Leeren ›

Österreichs Plattform
Symbol, das darstellt, dass dieses Magazin 24h am Tag und 7 Tage die Woche verfügbar ist
für schräges Leben

Leseprobe gefällig?

Bitte, gerne! Einfach auf das Vorschaubild klicken und schon startet der Download.

Kiosk-Button
menu
Christoph Lentsch
Autor: Mag. (FH) Christoph Lentsch
christoph.lentsch@motorrad-magazin.at
1.2.2023

Vergleich Mittelklasse NakedsGemischtes Doppel

Schön sein müssen sie sowieso und uns an besser geglaubte Zeiten erinnern, als wir selbst noch jung und frisch waren, mit schier unbändiger Lebensenergie und -freude ausgestattet, ohne von den Sorgen der sinnleeren Existenz in einem von unendlichem Wachstum getriebenem System der Geldgier zerfressen zu werden. 

Es geht also wieder um die gute alte Zeit und um das gute und echte Motorrad – aber nicht in alt, sondern in neu. Und neu heißt nicht nur zuverlässig, sondern auch verlässlich und dynamisch. Heute muss ein Motorrad exakte Befehle befolgen und darf beim Rechtsfahren nicht so ungefähr rechts fahren, oder beim Bremsen irgendwann mal bremsen. Die Geschwindigkeit spielt dabei eine untergeordnete Rolle, die Dynamik die tragende. Und so haben wir die beiden wichtigsten Kritieren für die Bewertung unseres Quartetts definiert: Schaufreude und Fahrfreude.

Moto Guzzi V7 Stone

Achtzehn-Zoll-Vorderrad, Dual-Shock, Faltenbälge, eine langgestreckte zwei-in-zwei Auspuffanlage. Wie die Triumph checkt die Guzzi alle Boxen eines Klassik-Connoisseurs. Leider gibt’s die Kreuzspeichenfelgen nur gegen Aufpreis. Serienmäßig mit an Board sind dafür eine zweistufige, abschaltbare Traktionskontrolle, ein LED-Scheinwerfer mit markantem Tagfahrlicht in stilisierter Adlerform und die Möglichkeit, das LC-Display im runden Gehäuse mit der (optionalen) Moto Guzzi Multimedia Plattform zu verbinden. Letzteres könnte Puristen optisch ein Dorn im Auge sein. Der mit der V85 TT (von der auch Kardan und Getriebe stammen) eingeführte neue Motor mit 853 Kubik leistet hier 65 PS und 73 Newtonmeter; damit lässt er seine Vorgängerin mit 52 PS und 60 Newtonmetern weit hinter sich, nicht aber die Konkurrenz.

Oder sagen wir so, man braucht Nerven und ein gottgegebenes Vertrauen, um mit diesen Bremsen und dieser Gabel mit den anderen mitzuhalten. Denn Lebendigkeit und Dynamik der Italienerin sind zweifellos so einzigartig wie rührend, wenn sich der luftgekühlte V2 erstmal ein paar Minuten aus dem Schlaf schüttelt, bis er wirklich bereit ist, durch kräftigen Zug an der Kupplung und dem Einlegen des ersten Gangs zur Pficht gebeten zu werden. 

Nur nichts überstürzen, „Chi va piano va sano e va lontano“ – Wer langsam geht, geht gesund und weit. Und weit geht es mit der Guzzi allemal, mit ihrem 21-Liter-Benzinfass fährt sie noch, wenn die anderen ihren zweiten Tankstopp planen. Im bequemsten Sattel unserer Vier mit der entspanntesten Ergonomie hält man es außerdem gerne länger aus, da nimmt man sogar die beschränkte Schräglagenfreiheit in Kauf. Die erhöhten Federwege gegenüber der V7 III machen sich ebenfalls positiv bemerkbar, das Ansprechverhalten des Fahrwerks, speziell der Gabel, könnte – nein – müsste aber besser sein.

Die Guzzi ist eben noch ein Motorrad, das einem nur auf halbem Weg entgegenkommt. Auf sie muss man sich einlassen, sich mit ihrem Rhythmus, ihrem Herzschlag synchronisieren. Dann wird man mit hundert Jahren Geschichte, Glück und Freude belohnt, die sie heuer in Mandello endlich feiern dürfen. Und wir feiern mit. 

Kawasaki Z760RS

Das Beste aus zwei Welten bietet laut unserem Art Director Paul Kawas jüngste Hommage an die Zeit der wirklich wilden Motorräder, in der es weder den Fahrer unterstützende Elektronik, noch richtige Dämpfungselemente und Bremsen gab. Nur an der Leistung hat man damals solange geschraubt, bis die Fahrwerke und damit die Fahrer völlig überfordert waren. Für das kleinste Geld im Test kann zwar auch die moderne Verkörperung der stürmischen Siebziger mit einer 41-Millimeter-Teleskopgabel und einem nur in der Vorspannung einstellbaren Federbein keine skandinavische Edelware bieten, dennoch ist sie der Leistung von 68 PS durchaus angemessen.

