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Clemens Kopecky
Autor: Mag. (FH) Clemens Kopecky
clemens.kopecky@motorrad-magazin.at
8.5.2018

KTM 790 Duke TestDie große Chance

Zwischen der 690 Duke mit 72-PS-Einzylinder und der 1290 Super Duke R mit brachialem 175-PS-V-Twin klaffte bis jetzt eine riesige Lücke in der Straßen-Modellpalette von KTM. Angesichts florierender Absatzzahlen in jenem Zwischen-Segment ein schmerzlicher Faux-Pas, den man sich bei Europas größtem Motorrad-Hersteller auf Dauer nicht leisten kann. Denn in unseren Breiten sind rund 70 Prozent aller verkauften Motorräder Naked-Bikes, und auch in Nordamerika wächst die Nachfrage nach unverkleideten Sport-Boliden kontinuierlich. Also tüftelten rund 250 KTM-Mitarbeiter in zirka 110.000 Arbeitsstunden am perfekten Streetfighter für die Naked-Bike Mittelklasse. Nach 900.000 Test-Kilometern ist die neue, zukünftig global erhältliche 790 Duke nun serienreif und bereit für den Krieg gegen Yamaha MT-09, Kawasaki Z900 und Triumph Street Triple.

Befeuert wird der „Skalpell“ getaufte, jüngste Spross der Duke-Familie von einem von Grund auf neu entwickelten DOHC-Reihenzweizylinder mit 75 Grad Hubzapfenversatz, dessen Kompaktheit sämtliche Konkurrenz-Triebwerke schockierend adipös wirken lässt. Der R-Twin mit 799 Kubik, 105 PS und 86 Newtonmetern ist kaum größer als das Einzylinder-Aggregat der 390 Duke und Grundlage für den unvergleichlich athletischen Körperbau der 790 Duke, der unter Midsize-Naked-Bikes im Moment einzigartig ist. Auch beim Gussalu-Rahmenheck verzichten die Orangen auf jegliche Plastik-Verkleidungen, was den 825 Millimeter niedrige Streetfighter extraschlank zwischen den Schenkeln macht. Mit einem optionalen Tieferlegungs-Kit kann die Sitzhöhe sogar auf bis zu 780 Millimeter reduziert werden. Beim Fahrwerk verbaut KTM sowohl an der Front als auch am Heck progressive Federn, die auf kleine Unebenheiten sanft Ansprechen, für sportliche Fahrweise jedoch jederzeit über genug Reserven verfügen. Die Upside-Down-Gabel von WP mit 43-Millimetern-Standrohrdurchmesser und Open-Cartridge-Bauweise wurde eigens für die 790 Duke entwickelt und bewusst weniger steif konstruiert als die größer dimensionierte Frontaufhängung der Super Duke R.

In Sachen elektronischer Assistenzsysteme ist die 10.998 Euro günstige 790 Duke auf Augenhöhe mit ihrer deutlich teureren Super-Duke-Schwester: Kurven-ABS mit Supermoto-Modus, schräglagenabhängige Traktionskontrolle, Launch-Control, Wheelie-Control, Bluetooth-Konnektivität (optional) und vier Riding-Modes (Rain, Street, Sport, Track) sind ab Werk mit an Bord. Im Unterschied zum KTM-Flaggschiff ist bei der 790 Duke sogar der Track-Modus ab Werk ohne Aufpreis freigeschalten, in dem sich die Sensibilität der Traktionskontrolle neunfach justieren, die Wheelie-Kontrolle deaktivieren und die Direktheit der Gasannahme separat adaptieren lassen. Sämtliche Funktionen werden über den bereits von anderen KTM-Modellen bekannten, intuitiv bedienbaren TFT-Bordcomputer mit Farbdisplay gesteuert, der selbst bei direkter Sonneneinstrahlung einwandfrei zu entziffern ist. Serienmäßig wird auch der neue Quickshifter geliefert, der in Zusammenarbeit mit Bosch explizit für den neuen Motor entwickelt wurde und sowohl beim Hinauf- als auch beim Herunterschalten besser funktioniert als viele Schaltassistenten an deutlich teureren Motorrädern. Das knackige, präzise Sechsganggetriebe mit kurzen Schaltwegen ist obendrein wohl das mit Abstand beste, das je in einer Serien-KTM seinen Dienst verrichtet hat.

