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Ducati Streetfighter V2 2025 TestFriedensangebot
Früher gehörte die schlechte, oder sagen wir schwierige Fahrbarkeit von Ducatis Diven zum guten Ton. Früher. Die Zeiten von Gerassel, Geschepper und Gepolter scheinen endgültig. Vorbei, das bestätigen nicht nur die jüngsten Testfahrten mit der Streetfighter V2 und den vom gleichen neuen Motor angetriebenen Multistrada V2 und Panigale V2, sondern sogar der Höllenritt mit der Streetfighter V4. Wenn so die Hölle aussieht, wird niemand in den Himmel wollen.
Und so beginnen wir bei der entscheidenden, hauptsächlichen Erkenntnis unserer außergewöhnlich schönen Testrunde in Almeria: Die Streetfighter V2 zählt zu den fahrerfreundlichsten und fahrbarsten Modellen, die Ducati je gebaut hat. Die Rideability, wie es in internationaler Sprache heißt, ist hier perfektioniert, für Bologneser Verhältnisse, was im Kern am neuen 890-Kubik-Aggregat mit variabler Ventilsteuerung liegt, das ganze 35 weniger leistet als sein Vorgänger. Der Abstand zur V4, die ihrerseits nochmals stärker geworden ist und den Murl der Panigale erhalten hat, war den Italienern zu klein.
Dafür beträgt er jetzt fast unvorstellbare 100 PS. Und noch was dürfte man vergessen haben: Die günstigere Monster ist mit 111 PS dem Fighter jetzt dicht auf den Fersen. Tatsächlich flackern Erinnerungen an das legendäre und erfolgreichste Pferd aus dem Borgo-Panigale-Stall auf, das aber weder die Sportlichkeit noch Stabilität, noch das neutrale Fahrverhalten der Streetfighter erreichen kann. Dennoch: So ein paar Tausend Euro sind auch bei Ducati-Kunden ein Argument, zumal sie zu jenen des unteren Preissegments gehören.
Schauen wir uns einmal an, was man sonst noch fürs Geld bekommt. Neben dem typischen und seit vielen Jahren unerreichten extravaganten Design, das nie ins Ordinäre oder Angeberische abgleitet, ist die Streetfighter V2 mit der üblichen Fülle an Fahrassistenzsystemen ausgestattet, die von Kurven-ABS und schräglagensensitiver Traktionskontrolle bis zur achtstufigen Wheelie-Control und Power Launch reicht. Die Einstellungen werden über ein 5-Zoll-TFT-Instrument und ein neues Steuerkreuz vorgenommen, die vier Fahrmodi können auch über eine Schnellauswahltaste während der Fahrt gewechselt werden.
Die Menüstruktur wurde ebenfalls überarbeitet und macht die Konfiguration der Elektronik noch einfacher. Zum Serienumfang zählen beim Standardmodell weiter ein Sachs-Lenkungsdämpfer und der Quickshifter 2.0. Das Öhlins-Fahrwerk, eine Lithium-Ionen-Batterie und die Monoposto-Konfiguration bleiben der S-Version vorbehalten. Dafür muss man hier den Sozius dazukaufen, ebenso die Connectivity, eine USB-Steckdose, die Reifendruckkontrolle und den Tempomaten.
Nützliche Tools für den Alltag, den man mit dem freundlichsten Streetfighter aller Zeiten gerne bestreiten wird wollen. Das Naked Bike ist so zugänglich und klar verständlich, dass sofort der reine, ungetrübte Fahrspaß das Kommando übernimmt. Mit einem im Vergleich zur Vorgängerin um ganze 30 Millimeter breiteren Lenker und einer um dasselbe Maß längeren Schwinge im Vergleich zur Panigale, har der Fahrer von den ersten Metern ein starkes Kontrollgefühl und muss sich auch beim harten Beschleunigen und in schnellen Radien keine Sorge um Unruhe im Fahrwerk machen – das gilt zumindest für das feine Schwedengold.
Ob ein Hinterreifen in 190er-Breite wirklich sein musste, werden Ästheten vermehrt mit einem lauten „Si“ beantworten, aber auch die Pragmatiker werden sich nicht beschweren können, wenn sie merken, dass er sich nicht negativ auf die Agilität auswirkt. Ducati schaffte es schließlich sogar der Diavel mit ihrer 240er-Walze Dynamik zu verleihen. Das liegt daran, das es sich eben nicht mehr um Walzen handelt, sondern um Reifen mit einer sehr starken Krümmung. Dadurch kippt man leichter in Schräglage. Und es führt dazu, dass man Schwierigkeiten hat, den Reifen auf der Straße bis an den Rand zu fahren.
Anders ist das beim Thema Leistung. Wir können nicht behaupten, an manchen Stellen nicht ein wenig mehr Leistung vermisst zu haben. Die Kraftentfaltung des L-Twin, der zur Waagrechten um 20 Grad nach oben gedreht an einem Alu-Monocoque hängt und nur 54,9 Kilo wiegt, bietet mit der variablen Ventilsteuerung zwar eine sehr gleichmäßige Kraftentfaltung und wirkt keineswegs schwach, aber 35 PS sind eben 35 PS. Auf der anderen Seite muss man bedenken, dass man auch damit weit in die Illegalität vordringt. Ein Gedanke, der sich in naher Zukunft nicht nur beim Gesetzgeber verstärkt hervortun wird.
Ein Motorrad ist aber ohnehin mehr als die Summe seiner Pferde und so genießt man die überlegene Wirkungsmacht der Brembo-Bremsanlage, die präzise und athletische Dämpfung des Öhlins-Fahrwerks und nach und nach das Verschmelzen mit dem Fahrzeug, an das keine Fragen mehr gestellt werden müssen. Außer vielleicht jene nach dem Standgeräusch, zumal die V4 gerade einmal einen Dezibel leiser geworden ist und jetzt bei 105 dBA hält. Der 890er liegt mit 95 dBA im legalen Irgendwo-in-Tirol-Bereich, klingt aber trotzdem gut, so wie heute Formel-1-Autos gut kingen. Und das ist nicht sarkastisch gemeint.
Ducati bewegt sich also wieder Richtung Mitte – außer beim Preis natürlich – und versucht, den Einstieg in seinen exklusiven Kreis nicht nur über die Scrambler-Linie zu öffnen. Ob das auf diese Art gelingen kann, wird sich weisen. Zumindest wäre hiermit ein weiterer Beweis erbracht, dass (Höchst-)Leistung nicht alles ist.
Eine gute Nachricht gibt es noch zu vermelden: Die Service-Intervalle liegen auch für dieses Modell bei 30.000 Kilometer (Ölwechsel 15.000 km). Jetzt strebt man 40.000 Kilometer an.
