinripp tragen. Besonders schön zu sehen an der Honda, deren Kühl-Lamellen nur zwei Millimeter dünn sind. Lohn der Feinarbeit: nach getanem Wirken am Gasgriff knistert die Honda besonders schön nach, mit dem Ting-Ting-Ting der frühen Jahre.
Abgesehen davon ist auch das Fahrerlebnis der Luftgekühlten ein wenig anders als bei den wässrigen Burschen: Sound, Vibrationen, Drehmoment aus den dunklen Tiefen des Kellers – all das macht das Fahren mit luftgekühlten Motoren unverwechselbar. Umso schöner, dass es sie noch gibt. Die immer strengeren Emissionsgrenzwerte machen hohe Leistungswerte und saubere Abgase heute schon praktisch unvereinbar. Deswegen sind alle modernen Powerbikes längst wassergekühlt, und die letzten luftgekühlten Saurier haben in der Performance längst den Anschluss verloren.
Immerhin, ein paar Wackere gibt es noch, die sich gegen den nagenden Zahn der Zeit stemmen und zumindest halbwegs ordentliche Leistungswerte bieten. Nach dem Wegfall von Suzukis Bandit, Yamahas XJR und der Umstellung aller Triumph-Klassiker sind es gerade noch drei Modelle, die das Fähnlein in den Fahrtwind halten: Ducatis neue Scrambler 1100, Hondas CB1100 und die BMW R nineT in all ihren Spielarten.
Was die Drei neben ihrer Luftkühlung noch eint, ist neben ihrer besonderen Liebe fürs Detail vor allem der Preis: Sie alle kosten knapp unter 15.000 Euro. Der restliche Zugang ist freilich recht unterschiedlich: Boxer, V2, Vierzylinder vermeldet der Blick auf die Motoren, Pferdestärken zwischen 86 und 110 PS der Datencheck. Auch in Sachen Hightech geht jeder eigene Wege: Während die einen ins volle Regal der elektronischen Assistenten greifen, hegen die anderen in dieser Hinsicht noble Zurückhaltung.
Und dann ziehen natürlich Style und Philosophie deutliche Gräben zwischen den drei großen Nakeds: Ob man aufs italienisch Verspielte, deutsch Zurückhaltende oder japanisch Nostalgische steht, wird die Kaufentscheidung sicher klarer beeinflussen als die Unterschiede beim Fahren. Dennoch: Wer nicht nur die Garage behübschen, sondern auch beim Ausreiten den richtigen Nerv treffen will, der sollte weiterlesen.
Ducati Scrambler 1100: Temperament ohne End’
Beginnen wir beim Neuzugang dieser Saison: der größten Ducati Scrambler aller Zeiten. Sie kann in unserem Shoot-out ein paar Rekordwerte für sich verbuchen: Sie ist die mit 86 PS schwächste, dafür mit 212 Kilo leichteste Mopette im Vergleich. Und sie verfügt als einzige über ein komplettes, zeitgemäßes Elektronik-Arsenal, noch dazu serienmäßig: Nur hier kann man zwischen drei Fahrmodi wählen, nur hier verfügt man dank verbautem Mehr-Achsen-Sensor über ein Kurven-ABS und eine schräglagenabhängige Traktionskontrolle in vier Stufen. LED-Blinker sind auch nur hier im Preis enthalten – kein schlechter Deal.
Auch sonst macht die Ducati einen properen Eindruck, mit zahlreichen gefrästen Alu-Teilen und den beiden austauschbaren Alu-Paneelen am Tank. Voll umfänglich wird man hier auch auf dem neuen, vergrößerten LCD-Cockpit informiert, da können sich die anderen – insbesondere die BMW – ein Scheibchen abschneiden. Der Nachteil: Wer auf halbwegs authentischen Retro-Look steht, der wird wohl die Wandernadeln von Honda und BMW vorziehen.
Der knackige Eindruck täuscht auch nicht: Die Dimensionen der Ducati sind klein, man sitzt aber trotzdem hervorragend. Als Fahrer. Ein Beifahrer möchte man hier nicht sein, der Platz ist worst in class, allerdings knapp gefolgt von der BMW. Wer gerne zu zweit fährt und sich den Haussegen in der Waage halten will, der muss unter diesem Trio zur Honda greifen, so viel können wir schon vorweg nehmen. Auch die Montage einer Gepäckrolle ist auf der Duc mangels Verzurrpunkte praktisch unmöglich.