Wir haben der neuen 790 Duke sowohl auf Landstraße als auch auf einer flotten Kart-Rennstrecke intensiv auf den Zahn gefühlt und können attestieren: das Skalpell trägt seinen Spitznamen definitiv zu recht. Das straffe Chassis liefert glasklare Rückmeldungen und trifft die angepeilte Linie mit chirurgischer Präzision. Bevor man diese Stärke der 790 Duke effektiv nutzen kann, braucht es jedoch ein paar Kilometer Eingewöhnungszeit: wegen ihrer fast schon hyperagilen Front giert die 790 Duke am Kurveneingang geradezu nach Schräglage und kippt absolut widerstandslos in engste Radien. Selbst bei vollem Tempo wechselt man auf der vollgetankt 174 Kilo leichten 790 Duke während nur eines Wimpernschlags von einer Schräglage in die nächste. Diese Kurvengier erfordert anfangs erhöhte Konzentration und sensible Lenkimpulse. Spätestens bei der ambitionierten Kurvenhatz im engen Winkelwerk will man die fantastische Wendigkeit jedoch nie wieder missen. Dabei gilt: je enger die Kurvenpassagen, desto besser – hier ist gegen die neue KTM definitiv kein Kraut gewachsen. Dabei bietet der Arbeitsplatz durchschnittlich großen Piloten großzügige Bewegungsfreiheit. Die Position des 76 Zentimeter breiten Lenkers ist zur individuellen Feineinstellung vierfach justierbar. Der schlanke, straffe Fahrersitz ermöglicht bei sportlichem Fahrstil jederzeit problemlose Positionswechsel, der zierliche 14-Liter-Tank spreizt die Oberschenkel nur minimal. Eng wird es im Sattel des grazilen Streetfighters erst ab 185 Zentimetern Körpergröße, dann leidet außerdem der coole Auftritt unter den ungleichen Proportionen von Fahrer und Untersatz. Auch auf ausgiebigen Genuss-Touren bei Bummeltempo oder im Alltags-Einsatz gibt die 790 Duke keinerlei Anlass für Kritik, sofern man das seidige Street-Setting aktiviert und auf einem Streetfighter ohnehin keinen Windschutz erwartet. Schließlich heißt es ja nicht umsonst „Naked Bike“.

Trotz ihrer Handlichkeit kann die 790 Duke auch in weiten, zügigen Radien mit hoher stabiler Souveränität brillieren. Nicht zuletzt, weil der Reihen-Zweizylinder im Sport- und Track-Modus ultradirekt am Gas hängt und zwischen 5000 und 9000 Touren stets mehr als 70 Newtonmeter Drehmoment parat hält. Egal wann man druckvolle Power für einen Zwischensprint braucht, die Kraft ist jederzeit spontan abrufbar. Damit entpuppt sich die 790 Duke während unserer Testfahrt als eindrucksvolle Bestätigung der Hypothese, dass mehr als 100 PS im Landstraßen-Betrieb absolut nicht notwendig sind. Brachiale Spitzenleistung à la 1290 Super Duke R macht zwar Spaß, bringt aber in der kurvenreichen Praxis keine nutzbaren Vorteile – verwinkelte Bergstraßen sind ab sofort das Jagdrevier des Mittelklasse-Herzogs, da kann selbst seine durchtrainierte Superlativ-Schwester nicht mithalten. Wer die 790 Duke stets im richtigen Drehzahlbereich bewegt, wird sich auf Landstraßen garantiert nie über Kraftmangel beklagen. Die Traktionskontrolle bekommt dabei dank der wohlportionierten Power während des Kurvenrauschs erstaunlich wenig zu tun, weil sich die Kraftentfaltung über den Ride-by-Wire-Gasgriff selbst auf rutschiger Fahrbahn immer superfein dosieren lässt. Racer freuen sich außerdem über das mit wenigen Handgriffen umkehrbare Schaltschema, das bei gelegentlichen Ausflügen auf die Rennstrecke gute Dienste leistet – hier sind den günstigen Fahrwerkskomponenten der 790er trotz ihrer harmonischen Dämpfer-Grundabstimmung jedoch naturgemäß Grenzen gesetzt.

Wo ist also das Haar in der Suppe? Beinahe unglaublich, aber nach den ersten 300 Kilometern mit der 790 Duke fällt gerechtfertigte Kritik schwer. Warum also Erbsen zählen? Kein Zweifel, dass der Rotstift für einige Günstig-Komponenten an dem Skalpell verantwortlich zeichnet um den attraktiven Preis möglich zu machen. Ihre Funktion erfüllen die „Günstig-Parts“ jedoch absolut einwandfrei. Zum Beispiel die Bremszangen: sie ziert statt des berühmten Brembo-Logos ein nüchterner KTM-Schriftzug. Hergestellt werden sie vom spanischen Zulieferer J. Juan, trotzdem sind Dosierbarkeit und Bremskraft hervorragend, obwohl die Stopper einsteigerfreundlicher und weniger aggressiv zupacken als jene der 1290 Super Duke R. Die 790er-Erstbereifung liefert die für Straßen-Pneus bislang unbekannte taiwanesische Marke Maxxis, die schon seit einigen Jahren die Sportenduros von KTM ausrüstet. Der Supermaxx ST getaufte Gummi wurde in Kooperation mit KTM entwickelt und leistet sich zumindest auf den überdurchschnittlich mit Grip gesegneten Straßen unserer Testrunde auf Gran Canaria keine merkbare Schwäche. Auch die mechanische Betätigung der Anti-Hopping-Kupplung per Seilzug funktioniert tadellos und leichtgängig, obwohl ein hydraulisches System natürlich edler und langlebiger wäre. Aber allen Ernstes namhafte Komponenten bis ins letzte Detail zu verlangen, würde angesichts des absolut fairen Preis-Leistungsverhältnisses der neuen KTM fast schon an eine Unverschämtheit grenzen. Die 790 Duke funktioniert in allen Belangen einfach gut und einwandfrei. Wir erwarten das neue Naked-Bike daher schon in Kürze unter den Top-5 der heimischen Verkaufsstatistik.

 

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