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Test: Husqvarna 701 Rallye vs KTM 790 Adventure RThe biggest Loser
2019, nach meiner ersten anspruchsvollen Testfahrt mit der neuen 790 Adventure R in der Wüste Marokkos, war für mich auf Anhieb klar: In Sachen Offroadtauglichkeit kann dieser KTM aktuell kaum eine andere Zweizylinder-Reiseenduro das Wasser reichen – die Yamaha Ténéré 700 vielleicht ausgenommen. Allerdings muss ich die Aussage weiter präzisieren: „Sofern es sich um ein in Serienproduktion gefertigtes Adventure Bike mit mehr als einem Zylinder handelt.“
Achilles hatte seine Ferse, Bill Clinton seine Büropraktikantin und H.C. Strache seinen Ibiza-Ausflug – und so ist auch die 790 Adventure R nicht ganz frei von Makel und Schwäche. Die Motorradmagazin-Umfrage in den sozialen Medien brachte es ans Licht: Dem harten Kern der Offroad-Abenteurer und Weltenbummler sind die rund 210 Kilo Fahrzeuggewicht der KTM schlicht viel zu schwer.
Nachvollziehbar, denn während Supersport-Piloten am Stammtisch mit den PS-Werten ihrer Fahrzeuge protzen, unterbieten sich Enduro-Reisende derweil lieber mit den Gewichtsangaben. Echte Offroad-Abenteuer in Afrika, Südamerika, der Mongolei oder dem hohen Norden Skandinaviens sind bekanntlich stets eine Reise ins Ungewisse. Ergo weiß man nie, ob die breite Piste voraus nicht hinter der nächsten Ecke zum engen Wanderpfad mit überraschenden Hindernissen mutiert. Wenn Bäche, Baumstämme, Schlammlöcher, Sandverwehungen oder ein Felssturz den Pfad versperren, kann sich Übergewicht daher nicht nur auf den Pilotenkörper kritisch auswirken.
Die Suche nach einem schlanken, offroadtauglichen, zuverlässigen und robusten Langstreckenfahrzeug, im Idealfall mit einer Prise Rallye-Charisma, bleibt derzeit jedoch erfolglos – der Markt bietet ab Werk keinerlei ernsthafte Optionen unter 200 Kilo.
Dank monatelanger Recherchen und Experimente hat das engagierte Team des Husqvarna/KTM Flagshipstores Wien nun aber eine hervorragende Lösung in petto, die jene schmerzliche Lücke in der Produktvielfalt schließt. Statt ein vergleichsweise fettes Zweizylindermotorrad abzuspecken, wird das bewährte Einzylindermodell von Husqvarna standesgemäß für ausgiebige Geländeexpeditionen und Marathonetappen aufgerüstet.
Kern des 701-Enduro-Upgrades (siehe unten) sind ein modifizierter Rallye-Tower mit der originalen Plexiglas-Kuppel einer KTM 450 Dakar und ein 5,9-Liter-Zusatztank hinter dem Lenkkopf, der von einer komfortablen Sitzbank abgedeckt wird. Der exakte Umfang des Umbaus wird auf Kundenwunsch maßgeschneidert, die Gesamtkosten für das abgebildete Fahrzeug belaufen sich auf rund 16.400 Euro – also rund 1000 Euro mehr als die Anschaffung einer KTM 790 Adventure R, die vollgetankt jedoch mehr als 50 Kilo (!) schwerer ist.
Mit insgesamt knapp 19 Liter Tankinhalt fällt das Benzinvolumen der Husqvarna trotzdem nur um einen Liter kleiner aus als jenes der KTM 790 Adventure R, die Reichweite ist unterm Strich sogar größer: Mit 4,7 Litern bleibt der Durst der Austroschwedin erfreulich bescheiden, ihre orange Schwester aus Mattighofen verbrauchte bei unserer Vergleichsfahrt um 8,5 Prozent mehr Treibstoff.