All das ist aber vergessen, hat man den wunderbaren Desmodue erweckt und die ersten Kurven hinter sich. Die Ducati versprüht eindeutig am meisten Lebensfreude, wirkt um Welten agiler als die anderen beiden Bikes. Obwohl sie gar nicht so viel leichter ist als die BMW lässt sie sich im Vergleich wie ein Moped um die Ecken treiben, sorgt dabei von Anfang an für viel Zutrauen. Auch wenn sich’s wohl eher nur im Kopf abspielt, sorgen die Pirelli MT60 Enduro-Street dafür, dass man sich am wenigsten vor vereinzeltem Splitt fürchtet und kleinen Schotter-Einlagen nicht abgeneigt ist.
Der Nachteil: Die Scrambler 1100 fordert die Agilität auch vom Fahrer ein. Man ist sofort auf Performance-Mode gepolt, genießerisches Dahingleiten wäre nur mit Disziplin und Zurückhaltung möglich. Und wer hat die schon? Unterlegt von feinem Auspuffsound aus den beiden hoch gelagerten Trompeten und der sauberen Abstimmung des Desmodue gibt’s eigentlich nur ein Gas, und das kennen wir alle. Verbesserungswürdig ist allerdings das Getriebe, das knochig ist wie ein Haute-Couture-Model.
In punkto Performance ist die Ducati trotz ihres Feuers und Esprits der BMW unterlegen. Gegen den bärenstarken Boxer ist kein italienisches Kraut gewachsen. Dafür ist die Bremse besser dosierbar, und dank der immensen Handlingvorteile muss man sich im Kurvengewühl keine Blöße geben. Je enger die Radien, desto klarer setzt sich die Ducati ab. Dass ihr Fahrwerk nicht bretthart ist, macht sich auf schlechtem Terrain ebenfalls vorteilhaft bemerkbar – Unebenheiten werden besser geschluckt, man wirft sie nonchalant von einer Schräglage in die andere und zieht am Kabel, das es dank Ride-by-Wire eigentlich nicht gibt.
Honda CB1100EX: Edel und gut
Die Honda ist die genaue Antipode der Ducati: Statt aufgeregt zu sein wie ein Kind mit ADHS besitzt sie die Manieren eines britischen Earl. Sie gehen naturgemäß von ihrem Vierzylinder aus, der ein absolutes Meisterwerk darstellt – technisch wie optisch. Man sollte ihn sich eigentlich ins Wohnzimmer stellen.
Aber dann könnte man ihn nicht fahren, und das wäre wirklich eine Schande. Es ist fast unvorstellbar, wie seidig und ruckfrei der Reihen-Vierer schon knapp über Leerlauf Gasbefehle annimmt und in Vortrieb umsetzt. Dieser angenehme Charakter durchzieht das gesamte Motorrad: Man sitzt hier am angenehmsten (auch ein Sozius, wie erwähnt), das Fahrwerk schluckt grobe und feine Unebenheiten, die Kupplung bedient sich leicht, die Sicht in den Rückspiegeln ist hervorragend, die Ablesbarkeit der Instrumente sehr gut. Da reift natürlich der Verdacht, dass diese Perfektion und Freundlichkeit die Langeweile fördert. Dass man in Schönheit gähnt.
Klar, die Honda bietet weder den Punch der BMW noch die Agilität der Ducati, aber langweilig ist sie deswegen längst nicht. Denn richtig bewegt – nämlich mit sauberer Linie und rundem Fahrstil – kann man erstaunlich flott unterwegs sein. Gefördert wird der Speed nämlich genau von den eingangs erwähnten Talenten: Die Harmonie aller Abläufe, bis hin zum schön abgestimmten Fahrwerk, macht nämlich auch schnell.
Obwohl weder die Federelemente noch die Bremsen außergewöhnliche Dimensionen oder herausragende Spezifikationen aufweisen (eher im Gegenteil), verrichten sie tadellose Arbeit. So lassen sich die Bremsen wunderbar dosieren und bieten feines Feedback, dazu kommt ein Einlenkverhalten, das hondagemäß kinderleicht vonstatten geht. Die CB1100EX ist ebenfalls deutlich agiler als die BMW (trotz 36 Kilo Mehrgewicht!), was wohl hauptsächlich auf den klassisch-schmalen 140er-Hinterreifen zurückzuführen ist.
