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Test: Ducati Multistrada V2 S 2025Arrivederci Desmo
Ducati bricht mit einer alten Tradition und verabschiedet sich bei der neuen Multistrada V2 von der Desmodromik. Stattdessen setzt man auf eine variable Ventilsteuerung mittels konventioneller Federn – ein Schritt, der für ein Midsize-Tourenmotorrad durchaus Sinn macht. Der 90°-V2 mit 890 Kubik Hubraum leistet 116 PS und 92 Nm Drehmoment, wobei 70 % des Drehmoments davon bereits ab 3.000 U/min anliegen. Tatsächlich verbessert der Verzicht auf Desmodromik die Laufruhe spürbar und soll auch die Wartungskosten zukünftig senken. Und offen gesagt: Auch die Produktionskosten dürften für Ducati deutlich niedriger sein. Ein klarer Vorteil für Hersteller und Touren-Kunde.
Besonders beeindruckend ist die Gewichtsreduktion des Motors – ganze 6 kg leichter als der Vorgänger! Insgesamt fühlt sich die Multistrada V2 S trotz 1570 Millimeter Radstand äußerst handlich und agil an, laut Ducati will man an Antrieb und dem Aluminium-Monocoque-Hauptrahmen mit angeschraubtem Stahlgitter-Heckrahmen insgesamt 18 kg eingespart haben – eine Behauptung, die wir erst auf unserer Redaktionswaage in ein paar Wochen verifizieren können. In der Praxis kann die Multi jedoch tatsächlich mit flinker Agilität punkten. Der neue 8V-Motor kommt ab sofort auch in der Panigale V2 und der Streetfighter V2 zum Einsatz (dort mit 120 PS), in der Multistrada verfügt er jedoch über eine spezifische Abstimmung: kürzerer erster Gang, längerer sechster Gang und 20 % mehr Schwungmasse. Diese Änderungen machen sich vor allem in niedrigen Drehzahlen bemerkbar, wo der Motor nun beachtlich geschmeidig und lastwechselfrei arbeitet.
Im Vergleich zur Vorgänger-Multistrada fällt sofort die neue Sanftheit auf. Der Motor schnurrt förmlich schon im Leerlauf, die Vibrationen sind spürbar reduziert, und das gesamte Ansprechverhalten wirkt geschmeidiger. Hardcore-Ducati-Fans mögen die fehlende Desmo-Technik betrauern – für Tourenfahrer jedoch ist das neue Aggregat ein Gewinn. Was verloren geht? Möglicherweise ein wenig Charisma und eine Prise Explosivität beim Vortrieb. Der Durchzug ist gut, aber nicht spektakulär. Man kann allerdings jederzeit schnell überholen – nur der vehemente Punch, den man vielleicht erwartet, bleibt aus. Dennoch: 116 PS reichen im Landstraßenbetrieb völlig aus, und die Multistrada V2 S ist sowohl eine komfortable als auch kurzweilige Begleiterin für lange Reisen.
Ein weiterer Vorteil auf Langstrecken: Ducati gibt 5,5 Liter WMTC-Verbrauch an, in der Praxis sind tatsächlich Werte zwischen 5,2 und 6,0 Liter realistisch. Dank des 19-Liter-Tanks sind je nach Fahrweise und Streckenprofil so Reichweiten von weit über 300 km möglich – ein weiteres Argument für Tourenfahrer.
In puncto Design orientiert sich die neue Multistrada V2 an ihrer Panigale-Schwester. Der überarbeitete Lufteinlass in der Seitenverkleidung soll die Hitzeentwicklung an den Beinen reduzieren – ein nettes Detail für den Langstreckeneinsatz. Auch der entspanntere Kniewinkel und die neue, schmalere Sitzbank fallen auf Anhieb positiv auf (mit einer verstellbaren Sitzhöhe von 830 bis 850 mm). Wer noch tiefer sitzen will, kann eine niedrigere Sitzbank (810 bis 830 mm) ordern, was besonders kleineren Fahrern entgegenkommt. Außerdem sind ein Tieferlegungskit (minus 2 Zentimeter) und eine hohe Sitzbank verfügbar. Für überdurchschnittlich effizienten Windschutz ab Werk sorgt der während der Fahrt höhenverstellbare Windschild.
