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BMW R 1300 RS TestHeisses Reisen
Man sieht’s ihr schon an der Nasenspitze an: Die neue RS will auch noch die letzten Reste an Biederkeit, die man aus den Achtziger-, Neunzigerjahren mitgeschleppt hat, abstreifen. Die Maske ist schmaler, zugespitzter, keilförmiger. Die Augen funkeln streng, und können dank eines Kunstgriffs besonders kompakt ausfallen: die beiden Fernlicht-Scheinwerfer ducken sich unter die Verkleidung, sind praktisch unsichtbar. Wellenförmige Seitenlinien kaschieren den Tank. Das Heck ist steil, rank und schlank. Keine Frage: So schneidig hat eine RS in der mittlerweile fast 50-jährigen Modellgeschichte noch nie ausgesehen.
Dieser Ansatz wird bei unserem Testmotorrad durch die Wahl des Style „Performance“ nochmals verstärkt. Hier kommen all die klassischen Lidstriche aus der Welt des Sports zum Einsatz, man lässt kaum ein Klischee aus: rote Feder am Federbein, goldene Gabelrohre, rote Schriftzüge an den schwarzen Rädern, rote Streifen am Tank und am Soziussitz, ein roter Einsatz am Sportsitz für den Fahrer, ein kleiner, dunkler Windschild, ein Motorspoiler, das Sportfahrwerk.
Die Krümmer sind dunkel verchromt, die Handhebel gekürzt und gefräst, die Fußrasten verstellbar und ebenfalls gefräst. Letztlich ist um 3609 Euro auch das Dynamik-Paket inbegriffen, mit Quickshifter, Fahrmodi Pro, Sportbremse und dem neuen elektronischen Fahrwerk DSA (Dynamic Suspension Adjustment). Es ersetzt das mittlerweile serienmäßige Dynamic ESA.
Manche werden fragen: Wo ist die gutmütige Reisekuh hinverschwunden, die treue, butterschmalzige, etwas pummelige RS? Wer ihr nachtrauert, hat immerhin die Möglichkeit, das neue Modell in die ganz andere Richtung als die vorliegende zu modifizieren: Mit geradem, hohem Komfortlenker, beheizten Sofasitzen, hohem Windschild und vollem Gepäcksystem lässt sich die Sportlichkeit der 1300 entgraten und das Pendel in Richtung „Tour“ bewegen.
So aber, wie sie jetzt vor uns steht, richtet sich der Kompass ganz klar auf die schnelleren Etappen des Lebens aus. Dazu fügt sich auch die leicht verschärfte Sitzhaltung, mit etwas weiter hinten montierten Rasten und einem minimal tiefer gesetztem Lenker. Definitiv keine Schonhaltung für Touren ans Nordkap, aber doch allemal erträglich, wenn man in der Körpergröße nicht weit über den Durchschnitt geschossen ist. Und: Der Sportsitz erweist sich als extrem gut gebaut und komfortabel, da wird man kein Gejammer hören. Eher schon von den Handgelenken, nämlich immer dann, wenn es technischer wird, man viel daran werken und sich bei heftigen Bremsmanövern abstützen muss.
Ein Kompromiss ist freilich auch der kleine Windschild, der nun nicht mehr über einen kleinen Hebel in zwei Positionen verstellbar ist – man muss ihn direkt angreifen und hochziehen oder hinunterdrücken. Angesichts seiner begrenzte Bauform verrichtet er gute Dienste, entlastet den Oberkörper, aber sorgt für einen stark gestiegenen Lärmpegel im Helm. Immerhin treten keine Verwirbelungen auf, nicht einmal bei deutschem Autobahntempo.
Über den Antrieb brauchen wir eigentlich nicht viele Worte zu verlieren: Er entspricht zur Gänze jenem der GS, die wir aus unserem Dauertest im Vorjahr bestens kennen. Wer Boxermotoren mag, wird hier der Krone der Schöpfung begegnen: antrittstark, kultiviert, fast völlig frei von Lastwechseln, dabei niemals aufdringlich oder laut, nicht einmal mit dem montierten Krawallovic, dessen Vorzüge zum Glück im Design und der Gewichtseinsparung liegen. Auch der Spritverbrauch bleibt im Rahmen, je nach Fahrweise rechne man mit knapp unter fünf Litern oder einem guten halben Liter mehr. Um es über 5,5 Liter im Schnitt zu bringen, muss man niedrige Drehzahlen wirklich sehr hassen – oder extrem flott über die Autobahnen bügeln.
Das kann die neue RS übrigens besser als die meisten anderen Motorräder. Unfassbar, wie stoisch, stabil, gelassen sie bei Highspeed auf dem Asphaltband liegt, wie unnatürlich unaufgeregt man schnelle Kurven im Raketentempo durchfliegt. 246 Stundenkilometer sind möglich, mehr als mit jeder anderen aktuellen Boxer-BMW.
Den Speed-Rekord der seligen HP2 Sport erreicht die RS damit zwar nicht, aber im Gegensatz zu dem damals zugespitzten Performer besitzt sie auch die allerbesten Manieren in jedem Einsatzbereich, in der Stadt genauso wie auf Landstraßen: bayrische Hochkultur in sportlicher Verpackung.
Auf den Landstraßen wird es dann nochmals ein enges Match: Wer fasziniert mehr, der Motor oder das Fahrwerk? Am Ende haben wir uns für letzteres entschieden, das als DSA nicht nur die Dämpfung, sondern auch die Federrate on the fly beeinflusst. Das Ergebnis ist schlicht atemberaubend. Die RS ist ja kein leichtes Bike – mit 245 Kilo fahrfertig sogar etwas schwerer als ihre Vorgängerin – und auch keineswegs kompakt.
Aber wie geschmeidig und präzise sie sich einlenken lässt, wie stabil sie in Schräglage ihre Spur hält, das müssen wir als neue Referenz in diesem Segment einordnen. Man fast sofort Vertrauen und bewegt das Bike auf eine forsche Art und Weise, wie es bei einer RS noch nie zuvor denkbar war. Herrlich wild und trotzdem kontrolliert, moderne Technik macht’s möglich.
Gleichzeitig kann das clevere Fahrwerk auch ein unglaublich hohes Maß an Komfort bieten, der sich speziell bei Kanaldeckeln oder anderen groben Absätzen als segensreich erweist. Auf Tastendruck lässt sich die Dämpfung alternativ in einen Dynamik-Modus versetzen, der deutlich anders wirkt: Jetzt werden Kanaldeckel durchaus zur Gefahr für die Gesundheit, während sich die schnellen Kurven speziell auf glattem Asphalt nochmals schärfer durchschneiden lassen.
Damit wir keinen reinen Lobgesang anstimmen: Es gibt auch ein paar Punkte, die man nicht so gut finden muss. Der Blick in die Rückspiegel könnte eine Spur besser sein, der Quickshifter wie üblich vor allem in den unteren Gängen beim Hinaufschalten geschmeidiger (das Herunterschalten passiert perfekt – außerdem steht alternativ das ASA zur Wahl).
Und obwohl bei uns schon die Sportbremse verbaut war, würden wir uns nochmals schärfere Verzögerungsleistungen bei etwas besserer Dosierbarkeit wünschen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Motor und Fahrwerk eine so überraschend hooliganartige Performance zulassen, dass man auch in den anderen Bereichen noch mehr Hypersport erwartet.
Man gewöhnt sich eben schnell an Überraschungen. Vor allem an so erfreuliche.