In der Ausstattung geht Honda einen eigenen Weg: Mit Edelstahl-Speichenfelgen (als einzige serienmäßig), Metall-Kotflügel und händisch gebürsteten Alu-Seitendeckel und ganz besonders dem abstehenden Hecklicht huldigt sie dem klassischen Erscheinungsbild, der Voll-LED-Scheinwerfer (ebenfalls ein Unikum im Vergleich) bringt aktuelle Technik ins Spiel. Dabei bleibt’s aber. Sie ist das einzige Bike im Shoot-out, für das keine Traktionskontrolle zu haben ist. Auch eine Steckdose für Navi-Strom sucht man hier vergeblich. Dafür der Sound: tief, sonor, erwachsen. Das zurückhaltendste Timbre im Vergleich ist erneut ein Fall für den Earl, der keine Pferde scheu machen will.
BMW R nineT Pure: Cool Runnings
Auf den ersten Blick wirkt die Pure wie einfach eine abgespeckte Version der R nineT Familie. Der Benjamin, dem die Reste zufallen. Erst bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass diese Interpretation ein Holler ist. Die Pure führt der R nineT mit ihrem reduzierten Look einen völlig neuen Charakter zu und muss – aus dem richtigen Blickwinkel – eigentlich als coolster Vertreter ihrer Familie gelten. Ohne Chi-chi, ohne Theaterdonner, ohne Farbenspiele.
Bar jeglicher Schminke bleibt die Essenz eines Roadsters über – mit wuchtigem Tank, extraschlankem Sattel und breitem Lenker. So reduziert die Pure eingangs wirkt, man merkt rasch, dass genau an den richtigen Stellen Hochwertigkeit herrscht: bei der Alu-Gabelklemmung mit Logo, den edlen Alu-Fußrastern, dem konifizierten Alu-Lenker oder den Alu-Blenden bei den Lufteinlässen seitlich am Tank.
Diese Einstiegsversion in die Welt der R nineT ist klarerweise auch als Ausgangspunkt für Customizing gedacht, entsprechend lässt sich der Heckrahmen einfach abschrauben (und beispielsweise gegen einen Einsitzer austauschen), außerdem bietet BMW einen fast schon endlosen Katalog an Möglichkeiten. In diesem Punkt haben die Bayern ganz klar die Nase vorne, gefolgt von Ducati. Honda ist offenbar eher der Meinung, dass jeder Umbau die CB1100EX nur hässlicher machen würde. Womit sie recht behalten könnten.
Unsere Pure war nur ganz dezent modifiziert, hauptsächlich mit den Speichenrädern, eigentlich eine Pflicht-Ausstattung. Die weiteren Optionen reichen hin bis zu Zylinderkopfdeckel im Zweiventil-Stil – teuer, aber hinreißend. Dass man auch für die Basis-Traktionskontrolle ASC aufzahlen muss, ist hingegen weniger schön. Und dass man keinen Drehzahlmesser, ja nicht einmal eine Ganganzeige hat (obwohl ein Feld dafür frei wäre), das grenzt schon an Sparen aus Leidenschaft.
Beim Fahren fallen sofort drei Tatsachen auf. Erstens: Die Pure besitzt mit Abstand am meisten Punch, das war bei den Leistungswerten allerdings zu erwarten. Zweitens: Sie beschallt uns mit dem lautesten, kernigsten, auffälligsten Auspuffsound. Wie es diese Kulisse durch die Zulassung geschafft hat, bleibt offen, appetitlich ist das Orgelkonzert aber allemal. Und drittens: Die Sitzposition ist am wenigsten ins Bike integriert, wirkt mit dem breiten Lenker fast wie bei manchen Zwischenkriegsbikes. Gewöhnungsbedürftig, aber danach kein Problem mehr.
Beim Fahren eher störend ist die vergleichsweise störrische Art, Kurven anzugehen. Daran mögen der breite Hinterreifen und der serienmäßige Lenkungsdämpfer ihren Anteil haben. Auf jeden Fall sind engere Radien oder Kehren nicht das Lieblingsthema der R nineT, auch die Dosierbarkeit der Bremse geschieht nicht so einfach und intuitiv wie bei den beiden anderen Bikes. Die kleinen Schwächen führen dann auch dazu, dass man sich im kurzgedrehten Straßenverlauf, wie schon erwähnt, ganz schön anstrengen muss, um das Leistungsplus auch in Führungskilometer umzusetzen.
Und abseits des Gehetzes? Da nimmt die BMW eine Mittlerrolle zwischen Ducati und Honda ein. Nicht ganz so aufgedreht und wild wie die Italienerin, aber doch frecher als die Japanerin. Sie spielt mit, wenn man das Potenzial des Motors freilassen will, pusht den Fahrer aber nicht so extrem wie die Ducati. Der spezielle Charakter des Boxermotors lässt es ebenso zu, genussvoll übers Land zu cruisen. Und darum geht’s ja irgendwie auch, bei dieser vielleicht schönsten Art des Motorradfahrens.