
BMW R 1300 GS – DauertestnotizenErfahrungen eines GS-Veteranen
BMW R 1300 GS. Der Umstieg von einer 20 Jahren alten 1150 Adventure ist beeindruckend: Was die alles hat, was die alles kann!
Mit dem Kulturbeutel in der einen Hand und der Gnädigsten an der anderen verlässt der Chef die Redaktion. Was er nicht einsteckt, ist der Schlüssel der Grüngoldenen. Versehen? Absicht? Egal! Irgendwer muss ja die ersten paar hundert Kilometer ins TFT-Display einschreiben, warum nicht ich?
Long story short: Schade, dass Peter die 1300er nach dem Tausenderservice zurückhaben möchte. Und schade, dass das im April gelieferte Juniwetter über Nacht verloren ging. Mehr als 20 Grad fehlen mir nicht nur am Thermometer, sondern auch bei der gemessenen Schräglage, wenn ich meine Fahrten mit den Erfahrungen des Kollegen Lentsch in Andalusien vergleiche.
Überraschend lang dauert das Tanken: Das 19-Liter-Fässchen ist hurtig gefüllt, aber der Smalltalk … Die Neue fällt auf. Und sie gefällt. Was mir persönlich abgeht, ist der Hüftschwung, wenn du im Stehen kurz am Gas zupfst. Der 1300er-Boxer läuft sowas von seidenweich – vielleicht kann Professor Reithofer einmal die Massenkräfte und -momente durchzählen und erforschen, wo die good vibrations abgeblieben sind. Was muss ich mit meiner 1150er regelmäßig an Spott ertragen – mit dieser feinen Motorcharakteristik gibt es keine blöden Witze mehr, ob man Diesel oder Super tankt!
Beeindruckend geschmeidig setzt sich das Bike dann auch in Bewegung. Ganz arg, wie ansatzlos die andrückt, wenn man „nur“ 85 PS gewohnt ist. Ab dem vierten Gang komme ich mit dem Quickshifter ganz gut zurecht, aber meistens ist mir die Kupplung lieber. Das wird gewiss an mir liegen, ich bin halt old school.
New school sind die vielen Elektronikspielsachen, für die ich mir gern Zeit genommen habe. Das Hantieren mit dem Rad am Lenker und das Blättern durch die Menüs klappt sehr intuitiv. Die verschiedenen Funktionen der doppelt belegbaren „Multiwippe“ am linken Lenker sind gewöhnungsbedürftig, aber den überraschend effektiven elektrischen Wildschild stelle ich eh nur einmal ein: ganz rauf, fertig. Ebenso den Abstandstempomat (ACC): komfortabel, größte Distanz, fertig. Das System erkennt sogar Radfahrer, reagiert akkurat und regelt smooth. I like!
Auch an Traktionskontrolle (DTC) und Dämpfung (DSA) muss ich für mein Seelenheil nicht dauernd herumjustieren. Somit ist die Wippe frei für die wohltuende Griff- und Sitzheizung. Die Spurwechselwarnung (SWW) erfolgt ordentlich, deren Kabelzuführung zu den Außenspiegeln ist optisch verbesserungswürdig. Die Frontkollisionswarnung (FCW) funktioniert auch.
Helm und Handy waren in Sekunden mit dem Motorrad gekoppelt. Ich möchte jetzt keine langwierige Diskussion über Musikhören beim Motorradfahren losbrechen, aber ich würde es bevorzugen, wenn ich die Musik schnell pausieren könnte, ohne in ein Untermenü wechseln zu müssen – zum Beispiel per „Doppelklick“ auf die Menü-Taste der Multiwippe.
Die Pfeilnavigation am Display ist als Notlösung okay, aber wer sich ein Motorrad um Dreißigplus kauft, kann sich das BMW-gebrandete TomTom-Navi oder die Smartphone-Halterung gewiss auch noch leisten; das breite Display der RT mit integrierter Kartendarstellung gibt es bei der GS leider nicht als Option.