Nichts zu jammern gibt es auch über die Bremsleistung, wohl die beste im Vergleich und im Ansprechverhalten fast schon etwas zu bissig, wenn wir an die A2-Einsteiger denken, die diese Schönheit mit entsprechender Drosselung auch fahren können. Das mit der Ästhetik ist allerdings so eine Sache. Dass die RS viele Teile von ihrer Basis Z650 übernommen hat, die sich nicht konfliktfrei in das Gesamtbild einfügen, hat schon in den Kommentaren auf unser Testvideo für viele Diskussionen gesorgt. Blinker, Schwinge, Motor und Auspuff gehören eher in die Neuzeit, während die elegant geschwungene Verkleidung, die einteilige Sitzbank, der runde Scheinwerfer und die zwei analogen Instrumente eindeutig eine alte Sprache sprechen.

 

Auf der anderen Seite: So einen grandiosen grünen Lack (200 Euro Aufpreis) mit originalgetreuen 3D-Logos und solch fein-güldene 20-Speichen-Gussfelgen muss man in dieser Klasse erstmal hinkriegen. Gejammert wurde außerdem über den kleinen 12-Liter-Tank, damit steht die Kawa aber nicht allein da. Und sie beweist, dass sich Spaß und Sparsamkeit nicht ausschließen müssen.

Sie hängt fast so spontan am Gas wie die XSR700 und wieselt fast so leichtfüßig durchs Winkelwerk – aber eben nur fast. Dafür bietet sie mehr Komfort als die sportliche Konkurrenz und gibt der Sozia einen besseren Grund, mitzufahren. Für die gibt es aus dem Zubehör wahlweise seitliche Griffe oder einen großen, rund um das Heck laufenden Haltegriff in Chrom beziehungsweise Schwarz. 

Triumph Street Twin

Die kleine Schwester der Speed Twin setzt im Gegensatz zu jener wie die Guzzi auf ein 18-Zoll-Vorderrad. Zudem wiegt die 900er genau so viel wie die 1200er, nämlich 216 Kilogramm, der Radstand mißt um 37 Millimeter mehr und der Lenkkopf steht flacher. Nicht die besten Voraussetzungen für einen klassischen Kurvenräuber, im Gegenteil. Mit der Yamaha und der Kawasaki fährt man in engen Kurven und Spitzkehren mit spielerischer Leichtigkeit innen an der extrem steifen Triumph vorbei, mir der man sich regelrecht um die Ecke quält und sehr weite Radien nehmen muss.

Sogar für die Guzzi ist die verkrampfte Engländerin im Winkelwerk leichte Beute, die hier eindeutig nicht in ihrem Element ist. Entspannen kann sie sich erst am gelösten Landstraßengeläuf, wo sie ihrem Reiter die ganze Pracht ihres drehmomentstärksten Motors präsentieren kann. Schon bei 3800 Touren stehen achtzig Newtonmeter zur Verfügung und von einem satten, sonoren Bollern begleitet, genießt man das souveränste Fahrgefühl im Feld. Da kann man auch gerne auf einen sechsten Gang verzichten. Auf weiten Linien machen das größere Vorderrad und der lange Radstand wieder Sinn, schließlich ist die Street Twin ein weich gepolstertes Genussmotorrad, das Fahrer wie Beifahrer mit hohem Komfort und fett gummierten Fußrasten verwöhnt. 

Als Einzige kann sie neben einer abschaltbaren Traktionskontrolle zwei Fahrmodi bieten, Road und Rain, was angesichts des vergleichsweise hohen Drehmoments gar nicht so schlecht zu haben ist. Äußerst angenehm ist auch die sehr leichtgängige, drehmoment-unterstützte Kupplung. Nur der niedrige Sitz könnte je nach Körpergröße für einen etwas zu spitzen Kniewinkel sorgen, großgewachsene Fahrer sollten sich definitiv nach etwas anderem umschauen.

Zwar ist die Triumph mit 10.290 Euro (plus 200 Euro für „Cobalt Blue“) die teuerste im Vergleich, doch sollte man nicht die großzügigen 16000-Kilometer-Serviceintervalle und vier Jahre Werksgarantie für in Österreich und Deutschland verkaufte Fahrzeuge vergessen. Und schließlich wird auch die Auswahl von über 120 Originalzubehörteilen für Käufer eines Modern Classics von erhöhtem Interesse sein.

Yamaha XSR700

Ist der CP2-Motor von Yamaha der beste in der gesamten Mittelklasse? Möglich, aber soweit möchten wir uns lieber nicht aus dem Fenster lehnen. Trotz leichter Leistungseinbußen durch Euro-5 hängt der Reihenzweier mit Crossplane-Kurbelwelle so freudvoll und lebendig am Gas, dass nicht nur Wheelies leicht von der Hand gehen. Wäre die XSR ein Mensch, würde man sie als eine richtige „Düs’n“ bezeichnen: immer dabei, immer gut gelaunt, mit unbändiger Lust am Leben gesegnet.

Als Einzige ist sie mit einem ausgewachsenen 180er-Hinterreifen ausgestattet und auch mit einer Sitzhöhe von stattlichen 835 Millimetern steht sie ganz wie eine Große da. Schrecken muss man sich davor nicht, die Kombination schmaler Tank und sich nach vorne stark verjüngende Sitzbank sorgen für eine moderate Schrittbogenlänge. Bei der Gestaltung der XSR hat sich Yamaha mehr distinktive Elemente überlegt, die für die gesamte Baureihe typisch sind, wie das auf dem kurzen Heckfender sitzende Rücklicht, die dezentral montierte Instrumenteneinheit, oder die runden und elliptischen Ausnehmungen an diversen Verkleidungs- und Blechteilen. 

Zudem erfreuen uns die Japaner immer wieder mit klassischen Designs, hier allerdings in etwas uninspirierter Weise mit minimalem Aufwand umgesetzt. Wenn man der XSR etwas vorwerfen kann, dann, dass sie schon etwas zu clean, zu geradlinig, zu modern ist – was auch an der weissen Farbe liegen mag, die, wie wir wissen, gar keine ist. Während die anderen drei Modelle in jenes emotionale Zentrum vordringen, das unser Verlangen nach dem ständigen Abtasten der Grenzen der physikalischen Realität ausser Kraft setzt und den bedingungslosen, nicht leistungsbezogenen Genuss zur obersten Maxime erklärt, steht bei der Yamaha eindeutig die Performance im Vordergrund. Das als Vorwurf zu werten, ist allerdings relativ. Im Schmelztiegel von gestern und heute ist eben nicht ganz eindeutig.

Fazit: Selten gingen die Meinungen bei einem Vergleichstest so weit auseinander wie bei diesem Vintage-Shootout. Daran ist abzulesen, wie unterschiedlich die Anforderungen von Motorradfahrern an ihr Fahrzeug ist. Doch während das Überprüfen von Fahr- und Bremsleistungen anhand objektiver Bewertungskriterien von beispielsweise Supersportlern auf der Rennstrecke noch ein eindeutiges Ergebnis zu Tage führt, kann man Emotionen nicht in standardisierte Messeinheiten pressen, siehe dazu „Club der toten Dichter“.

Will man nicht nur einen Motor, der möglichst effizient ein Rad antreibt, sondern der lebt, atmet und in dem noch das Feuer der Leidenschaft brennt, dann wird man zur Guzzi greifen. Sie zählt zu den letzten Vertreterinnen einer aussterbenden Gattung luftgekühlter Originale, deren Zukunft ungewiss ist. Ein Grund mehr, sich noch eine zu holen. Wer einen nicht minder prototypisch-zeitlosen Look sucht, aber feiner, sorgfältiger verarbeitet und mit besseren Manieren bedacht, dem wird das Pendant aus dem Vereinten Königreich am meisten Freude bereiten. 

Sonderprüfung wird man damit allerdings keine holen. Da hat man mit der Kawasaki oder der Yamaha bessere Chancen und welche der beiden nun die Nase vorn hat, entscheidet einzig und allein die Priorisierung der Performance. Da ein Motorrad allein ohnehin kein Rennen gewinnt, könnte man auf die paar PS mehr der XSR verzichten, aber es ist nicht nur die Leistung, sondern auch die einzigartige Kraftentfaltung, die der Yamaha nüchtern betrachtet den Sieg verschaffen. Der Hedonist in uns will sich aber auch an schönen, runden Formen ergötzen. Und da laben wir uns lieber am lustvollen Leib der Kawasaki.

Mehr zum Thema:

Retro-Bike:

15.12.2022

BMW R nineT 100 Years und BMW R 18 100 Years für 2023 stehend nebeneinander
BMW R nineT 100 Years und BMW R 18 100 Years für 2023 stehend nebeneinander

BMW R nineT/R 18 100 Years Sondermodelle zum großen Jubiläum

BMW Motorrad beginnt die Feierlichkeiten zum stolzen 100. Geburtstag im kommenden Jahr mit der Vorstellung zweier Sondermodelle. Diese Ehre erhalten die beiden Modelle R nineT und R 18. Was die „100 Years“-Editionen auszeichnet, was sie kosten und wann sie kommen, das lest ihr hier.

weiterlesen ›

:

Leseprobe gefällig?

Bitte, gerne! Einfach auf das Vorschaubild klicken und schon startet der Download.