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Clemens Kopecky
Autor: Mag. (FH) Clemens Kopecky
clemens.kopecky@motorrad-magazin.at
3.2.2018

Kawasaki Ninja H2 SX TestTouring unter Druck

Ein Motorrad ist erst dann schnell genug, wenn man davor steht und Angst hat aufzusteigen. Davon bin ich persönlich aufrichtig überzeugt. Denn neben vieler praktischer, kluger Argumente, mittels derer man im Gespräch mit Kritikern des motorisierten Zweirades gerne Überzeugungsarbeit zu leisten versucht, macht besonders eine Eigenschaft bestimmte Motorräder für mich unfassbar begehrenswert:  die pure Unvernunft ihres Daseins.

Ein Paradebeispiel dafür ist die neue Kawasaki H2 SX mit Kompressor-Motor, 200 PS und 137 Newtonmetern (4 Nm mehr als bei der Standard H2). Streng genommen ist auf öffentlichen Straßen ein Sport-Tourer mit solch beinahe grotesker Übermotorisierung vollkommen überflüssig – besonders in einer Zeit, in der die gesetzlich erlaubte Höchstgeschwindigkeit im Verkehr auf Drängen vieler (sogenannter) Verkehrsexperten sukzessive weiter beschnitten wird. Trotzdem gebührt Kawasaki höchstes Lob für die Courage ihre elitäre High-Speed-Waffe H2R (beziehungsweise ihr straßenhomologiertes Supersport-Pendant H2) nun auch zum mutigen Touren-Fahrzeug umzufunktionieren, das dank größerer Produktionsstückzahlen (und weniger Handarbeit bei der Fertigung) für ein breiteres Publikum erschwinglich sein wird. Die H2 SX wird als stark abgespecktes Basis- und voll ausgerüstetes SE-Modell verfügbar sein. Die SE-Version, durch die grün-schwarze Lackierung optisch leicht identifizierbar, konnte ich auf Landstraße und Rennstrecke ausgiebig testen.

Die Eckdaten der H2 SX SE haben wir bereits hier präsentiert. Nochmals zur Erinnerung: im Vergleich zur H2 drei Kilo abgespeckter, modifizierter Motor mit drehmomentorientierter Abstimmung, deutlich höherer Verdichtung, überarbeiteten Kolben schlankeren Ansaugkanälen und 12.500 Touren Maximaldrehzahl. Für Sozia-Betrieb adaptierter Gitterrohrrahmen mit dickeren Stahlrohren, längerer Schwinge und 195 Kilo Zuladung. 19-Liter-Tank, 30 Grad Lenkeinschlag, kürzere Übersetzung, schlanker Schalldämpfer (minus 2 kg), Gepäckhalterung für optionale Koffer, LED-Kurvenlicht, TFT-Display, Tempomat, Launch-Control, schräglagengesteuerte Assistenzsysteme, Quickshifter (up/down), Heizgriffe, Hauptständer, 12-Volt-Anschluss, und, und, und. Obendrein soll die 25 Prozent sparsamere H2 SX kaum mehr Benzin verbrauchen als Z1000SX oder Versys 1000. Sitzkomfort und Ergonomie sind irgendwo zwischen geduckter ZZR1400 und relativ aufrechter Z1000SX angesiedelt.

Hand aufs Herz: muss man das Fahrerlebnis auf dem jüngsten H2-Modell direkt nach einem Proberitt beschreiben, denkt man keine Sekunde an das Farbdisplay im Cockpit, die smarte Elektronik oder den überraschend großen Sitzkomfort – allzu emotional und einprägsam ist das unfassbare Kompressor-Kraftpaket zwischen den Schenkeln, dessen Gewalt alle anderen Features der H2 SX in den Schatten stellt. So sehr, dass es schwer ist das imposante Fahrerlebnis in Worte zu fassen. Will man das Wesen der grünen Speed-Queen aus Japan begreifen, bleibt eigentlich nur der Selbstversuch.

Beim beherzten Öffnen der Drosselklappen fällt der Hammer. Ein Ruck geht durch die Kawasaki und mein Gesäß wird vehement an die Vorderkante des Beifahrersitzes gepresst. Ansatzlos sprintet die H2 SX von mittlerer Drehzahl mit enormem, scheinbar unerschöpflichem Punch vorwärts. Gierig saugt der Lader gigantische Mengen Luft mit hohem Tempo in sein Verdichtergehäuse. Bei Höchstdrehzahl rotiert der CNC-gefräste Impeller mit über 100.000 Umdrehungen pro Minute (9x öfter als die Kurbelwelle) – weit mehr als Schallgeschwindigkeit. Untermalt von diesem Supersonic-Zwitschern des Kompressors verschwimmen erst die Verkehrszeichen, dann Zeit und Raum vor meinen Augen. Die Fahrbahn-Leitlinien fetzen vorbei wie Laserstrahlen in „Star Wars“ und man wartet insgeheim auf den Sprung durch die „Lichtmauer“. Oder das Doppel-Blitzen einer Radarbox.

Keine Sekunde kommt der Gedanke auf, dass der Grünen trotz montierter Seitenkoffer rein motorisch jemals die Puste ausgehen würde. Im Gegensatz zu ihrem Piloten: High-Speed im öffentlichen Straßenverkehr ähnlich dem Ritt auf der Kanonenkugel und man neigt zum Atem anhalten. Die Kawasaki kann jedoch nichts dafür, trotz des Touring-Equipments wurde sie ursprünglich für den Geschwindigkeitsrausch geboren – der Mensch hinterm Lenker jedoch nicht.