Selbstverständlich ist die Investition in eine individualisierte Rallye-701 nur dann sinnvoll, wenn man auch vorhat, regelmäßig und ausgiebig abseits des Asphalts unterwegs zu sein. Trotzdem schlägt sich die 701 Rallye im Landstraßenabschnitt unserer geländelastigen Testrunde deutlich souveräner als vorab vermutet. Der Windschutz hinter dem Rallye-Tower übertrifft sogar jenen der KTM, der Kniewinkel ist merklich entspannter, der Knieschluss herrlich eng, beinahe wie auf einer waschechten Sportenduro. Die Bewegungsfreiheit auf der Sitzbank von Seat Concepts ist scheinbar unendlich, während Polsterung und Form tatsächlich für die Langstrecke taugen – sofern man nicht allzu empfindlich ist oder sie mit einer Tourensänfte à la BMW GS vergleicht.
Dank der zweiten Ausgleichswelle im Zylinderkopf sind Vibrationsarmut und Laufruhe für Einzylinderverhältnisse einzigartig und stehen dem Zweizylindertriebwerk der 790 Adventure R kaum nach – keine Spur von tauben Fingern oder kribbeligem Hintern. Die exzellente Kinderstube des 693-Kubik-Singles mit knapp 75 PS und 71 Newtonmetern steht sportlichen Fahrleistungen dennoch nicht im Weg. Eindrucksvoll sprintet die leichte und vergleichsweise agile Husky aus dem Stand vorwärts, bis Tempo 120 liegt sie überraschend mit der 95 PS und 88 Newtonmeter starken KTM exakt auf Augenhöhe. Erst kurz vor Autobahngeschwindigkeit kann der 799-Kubik-Twin sein Power-Ass ausspielen und den schwedischen Eintopf endlich abschütteln.
Ebenfalls Kopf an Kopf liegt das ungleiche Mattighofener Duo beim Durchzugsvergleich, wo die kürzere Getriebe- und Endübersetzung erfolgreich das Nennleistungsmanko der Husqvarna ausgleicht. Die Einfachbremsscheibe der 701 überzeugt wegen des niedrigen Fahrzeuggewichts mit tadelloser, fein dosierbarer und völlig ausreichender Bremsleistung, während an der KTM nicht grundlos eine Doppelscheibe montiert ist. Die moderne TFT-Informationszentrale der KTM, Fahrmodi, eine Traktionskontrolle, Kurven-ABS und den exzellenten Quickshifter der 790 Adventure R sucht man an der Husqvarna 701 trotz des optisch nahezu perfekt ausgeführten Rallye-Umbaus natürlich weiterhin vergeblich. Dafür brilliert der eloxierte Aufbau mit 12-Volt- und USB-Steckdose, LED-Scheinwerfern und vier griffigen Kippschaltern. Mehr braucht ein echter Abenteurer auch nicht, wie wir im ausgiebigen Offroad-Vergleich selbst erproben durften.
Der 701-Einzylinder reagiert selbst bei niedrigsten Drehzahlen willig auf Befehle des rechten Handgelenks und hängt direkter am Ride-by-Wire-Gasgriff als sein Zweizylinderkontrahent. Die Traktion lässt sich dank leichtgängiger Hydraulik-Kupplung (KTM: Seilzug) auch ohne elektronische Helferlein vorbildlich dosieren. Trotzdem, wer die Husky sicher, kontrolliert und dennoch flott im Gelände bewegen will, sollte wissen, was er tut, und über entsprechendes Fahrkönnen verfügen. Auf der KTM dagegen wacht die je nach Fahrmodus mehr oder weniger intensiv regelnde Traktionskontrolle als „Sicherheitsnetz“ über allzu grobmotorisches Walten und damit den Schlupf des Metzeler-Karoo-3-Hinterreifens. In den beiden Geländemodi (Offroad, optional: Rallye) wird die Schräglage beim Algorithmus der TCS-Funktion übrigens nicht mit einkalkuliert.
Seine beachtliche Elastizität verdankt der 701- Einzylinder zu einem gewissen Teil auch dem Rallye-Umbau: Um Platz für den Zusatztank zu schaffen, wurde der Luftfilterkasten entfernt. So darf die Husky nun spürbar freier durch den Schaum-Filter atmen.