Das 5-Zoll-TFT-Display mit drei Anzeigemodi ist leicht ablesbar und nun endlich über ein simples Steuerkreuz intuitiv bedienbar – eine dringend notwendige Verbesserung gegenüber der umständlichen Menüführung früherer Ducati-Modelle. Zudem kommt die S-Variante mit Smartphone-Konnektivität: Musiksteuerung etc. sowie Pfeil-Navigationsanweisungen (optional) können direkt auf dem Display angezeigt werden.
Alles, was das Herz begehrt, bieten die elektronischen Assistenzsysteme. Die Multistrada V2 S ist ein technisches Kraftpaket: Kurven-ABS, schräglagenabhängige Traktionskontrolle, Motorbremskontrolle, Wheelie-Control, Gasannahme und fünf Fahrmodi (Wet, Urban, Touring, Sport, Enduro) sind mit an Bord und jeweils je nach Präferenz fein einstellbar. Dazu kommt serienmäßig ein Quickshifter (Version 2.0), der in der Praxis tatsächlich butterweiche Schaltvorgänge ermöglicht. Lediglich ein radargestützter Tempomat fehlt – ansonsten ist das Paket außergewöhnlich komplett für eine „Mittelklasse-Reiseenduro“ (bezogen auf die Leistungsdaten, nicht auf den stattlichen Anschaffungspreis von 20.995 Euro!). Ein absolutes Highlight ist das semi-aktive Skyhook-Fahrwerk, das sich in vier Modi per Knopfdruck anpassen lässt: Dynamik, Komfort, Low Grip und Offroad. Eine Investition von 3000 Euro im Vergleich zum V2-Basismodell, die sich lohnt, denn sie macht das Chassisverhalten sowohl in flotter Fahrt deutlich stabiler als auch komfortabler auf Langstrecken.
Bei den Bremsen überzeugt die Multistrada V2 S mit Top-Performance von Brembo. Die hochwertige Anlage mit 320-mm-Doppelscheiben vorne und 265-mm-Scheibe hinten sorgt für exzellente Verzögerung. Auch die Fahrzeug-Gewichtsreduktion auf 202 kg (ohne Benzin, ca. 216 Kilo vollgetankt) macht sich beim Verzögern positiv bemerkbar. In Kombination mit den serienmäßigen Pirelli Scorpion Trail-2-Reifen ergibt sich ein stabiles und dennoch wendiges Fahrverhalten.
Fazit: Die Evolution der Multistrada V2 ist mit einem Preis von 20.995 Euro für die S-Variante kein Schnäppchen, doch die gebotene Technik und Ausstattung rechtfertigen den Aufpreis gegenüber dem deutlich günstigeren Basismodell (16.995 Euro). Vor allem das Skyhook-Fahrwerk ist ein großer Pluspunkt für Vielfahrer, die eine schnelle Anpassung an Streckenprofil und Beladung wünschen. Außerdem sind die langen Wartungsintervalle (Ventilspielkontrolle erst alle 30.000 km) sowie vier Jahre Garantie ein echtes Kaufargument. Wer ein tourentaugliches, dynamisches Motorrad mit modernster Elektronik-Vollausstattung sucht, wird hier fündig. Ducati hat mit der neuen Multistrada V2 S eine kompakte Reiseenduro geschaffen, die Langstreckenkomfort mit Sportlichkeit vorbildlich vereint. Der Wegfall der Desmodromik mag für Ducati-Traditionalisten ein Wermutstropfen sein, doch für alle anderen ist er ein kluger Schritt in Richtung Alltagstauglichkeit und Effizienz. Unbedingt Probe fahren – vielleicht ist ausgerechnet die herrlich kultivierte Multistrada V2 jene Ducati, auf die man insgeheim schon immer gewartet hat.
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