Aerodynamisch ausgefeilt hält die H2 SX unfassbar stabil Spur und die Vierkolbenzangen beißen nicht übertrieben bissig, aber tadellos dosierbar in die 320er-Stahlscheiben. Der brutale Fahrtwind rüttelt trotz der (an der SE-Version serienmäßigen) hohen Plexiglasscheibe nicht nur am Helm, sondern auch an den Piloten-Nerven. Nach einigen Sekunden nimmt man mit feuchten Händen freiwillig Gas zurück und entspannt sich bei (im Auge des strengen Gesetzeshüters) immer noch deutlich zu rasanter Reisegeschwindigkeit. Sich bei Schneckentempo 130 auf der Autobahn kasteien? Das erscheint auf Tour mit der H2 SX beinahe unvorstellbar.

Aber auch bei absolut gesetzeskonformer Fahrt auf der Landstraße habe ich der H2 SX meine volle Aufmerksamkeit geschenkt. Tatsächlich hätte ich nie gedacht, dass sich die imposante portugiesische Küstenlandschaft auf dem Kawasaki-Kraftpaket dermaßen entspannt genießen lässt. Mit erstaunlich einfachem Handling und moderater Sitzposition sammelt die H2 SX überraschend viele Sympathiepunkte und taugt sogar für den Stadtverkehr, ohne dass der Pilot beim flotten Touren Performance-Kompromisse akzeptieren muss. So lassen sich auch beschauliche, ausgedehnte Motorrad-Reisen schmerzfrei aushalten. In Schräglage taucht die vollgetankt 260 Kilo schwere H2 SX SE überraschend leichtfüßig und widerstandslos, an Stabilität und Zielgenauigkeit im Kurven-Radius gibt es dank ausgefeilter Geometrie und edlem Kayaba-Fahrwerk ebenfalls nichts zu meckern. Abgesehen vom Helm ist der Oberkörper effizient vor Fahrtwind geschützt. Der Quickshifter funktioniert tadellos selbst bei niedriger Drehzahl, dank Tempomat bringt man Autobahn-Etappen auch ohne Angst vor einer Zivilstreife souverän über die Bühne. Die Verarbeitung des im japanischen Akashi gefertigten Technologie-Vorreiters ist obendrein makellos, in ihm konzentriert sich die gesamte Handwerkskunst des Kawasaki-Konzerns. Das Serviceintervall der H2 SX fällt mit 12.000 Kilometern großzügig aus. Der harte Gaseinsatz wurde im Vergleich zur Standard-H2 drastisch verbessert, könnte aber gerade im besonders oft genutzten zweiten Gang noch eine Spur sanfter ausfallen. Unglaublich, dass sich die Kawa beim genüsslichen Cruisen komplett anders anfühlt als bei Vollgas-Orgien. Brachialen Vortrieb liefert das 998 Kubik Vierzylinder-Triebwerk wirklich nur auf expliziten Piloten-Wunsch. Sanft und unschuldig wie ein Klosterschüler säuselt die H2 SX dezent durch die Landschaft und lässt nicht ansatzweise den Orkan erahnen, mit dem sie beim schwungvollen Gasgeben plötzlich den Fahrer infernalisch nach vorne reißt. Nur gut, dass die Traktionskontrolle das impulsive Hinterrad effizient im Zaum hält.

Nach dem ersten Test-Tag steht fest: die H2 SX ist gar nicht so befreit von den Konventionen der Vernunft wie anfangs vermutet. Tatsächlich beweist sie in der Praxis, dass man auch auf einem ultrapotenten Kompressor-Boliden dank entsprechender Modifikationen herrlich auf Reisen gehen kann. Zwar braucht es fürs sportliche Touren nicht zwangsläufig 200 PS oder Ladedruck, aber was spricht schon gegen ein paar Extra-Kraftreserven, wenn man beispielsweise am Weg nach Frankreich auf der Autobahn das Deutsche Eck flott hinter sich lassen will?

Ich meine: eine ordentliche Portion Leistung hat noch nie geschadet – und jeder Pilot kann schließlich selbst entscheiden wann er auf die immense Power-Reserve zurückgreifen will. Es ist nunmal ein gutes Gefühl zu wissen, dass man jederzeit könnte, wenn man nur wollte. Die H2 SX ist also durchaus auch ein Motorrad für den Verstand, noch mehr jedoch fürs Herz. Kein anderer Sport-Tourer kann ansatzweise bieten, was es auf der grimmig fauchenden Kompressor-H2-SX in Überdosis gibt: pulsierendes Adrenalin und große Emotionen. Ihre Einzigartigkeit erkauft man sich jedoch recht teuer. Technologie hat nunmal ihren Preis. Schon für die konventionelle H2 SX muss man 23.499 Euro hinblättern. Weil man beim Standard-Modell jedoch auf viel zu viele Key-Features (Launch-Control, Quickshifter, TFT-Display, LED-Kurvenlicht, TFT-Display, Stahlflex-Leitungen, gefräste Räder, usw.) verzichten und die Komfort- und Touringausstattung extra ordern muss, ist die edle H2 SX SE um 27.499 Euro zweifellos allererste Wahl – und angesichts ihrer üppigen Vollausstattung gar nicht überzahlt.
Motorrad Bildergalerie: Kawasaki H2 SX SE 2018
Testpilot-Bekleidung: Helm: HJC RPha11 Kylo Ren, Tourenkombi: Stadler Race Pro / Track Pro, Stiefel: TCX S-Race GTX

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