Die WP-Fahrwerkskomponenten sowohl der Husqvarna als auch der KTM gehören zum Besten, was ab Werk in ein Serienmotorrad verbaut wird. Dennoch spricht die 701 im Gelände ein Alzerl feiner auf Unebenheiten an, was unter anderem auch den mit 275 Millimetern längeren Federwegen geschuldet sein dürfte. Doch auch 24 Zentimeter bei der KTM 790 Adventure R sind für derbes Terrain jederzeit ausreichend und die 17 Millimeter geringere Bodenfreiheit als bei der Husqvarna (280 Millimeter) ist im „Gehackten“ selten entscheidend über Sieg oder Niederlage.
Wo viel Licht ist, findet sich bekanntlich auch Schatten – und so muss sich die Husqvarna 701 Rallye gegenüber der KTM auch einige Nachteile eingestehen. Bei 95 Zentimeter Sitzhöhe thront der Zweiradabenteurer auf der Husqvarna sieben Zentimeter höher im Sattel als auf der KTM, obendrein ist der Schwerpunkt an der 790 Adventure wegen der eigenwilligen Position des Treibstoffreservoirs deutlich tiefer positioniert. So pflügt die üppige KTM stabil und stoisch durch weichen Boden und lässt sich unerwartet leichtfüßig durch enge Passagen dirigieren. Ebenfalls flink im langsamen Slalom (allein schon wegen ihrer geringeren rotierenden Massen im Motor) ist zwar auch die hochbeinige, schlanke Husqvarna 701, wegen des Zusatztanks und des aufragenden Rallye-Towers wächst die Kippgefahr aber weiter.
Die MM-Geländefahrt überstehen sowohl KTM als auch Husqvarna umfall- und damit kratzerfrei – zur großen Erleichterung des neuen 701-Rallye-Eigentümers, der mit seinem exklusiven Enduro-Einzelstück den Trans Euro Trail unter die Continental-TKC-80-bereiften Räder nimmt. Wir bedanken uns für die Testmöglichkeit und wünschen gute Reise.
Der Umbau im Detail
Wer schon eine Husqvarna 701 Enduro um 11.799 Euro in der Garage stehen hat, sollte für den abgebildeten Rallye-Umbau von Husqvarna Wien insgesamt rund 4600 Euro einkalkulieren.
Das Herzstück ist der schwarz eloxierte Tower von Nomad, der inklusive Plexiglas der KTM 450 Dakar, LED-Scheinwerfern mit Prüfzeichen, vier Kippschaltern, USB-Port und 12V-Steckdose mit rund 1100 Euro zu Buche schlägt. Die Sitzbank von Seat Concepts um 410 Euro verbessert den Langstreckenkomfort drastisch, die robuste Gepäckplatte von Perun um 150 Euro trägt selbst schwere Lasten und der Nomad-Unterfahrschutz um 190 Euro überlebt auch schwungvolle Kollisionen. Das massive Schutzgitter von Husqvarna bewahrt um rund 100 Euro den Kühler vor fatalen Steinschlägen, geschlossene Alu-Handguards (ca. 100 Euro) sind bei einem Rallye-Bike ohnehin selbstverständlich.
Für die Erweiterung des 13-Liter-Originaltanks am Heck greift man bei der Wiener Husqvarna-Niederlassung zu einem 5,9-Liter-Kunststofftank von Rade um zirka 430 Euro. Dieser Zusatzbehälter ist im Unterschied zum Tower-Umbau in Österreich aber nicht typisierbar. Obsolet wird diese Maßnahme für all jene, die beim Kauf der 701 Enduro gleich zur LR-Version (Long Range) mit zusätzlichem 12-Liter-Fronttank (insgesamt damit 25 Liter) - sie kostet mit 12.799 Euro exakt 1000 Euro mehr als die Standard-Version.
Hobbymechaniker können sich theoretisch auch selbst am 701-Upgrade versuchen, sogar der Profischrauber arbeitete am abgebildeten Testmotorrad aber schon zirka 14 Stunden (ca. 1500 Euro). Die Kosten für die Erstellung eines TÜV-Gutachtens und die Eintragung belaufen sich auf rund 600 Euro.
Michael Brandner vom Husqvarna Flagshipstore in Vösendorf ist Experte für den technischen Umbau und die notwendigen Behördenwege, er kalkuliert und schneidert je nach individuellem Kundenwunsch das passende Rallye-Paket.
Bilder Husqvarna 701 "Enduro zu Rallye" Umbau von Husqvarna Wien: