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Im Test: Honda NT1100 2025Mehr von (fast) allem
Drei Jahre sind selbst für japanische Erneuerungszyklen eine kurze Zeitspanne – erst recht, wenn man bedenkt, dass die NT1100 im Modelljahr 2022 komplett neu auf den Markt gekommen ist und in der Folge auch beachtliche Verkaufserfolge erzielen konnte.
Uns soll’s recht sein, immerhin bekommen wir nun noch mehr Punch, noch mehr Auswahlmöglichkeiten, verbesserte Funktionen – und ein paar Kritikpunkte des 2022er-Modells wurden ebenfalls behoben.
Bevor wir zu den Fahreindrücken unserer ersten Testfahrt bei perfekten Bedingungen in der Bergwelt Andalusiens kommen, noch einmal in aller Kürze die wichtigsten Unterschiede zwischen der bekannten und der neuen 25er-Version der Honda NT1100.
• Neu sind schräglagenabhängige Assistenzsysteme, also Kurven-ABS und Schräglagen-Traktionskontrolle. Die dafür notwendigen Sensoren füttern außerdem die Gangwechselstrategie des DCT, sollte man dafür aufgezahlt haben. In jedem Fall ist aber nun auch eine Hinterrad-Abhebeerkennung (verhindert Überschläge bei Notbremsungen) Teil des Sicherheitsnetzes.
• Der Motor wurde intern und an seiner Peripherie deutlich überarbeitet (unter anderem mit höherer Verdichtung, größerer Airbox, längeren Ansaugwegen), analog zum Zweizylinder der Africa Twin, die dieses Update schon 2024 bekam. Der Motor ist damit tauglich nach Euro5+, bietet aber auch mehr Spitzendrehmoment: 112 Nm bei 5500 U/min statt bisher 105 Nm bei 6250 U/min. Die Drehmomentkurve der neuen Abstimmung liegt in fast allen Bereichen deutlich über der bisherigen.
• Erstmals ist das elektronische Fahrwerk EERA, bekannt aus der Africa Twin, auch bei der NT1100 zu haben – allerdings nur in Kombination mit DCT. Es bietet drei konfigurierte Modi und die Möglichkeit, Dämpfung (vorne/hinten) und Vorspannung (hinten) auch individuell einzustellen.
• Das Design, speziell an der Front und den Seiten vorne, wurde weiterentwickelt. Die Blinker sind nun elegant in die LED-Tagfahrleuchten integriert; Scheinwerfer und Tagfahrlicht sind noch leuchtstärker als bisher.
• Deflektoren und Windschild wurden neu gestaltet, fallen schlanker aus. Der Windschild ist außerdem nun mit einer Hand – damit auch während des Fahrens – verstellbar.
• Die weiterhin serienmäßigen Seitenkoffer erhalten tiefere Deckel, womit das Volumen um je vier Liter steigt – genau um so viel, dass nun in jeden Koffer ein Vollvisierhelm passt. Ein Elastikband sorgt dafür, dass man die seitlichen Bänder zur Deckelsicherung beim Schließen nicht mehr einklemmt.
• Eine leichte Lithium-Ionen-Batterie ist nun serienmäßig. Die Ersparnis von 2,5 Kilo egalisiert genau die zusätzlichen Komponenten für Euro5+, das Gesamtgewicht bleibt mit 238 Kilo für das Modell ohne DCT (gemessen ohne Koffer) gleich.
• Das DCT erhält in mehrfacher Sicht Updates: Zum einen werden, wie erwähnt, die Daten der neuen 6-Achsen-Sensorbox bei der Regelstrategie der Automatikfunktion berücksichtigt. Zum anderen gibt es noch ein weiteres Update (einen zusätzlichen Algorithmus), der speziell das Anfahren und Fahren im niedrigsten Geschwindigkeitsbereich noch angenehmer und geschmeidiger macht.
• Der Fahrersitz ist etwas dicker geschäumt (ohne die Sitzhöhe von 820 Millimeter zu verändern) und neu geformt: breiter im rückwärtigen Bereich und mit abgerundeten Seiten.
• Und noch zwei Details: Der vordere Kotflügel wurde im rückwärtigen Bereich um 15 Zentimeter verlängert, um besseren Schlechtwetterschutz zu bieten, während es nun auch eine Hinterradabdeckung im vorderen Bereich (also unter der Sitzbank) gibt, die empfindliche Komponenten (Federbein) vor Matsch, Gatsch und Steinchen schützt.
Unterm Strich also: ein äußerst umfangreiches Update. Lässt sich dies auch bei einer Testfahrt erfahren?
Bei unserer großen Runde durch die herrliche Bergwelt Andalusiens stand uns ausschließlich die neue Topversion zur Verfügung, also mit DCT und dem elektronischen Fahrwerk EERA. Die Testbikes mit Doppelkupplungsgetriebe auszurüsten, ist nachvollziehbar: Bislang wählten rund zwei Drittel aller NT1100-Käufer diese Option – und es ist davon auszugehen, dass es noch mehr werden. Achtung: Wer DCT will, muss in Österreich auch das EERA mitkaufen, was freilich kein Nachteil ist, wie wir gleich sehen werden. In Deutschland ist die NT1100 auch in der Kombination mit DCT und mechanischem Fahrwerk zu haben.
Bevor wir genauer auf das EERA eingehen noch kurz zum Motor: Wie schon bei der Africa Twin ist auch bei der NT1100 das Plus an Power sofort spürbar. Der Motor wirkt in jeder Situation nochmals souveräner, und wenn man für ein flottes Überholmanöver einmal das Gas beherzt aufziehen muss, dann kann man sich über eine deutlich krispere Beschleunigung freuen. Außerdem klingt der Auspuffsound eine Spur kerniger, bleibt aber im Grunde noch immer dezent.
Von diesem Mehr an Kraft profitiert auch das Zusammenspiel des Motors mit dem DCT. Wir haben ja öfter schon bemängelt, dass die Automatiksteuerung im D-Modus zu früh in den nächsten Gang schaltet. Bei den dann anliegenden extrem niedrigen Drehzahlen tat sich der Motor dann schwer, in Schwung zu kommen. Dieser Vorwurf ist nun so gut wie vom Tisch gewischt, da der Motor unten und in der Mitte mehr Reserven hat.
Spürbar ist auch, dass die Steuerungslogik die Schräglage in ihre Entscheidungen über den Zeitpunkt des Gangwechsels miteinbezieht. Durchfährt man eine Kurve, so zögert die Elektronik den Schaltpunkt hinaus. Mit dieser und einigen weiteren kleinen Verbesserungen ist das DCT mittlerweile auf einer hohen Reifestufe angekommen. Wir waren diesmal den ganzen Tag in „D“ unterwegs und hatten kein einziges Mal das Bedürfnis, durch eigenes Eingreifen die Entscheidungen der Steuerungselektronik zu korrigieren.
Nun zum elektronischen Fahrwerk: Es wirkt auf den ersten Metern eine Spur straffer als sein bekanntes, mechanisches Pendant (das beim Basismodell unverändert von der bisherigen NT1100 übernommen wird), lässt sich aber durch vielfältige Abstimmungsmöglichkeiten ebenfalls zu einer sehr komfortablen Arbeitsweise motivieren.
Der große Vorteil liegt aber in der erhöhten Fahrpräzision: Die NT1100 lässt sich mit diesem System deutlich exakter steuern und damit – wenn’s einmal sein soll – auch erstaunlich dynamisch bewegen. Sehr gut: das Feedback für den Fahrer, manchmal ein Manko bei elektronischen Systemen. Hier spürt man hingegen exzellent, was im Erdgeschoss der Fortbewegung passiert und fasst dementsprechend schnell Vertrauen zum Motorrad.
Dazu kommt natürlich der praktische Vorteil einer schnellen Einstellbarkeit: Die drei programmierten und zwei selbst konfigurierbare Dämpfungsmodi kann man genauso während der Fahrt wechseln wie die Vorspannung am Federbein. Letztere besitzt vier Basis-Setups, die man ebenfalls verfeinern kann. Insgesamt stehen für die Federvorspannung 24 Stufen zur Verfügung, während man für die Dämpfung (Zug- und Druckstufe kombiniert) vorne und hinten jeweils neun verschiedene Möglichkeiten zwischen straff und weich vorfindet.
