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Piaggio MP3Drei macht frei
Die Idee, einen großen und PS-starken Roller ohne den normalerweise dafür nötigen Führerschein zu pilotieren, ist nur eines der Erfolgsrezepte hinter den verschiedenen MP3-Modellen. Ohne Frage bringt das zusätzliche Vorderrad auch fahrtechnisch Vorteile gegenüber einem einspurigen Scooter. Dazu zählen die wesentlich größere Spurstabilität, der höhere Fahrkomfort bei holprigem Untergrund und vor allem der bessere Grip in Schräglage. Sollte die Front dennoch wegrutschen, ist nicht gleich alles verloren, weil es einen wesentlich größeren Übergangsbereich zwischen Rutschen und Stürzen als bei Einspurigen gibt.
Beim Fahren verhält sich ein MP3 aber kaum anders als ein durchschnittlicher Großroller. Man kann auch mit dem 500-Kubik-Modell erstaunlich flott einlenken und würde nie auf die Idee kommen, es hier mit einem Leergewicht von 260 Kilo zu tun zu haben. Das liegt an der im Vergleich mit einem einspurigen Roller doch sehr unterschiedlichen Fahrwerksdynamik. Piaggio hat sehr intensiv an der Optimierung dieses Konzepts gefeilt und es kontinuierlich auf ein Niveau gehoben, das praktisch keine Wünsche offen lässt.
Vor allem die Souveränität, mit der man auf einem MP3 um die Ecken zieht, wird von keinem Zweirad-Großroller erreicht. Die auch bei teuren Zweirad-Luxusmodellen im Vergleich mit Motorrädern eher mangelhafte Stabilität und Lenkpräzision ist beim MP3 kein Thema. Auch bei unserem ausgiebigen Test auf den holprigen Straßen von Paris hat uns der Komfort des MP3 überzeugt. Dazu zählt auch die gewaltige Sitzbank, die auch dem Beifahrer einen Fauteuil auf Gold-Wing-Niveau beschert und unter der dank klug verteilten 48 Litern Stauraum nicht nur zwei Vollvisierhelme, sondern auch die Regenkombis für Fahrer und Beifahrer Platz finden. Für ein Fahrzeug ohne Dach perfekt finden wir auch den Wind- und Wetterschutz, wobei beides durch einen noch größeren Windschild und den in Italien und Frankreich extrem beliebten Beinschutz aufgewertet werden kann.
Der Einzylinder des neuen MP3 500 hpe leistet jetzt 44,2 PS und drückt 47,5 Nm auf die Kurbelwelle, also immerhin 14 Prozent mehr als bisher. Dank Ride-by-wire sind auf Knopfdruck zwei Fahrmodi einstellbar, die entweder volle Leistung oder reduzierten Verbrauch ermöglichen. Der liegt im Durchschnitt bei 4 l/100 km, was mit dem 12-Liter-Tank eine Reichweite von 300 Kilometern ergibt. Die Sport-Variante bietet ein angepasstes Finish, neue Farben, Bremsscheiben im Wave-Design und vor allem bessere Sport-Stoßdämpfer von Kayaba. Das neue Business-Modell bekommt neben einem modernisierten Design ein sehr harmonisch ins Cockpit integriertes Navi in Gestalt des TomTom Vio. Das wird per integrierter USB-Ladebuchse versorgt und kann bei Bedarf mit einem Handgriff abgenommen und zum Beispiel unter der Sitzbank sicher verstaut werden.
Die neue Variante mit 350 Kubik, also der MP3 350 hpe, bringt eine für diesen Einzylinder-Hubraum sehr ordentliche Leistung von 30,6 PS und 29 Nm Drehmoment. Piaggio verspricht für ihn trotz gleichem Fahrwerk um 20 Kilo weniger Trockengewicht als beim 500er, was sich in einem etwas flotteren Handling widerspiegelt. Die Grundausstattung entspricht dem Sportmodell des 500ers inklusive den Wave-Bremsscheiben. Beide Hubraumvarianten sind übrigens neben dem selbstverständlichen ABS auch mit einer abschaltbaren Antischlupfregelung ausgestattet. Das Hauptargument für den 350er ist sein um 1600 Euro geringerer Preis: Der MP3 350 hpe kostet in Österreich 8199 Euro, die Business- und Sport-Version des MP3 500 hpe kommt auf 9799 Euro. Alle Modelle sind ab sofort verfügbar.
Dreiräder im Gesetzes-Dschungel
Wohlgemerkt, als dreirädrig in Bezug auf die Fahrerlaubnis gilt ein Fahrzeug nur dann, wenn es eine Spurbreite von mehr als 460 Millimeter hat. Eine ab dem 19. Jänner 2013 erworbene Klasse A1 umfasst auch dreirädrige Krafträder bis 15 kW (20 PS). Eine ab dem 19. Jänner 2013 erworbene Klasse A umfasst alle dreirädrigen Krafträder unabhängig von deren Leistung (bei einem Mindestalter von 21 Jahren). Eine vor dem 19. Jänner 2013 erworbene Lenkberechtigung der Klasse B umfasst auch das Lenken von dreirädrigen Kraftfahrzeugen mit oder ohne leichtem Anhänger im ganzen EU/EWR-Raum. Zur Wahrung der erworbenen Rechte werden bei einem Duplikat die Codes 79.03 und 79.04 bei der Klasse A (!) in den Führerschein eingetragen. Wichtig, wenn man nur in Österreich unterwegs ist: Eine ab dem 19. Jänner 2013 in Österreich erworbene Klasse B umfasst ab dem 21. Geburtstag alle dreirädrigen Krafträder, aber wie gesagt nur für den Verkehr in Österreich.
Und Achtung, auch wenn dazu immer wieder anders lautende Meinungen kursieren: Unabhängig von der Typisierung als zweirädrig oder dreirädrig gelten diese Fahrzeuge bei der Autobahnvignette und in einer Kurzparkzone als mehrspurig. Das gilt auch für das nur für Einspurige zulässige Vorfahren zwischen Kolonnen oder entsprechend freigegebene Busspuren. Wer etwa zum Arbeiten nach Wien pendelt, ist diesbezüglich genau so vom Parkpickerl betroffen wie mit einem Pkw. Wir haben bei dieser etwas verstrickten Materie zwar sogar von Exekutivbeamten unterschiedliche Meinungen vernommen, aber diese Frage ist eindeutig ausjudiziert: Dreirädrige Kfz gelten grundsätzlich als mehrspurig und müssen daher auch die Parkometerabgabe entrichten. Umfangreiche Details dazu siehe beispielsweise HIER.