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Peter Schönlaub
Autor: Peter Schönlaub
peter.schoenlaub@motorrad-magazin.at
17.4.2021

Triumph Tiger 900 Dauertest-BilanzEine Saison im Sattel des britischen Adventurebikes

Auf fast 2000 Meter Seehöhe bilanzieren wir eine Saison im Sattel der rundum neuen Mittelklasse-Reiseenduro aus Hinckley. Gelang der Neustart?

Gedanken unterm Helm: Kann man Engländern, deren höchste Erhebung – der Scafell Pike – lächerliche 978 Meter Seehöhe erreicht, eine aufs Montane orientierte Reiseenduro überhaupt zutrauen? Das ist ja so, also würden wir Binnenösterreicher Hochseejachten bauen.

Eine kurze Recherche zeigt: Genau das tun wir auch, und zwar ziemlich erfolgreich: Ein in Salzburg konstruiertes und gebautes Hochsee-Segelboot wurde erst 2019 zur „European Yacht of the Year“ gewählt. Na dann.

Es kommt offenbar nicht darauf an, wo man etwas entwickelt und baut, sondern mit wie viel Leidenschaft, auch wenn das abgedroschen klingt. Im Fall der Triumph Tiger 900 trifft diese Aussage auf jeden Fall zu. Die Neuauflage der Mittelklasse-Reise­enduro ist, wir können es vorwegnehmen, eine Punktlandung und für uns eine der erfreulichsten Neuerscheinungen der vergangenen Saison.

Für unser abschließendes Resümee haben wir eine Foto-Location gewählt, die alle Talente der Tiger 900 nochmals fordert und am Ende auch gut zur Geltung bringt: die Panoramica delle Vette. Bei der weiten Anreise ins Friaul muss sie ihre Qualitäten auf der Langstrecke zeigen, bei den engen Kehren ihre Wendigkeit und Leichtfüßigkeit beweisen und auf der Schotterstrecke unterhalb des Bergkamms dürfen die langen Federwege sowie das gute Handling Sicherheit geben.

Damit bildet dieses mit 28 Kilometern vergleichsweise kurze Geläuf fast das ganze Spektrum ab, das wir uns von einer modernen Reiseenduro erwarten. Fast, denn heutzutage sind wir schon sehr anspruchsvoll geworden. Wir erwarten uns zudem dynamische Talente auf schnelleren Etappen und moderne Assistenzsysteme sowie Connectivity für weiterführende Funktionen, etwa Navi-Streaming vom Smartphone.

Bevor wir ins Detail gehen, noch ein letzter Blick auf die imposante Bergkulisse der Friauler Dolomiten – und eine kurze Erinnerung an die vielen Sta­tionen, die unsere Dauertest-Tiger im Lauf der Saison durchlaufen musste.

Dazu zählen die Selbstmontage von Zubehörteilen (Ausgabe 4/20), ein Vergleichstest mit der gesamten Kon­kurrenz (5/20) und ein innerfamiliäres Duell zwischen der GT Pro und unserer Rally Pro (7/20). Dazu produzierten wir mit der Tiger eine Reisestory in Venetien, genauer gesagt in den Euganeischen Hügeln (ebenfalls 7/20). Sämtliche Ausgaben könnt ihr hier unkompliziert nachbestellen.

Zwischen all dem verlief der Testalltag, bestehend aus den üblichen Pflichten als Lasten-Zweirad, Commuter und Ausflugsgerät, allein oder zu zweit.

Auf Basis all dieser Erfahrungen kommen wir nun zu unseren finalen Urteilssprüchen, beginnend wie meist beim Motor. Der völlig neu aufgesetzte Dreizylinder mit seiner ungewöhn­lichen Zündfolge (die einen V-Zwei­zylinder imitiert) ist schlichtweg phänomenal. Er spricht fein an, dreht ­sauber hoch, bietet sattes Drehmoment schon aus dem Keller, verbietet sich pubertäres Knall-Gehabe und besitzt dennoch Charakter.

Für eine Reiseenduro im Mittelklasse­segment ist er schlichtweg eine Bestbesetzung, zumal er auch im Umgang mit Sprit bescheiden ist. Im Jahresschnitt blieben wir sogar unter dem WMTC-Normwert und hielten bei 4,8 Litern je 100 Kilometer. Die Bandbreite reicht von niedrigen 4er-Werten bei sehr gleitender Fahrweise bis zu knapp 6 Litern bei sehr schnellen Autobahnetappen. In Verbindung mit dem 20-Liter-Tank waren reale Tankreichweiten von 350 Kilometern die Regel.

Weitere Meriten: Ein Ölverbrauch war nicht feststellbar, dafür gibt’s großes Lob für das lange Serviceintervall von 16.000 Kilometern – ein Segen für Kilometerfresser.