Wir hatten natürlich bei unserem ersten Test nicht die Möglichkeit, alle Varianten durchzuklicken, aber doch ein wenig experimentiert und können bestätigen, dass die Spreizung beachtlich ist; es sollte also problemlos zu schaffen sein, die NT1100 auf sein Gewicht und seinen Fahrstil anzupassen.
Aber auch wer nicht gerne tüftelt und tippt, kann die Vorteile des EERA zu seinem Vorteil nutzen; die drei programmierten Dämpfungs-Setups reichen im Grunde, um je nach Laune und Strecke ein wenig mehr Komfort oder Driektheit zu erzeugen.
Was spürt man noch? Den neuen Fahrersitz. Er ist straffer als der bisherige, aber die Form mit breiterem rückwärtigen Bereich gefällt uns gut. Der neue Bezugsstoff ist allerdings ein wenig rutschiger. Wer noch mehr Bequemlichkeit sucht, kann zum schön verarbeiteten Komfortsitz im Zubehörprogramm greifen.
Nun zum Windschutz und einer guten und weniger guten Nachricht. Zuerst die gute: Die neue Verstellung der Scheibe funktioniert friktionsfrei, auch das Bedienen während der Fahrt gelingt sehr gut.
Die schlechte Nachricht: aufgrund der sportlich-schmäleren Gestaltung der Scheibe ist der Windschutz nicht mehr ganz auf dem Niveau der hervorragenden Vorgängerin. In der höchsten Position hatten wir (Körpergröße 1,80 Meter) deutliche Turbulenzen auf der Oberseite des Helms; diese verschwinden zwar, wenn man die Scheibe um eine Stufe nach unten justiert, dann hat man allerdings nicht mehr den vollen Windschutz. Das Fahren mit offenem Helm – problemlos möglich bei der bisherigen NT1100 – ist so bei der neuen nicht mehr denkbar.
Auch der Handschutz, der durch die transparenten Wings an der Front erzeugt wird, ist um eine kleine Spur weniger effektiv als bisher. All das – wir müssen es betonen – gilt im Vergleich zur aerodynamisch außergewöhnlichen Vorgängerin. Für sich genommen ist der Windschutz auf der neuen NT1100 immer noch sehr, sehr gut.
Das Update der Koffer hat seinen Zweck vollständig erreicht: Helme flutschen problemlos in die Kunststoffgehäuse, und dass die NT1100 damit um insgesamt fünf Zentimeter breiter wird, fällt optisch keineswegs ins Gewicht.
Nicht testen konnten/mussten wir die kleinen Maßnahmen zum (Un-)Wetterschutz und – zum Glück – auch nicht die Wirkungsweise der neuen Schräglagen-Assistenzsysteme.
Unser Resümee: Wir hatten die NT1100 seinerzeit als Punktlandung im Touring-Segment bezeichnet, mit vielen angenehmen Eigenschaften, die sie sowohl für lange Reisen als auch für Kurztrips qualifizierten – ausgestattet mit vielen serienmäßigen Goodies wie dem Tempomaten, Heizgriffen, dem Hauptständer, den umfassenden Connectivity-Funktionen (Apple CarPlay/Android Auto!) und nicht zuletzt bereits mit den passenden Seitenkoffern. All das im Paketpreis und mit der Option auf das DCT, womit das Reisen nochmals entspannter wird.
All diese Grundtugenden werden nun entweder noch schärfer ausgeprägt oder dank zusätzlicher Ausstattungen erweitert. Mehr Punch, mehr Hightech dank des superb funktionierenden EERA-Fahrwerks, zusätzlicher Stauraum in den Koffern, lichtstärkere Scheinwerfer und vor allem das nun komplette Sicherheitspaket inklusive Kurven-ABS machen die NT1100 nun noch fitter für die vielfältigen Anforderungen, mit denen ein solcher Allrounder konfontiert werden könnte. Dass man in puncto Windschutz eine kleine Stufe unter dem bisherigen Modell liegt, kann man da wohl hinnehmen. Außerdem: Was sollte man sonst beim nächsten Mal verbessern?
Honda NT1100 Modelljahr 2025: die Preise
Österreich:
Honda NT1100: 16.690 Euro
Honda NT1100 DCT EERA: 19.290 Euro
Deutschland:
Honda NT1100: 14.990 Euro
Honda NT1100 DCT: 16.090 Euro
Honda NT1100 DCT EERA: 17.490 Euro