Die Blinker in den Handprotektoren sind vermutlich recht empfindlich, wenn einem die Straße versehentlich auf den Lenker fällt, aber als Linkseinbieger wird man mit ihnen vom Gegenverkehr gewiss sehr gut erkannt. Die Lichtsignatur des Tagfahrlichtes finde ich extrem fesch. Der LED-Scheinwerfer ist wahrhaft ein Highlight. Allerdings irritieren mich die deutlich sichtbaren „Kasterln“ des Matrix-Fernlichts, wenn ich bei Dunkelheit durch den Wald kurve.
Auf der langen Geraden verliert sich dieser optische Effekt. (Wäre ich Ingenieur bei BMW, würde ich die Kurvenlicht-Funktion im Menü deaktivierbar machen. Einfach zum Ausprobieren, wie normales Licht leuchtet, und was dann beim Kurvenlicht als Bonus zusätzlich bestrahlt wird.) Die Zusatzscheinwerfer bringen kaum mehr Lichtausbeute, bestechen aber durch coole Optik und besseres Gesehenwerden
Und dann gibt es da noch die verschiedenen Fahrprogramme. Letztes Jahr frug mich einer der Reisekollegen bei Patricks „Kreuzfahrt für Reiseenduros“ beim Kennenlern-Bier am Achterdeck, in welchem Fahrmodus ich durch den Schotter des Velebits zu reiten gedenke. Und ich muss gestehen, ich habe die Frage nicht sofort verstanden. Meine 2004er-Adventure bietet zum Thema Fahrmodus lediglich die Auswahl zwischen ja und nein, steuerbar über den Zündschlüssel oder den roten Schalter am rechten Lenkerende. Und ihre Traktionskontrolle sitzt in meinem rechten Handgelenk.
Dem unfreundlichen Wintereinbruch und der Einfahrdrehzahl von höchstens 5000 Umdrehungen geschuldet habe ich den Unterschied zwischen Road und Dynamic nur ansatzweise ausprobiert – und ja, im Dynamic-Modus drückt der Motor noch fetter an als eh schon. Für mein persönliches Seelenheil eigentlich zu arg. Und ich kann berichten, dass sich der Kniewinkel auch im Enduro-Modus nicht verbessert, dafür aber der Tempomat automatisch weggesperrt wird. (Die Frontkollisionswarnung FCW muss man hingegen per Menü ausknipsen, wenn man tatsächlich ins Unterholz einbiegt.) Ja, von wegen Kniewinkel: Schade finde ich, dass niemand die Adaptive Fahrzeug Höhenregelung angekreuzt hat. Einfach aus Interesse. Die Frästeile-Fußrasten sind leider auch nicht höhenverstellbar.
Das Staufach fürs Handy finde ich praktisch; zum Laden benötigt man aber aus Platzgründen ein Kabel mit einem gewinkelten USB-Stecker. (Ehrlich gesagt bin ich ein bisserl enttäuscht, dass da keine Induktions-Ladeschale verbaut ist.) Weil die Staukapazität meiner Klim Badlands Pro zwar gewaltig ist, aber vollgestopfte Jackentaschen die Bewegungsfreiheit einschränken, habe ich mir einen Tankrucksack auf die Gepäckbrücke montiert. Mittels HKT, wie man bei BMWs Vorliebe für dreibuchstabige, deutsch-englische Abkürzungen sagen würde: Hornbach Kabel Ties.
Natürlich hätte ich für das Zeug, das man so mitnimmt, lieber die schicken Seitenkoffer gehabt. (Zentralverriegelt. Innenbeleuchtet. Auf einer GS! Die Welt steht nimmer lang.) Die Koffer kommen im Mai, lässt der Chef ausrichten. Derzeit gilt weltweiter Rückruf bzw. Auslieferungsstopp. Denn die Vario-Koffer haben ein Problem, mit dem ich, glaubt man meiner Frau, selbst auch regelmäßig zu kämpfen habe: Wenn’s drauf ankommt, ordentlich die Klappe halten.