Noch ein weiterer Punkt: Mitunter wurde dem Fakt, dass die Tiger 900 „nur“ 95 PS bietet, Skepsis entgegengebracht: einmal in puncto Fahr­dynamik, ein anderes Mal bezüglich des Soziusbetriebs. Ob da das Schmalz ausreichen würde?

In beiden Belangen kann Entwarnung gegeben werden. Da sich das mit 87 Newtonmetern sehr stolze Drehmoment so satt aufbaut, lässt sich auf Land­straßen viel Freude generieren. Wer hier eine schöne Linie fährt und mit Entschlossenheit am Griff dreht, wird keineswegs aufgefuttert und durchgereiht, sondern kann mit einer schönen Pace manchen Sportfahrer überraschen.

So wundert es nicht, dass man auch mit Sozius keine Defizite, sondern sowohl beim Überholen als auch in engen Kehren immer genügend Reserven hat.

Ist der Motor also schlichtweg perfekt? Es gibt eine Disziplin, die allen anderen Talenten geopfert wurde, aus unserer Sicht zu Recht. Kein Motor kann alles können und im Fall der Tiger 900 hat das Highspeed-Fahren auf der ­Autobahn das leichte Manko von ­minimalen Vibrationen, die am Lenker und an den Fußrastern auftreten. Dies aber erst in Bereichen, die nur mehr in Deutschland legal sind, mithin kann das Thema in unseren Breiten – und erst recht auf den Backroads der Alpen – vernachlässigt werden.

Und damit sind wir schon beim Fahrwerk, das ähnlich großes Lob ausfasst wie der Motor. Es grenzt nämlich schon an ein Wunder, wie gut es Triumph gelungen ist, den Komfort langer Federwege mit jener Straffheit zu verbinden, die man für flottes Fahren benötigt.

Es gibt ja auch andere Beispiele in dieser Klasse, etwa die BMW F 850 GS oder Hondas Africa Twin (vor allem die Adventure Sports der Baujahre 2018/19). Auch dort bietet die Gabel ellenlange Federwege und damit viel Komfort und hohe Reserven, allerdings taucht die Front beim harten Anbremsen so stark ab, das man gefühlsmäßig mit der ­Nasenspitze am Asphalt touchiert.

Unsere Tiger 900 Rally Pro hingegen bleibt trotz 240 Millimeter Federweg stabil und harmonisch, gleichzeitig bügelt das Fahrwerk Verwerfungen glatt, dass es eine reine Freude ist. Die Bremsen sind übrigens unauffällig, also gut, die Vorderbremse benötigt nur etwas mehr Handkraft, worauf man sich rasch einstellt.

Die Federelemente funktionieren auch zu zweit hervorragend, wobei man natürlich vor der Fahrt Hand ­anlegen muss. Obwohl das Handbuch eine ziemlich intensive Umstellung der fast voll justierbaren Elemente verlangt, reicht einfach schon das Drehen am Handrad der hinteren Federvorspannung. Die beste Beifahrerin von allen war übrigens auch voll des Lobes über die Tiger: Sitzposition und Fahrkomfort zählen zu den perfektesten ever, ließ sie verlauten.

Auch hier nur eine kleine Einschränkung: Die Schräglagenfreiheit der Rally ist begrenzt, in engen Kurven kratzt der Enduro-Fußraster recht bald über den Asphalt. Die Freude am Schrägen verliert man dadurch aber nicht, zumal die Tiger 900 Rally über den breiten Lenker extrem easy in die Kurven kippt, dort aber völlig neutral bleibt und sich präzise wieder aufrichten lässt.

Daran haben sicher auch die Bridgestone Battlax A41 ihren Anteil, die perfekt mit dem Motorrad harmonieren. Vom ersten Meter an fühlt man sich hier sicher, Transparenz, Grip und Handlingverhalten bewegen sich auf höchstem Niveau. Auch die Lauf­leistung geht in Ordnung: Nach 9000 Kilometern wurden die Reifen zwar langsam eckig, waren von der Profiltiefe aber immer noch eindeutig ge­setzeskonform.

Damit sind wir bereits bei den Langstreckenerfahrungen. Neben der guten Reichweite genießt man vor allem eine feine Sitzposition, die keine Fehler ­begeht. Einzig der sehr breite Lenker könnte für kleinere Fahrerinnen und Fahrer ein Problem werden. Die zwischen 850 und 870 Milli­meter verstellbare Sitzhöhe ist übrigens für so lange Federwege erstaunlich moderat, zudem lässt sich ein noch niedrigerer Sitz ordern.

Auch Komfortsitze gibt’s optional, wobei das serienmäßige Gestühl selbst uns als empfindliche Gemüter bei weitem zufriedenstellt.

Richtig beeindruckt sind wir beim Thema Windschutz: Auch hier schlägt die Triumph einen smarten Weg ein, den viele andere in dieser Klasse verfehlen – denn oft findet man hier riesige Scheiben, die wiederum die Sicht beeinträchtigen, oder kleine Windschilde, die zu wenig Wirkung zeigen. Bei der Tiger hingegen gibt’s eine mittelgroße Scheibe, die hervorragenden Schutz bietet und dabei völlig frei von Verwirbelungen ist. Sie lässt sich obendrein auch während der Fahrt mit einer Hand in der Höhe verstellen, wobei dieser Effekt zumindest bei uns kaum wahrnehmbar war. Also blieb sie unten, der Fahrer gut gelaunt.

Bleibt als letztes Thema die Elektronik. Die Tiger 900 besitzt ein wunderbar ablesbares, großes TFT-Display modernster Prägung, das über einen Joystick am linken Lenker fein bedienbar ist. Mit insgesamt sechs Fahrmodi sind die Möglichkeiten fast schon überkandidelt, allerdings muss man ja nicht alles immer nutzen, was theoretisch möglich wäre.

Interessant sind natürlich auch die Funktionen der Connectivity, insbesondere das integrierte Navi-System. Dies ist absolut schlüssig, was das Finden von Zielen angeht, für eine komplexere Routenplanung allerdings noch nicht geeignet; was nämlich fehlt, ist die Möglichkeit zum Import von GPX-Routen. Da diese Systeme allerdings laufend weiterentwickelt werden, kann man auch hier mit zunehmend mehr Optionen rechnen. Witziges Stand-alone-Merkmal ist die „Fernsteuerung“ einer GoPro über das Bordsystem.

Und während die Sonne nach Westen in Richtung Dolomitengipfel wandert, bleibt vor dem Aufbruch noch Zeit für ein letztes Resümee: Die Triumph Tiger ist zwar nicht die sportlichste, auch nicht die günstigste Reiseenduro ihrer Klasse, aber in der Summe aller Eigenschaften bietet sie das derzeit beste Paket ihrer Liga. Sie versprüht Adventure-Spirit und Fahrspaß, bietet Langstreckentauglichkeit und smarte Funktion; sie klingt gut, fährt gut und fühlt sich am Berg so wohl, als läge der höchste Gipfel Englands auf 4000 Meter Seehöhe.

ZUBEHÖR FÜR DIE TRIUMPH TIGER 900 IM CHECK

Kofferset Expedition inklusive Halterungen

Für die Tiger 900 bietet Triumph zwei unterschiedliche Koffersets: einmal aus Kunststoff und einmal aus Alu. Wir haben uns für Letzteres entschieden, weil es nicht nur hochwertiger wirkt, sondern aus unserer Sicht auch besser zum Abenteuercharakter der Tiger passt. Und wir wurden nicht enttäuscht: Die aus 1,5 Millimeter starkem Blech gefertigten und von Givi zugelieferten Koffer waren praktisch, wasserdicht, mit jeweils 37 Litern auch angenehm geräumig – und auch so robust, dass sie einen kleinen Umfaller im Gelände mit Minischrammen weggesteckt haben. Die auf den Zündschlüssel angepassten Schließzylinder werden mit dem Motorrad schon ab Werk mitgeliefert, das Sperren und Verriegeln funktioniert absolut friktionsfrei. Volle Empfehlung! Wir haben auch die sehr hochwertig gemachten Innentaschen mitgetestet, die edel und natürlich praktisch sind, aber mit 191,59 Euro pro Paar auch ziemlich happig bepreist.

Preis: € 1021,52 inkl. Gestänge; Originalzubehör

Tail Pack – Softgepäcklösung fürs Heck

Sehr lässige Alternative zum Topcase: Das 45 Liter große Tail Pack aus dem Originalzubehör ist günstiger und leichter, dazu lässt es sich mit drei Handgriffen am Gepäckträger befestigen oder wieder herunternehmen. Dieses einfache, bombenfeste Befestigen des Tail Packs ist ein Vorteil gegenüber einer noch günstigeren Gepäckrolle. Zwei weitere: Das Transportgut wird nicht durch Spannriemen zusammengedrückt und man hat auf der Etappe schnellen Zugang zum Haupt- und den beiden Nebenfächern. Nachteile gegenüber einem Topcase: Das Tail Pack taugt nicht als Rückenlehne für einen Sozius und bietet keinen Diebstahlschutz.

Preis: € 191,59; Originalzubehör

Kraftstofftank-Schutzbügelkit

Die beiden Bügel lassen sich leicht montieren und ergänzen die bei der Rally Pro serienmäßigen unteren Motorschutzbügel. Abgesehen von ihrer Funktion schauen die Bügel gut aus und lassen die Erscheinung der Tiger mächtiger wirken. Aufpassen: Die serienmäßigen Nebelscheinwerfer müssen mit einem Umrüstsatz auf die Bügel versetzt werden. Kleiner Nachteil des ganzen Konvoluts: ein paar zusätzliche Kilos auf den Rippen. 

Preis: € 300,50 plus € 48,41 für den Nebelscheinwerfer-Umrüstsatz; Originalzubehör

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