Zero SR/F im TestDuracell-Häschen
Egal ob iPhones von Apple, Mountainbikes von Specialized, Skateboards von Santa Cruz, Sneakers von Vans, Serien von Netflix, Strandbekleidung von Quicksilver, Outdoor-Equipment von The North Face oder Datenspionage von Google: Kalifornischen Unternehmen scheinen darauf spezialisiert Produkte ganz besonders „cool“ machen zu können. Eine These, die sich auch im Mobilitätssegment bewahrheitet: hier hat sich Tesla mit seinen Elektro-Pkws mittlerweile zum wertvollsten US-amerikanischen Autohersteller gekürt und sogar das Traditionsunternehmen General Motors überholt. Möglicherweise ein gutes Omen auch für den Zero Motorcycles aus Scotty Valley, California: seit 2006 werkelt man hier bereits an Elektromotorrädern, die SR/F soll als neues Flaggschiff nun quasi die nächste Ära in der Firmenhistorie einläuten – und der Marke endlich zum Durchbruch verhelfen. Ob die SR/F tatsächlich das „besondere Etwas“ hat um elektrische Antriebe weltweit salonfähig zu machen, hat das Motorradmagazin in einem Intensivtest herausgefunden.
Bevor wir uns auf den Strom-Antrieb im Alltagseinsatz fokussieren, die Eckdaten im Schnelldurchlauf: im Gitterrohrrahmen ist ein luftgekühlter, maximal 110PS starker Motor samt 14,4 kWh Akku verschraubt, der über 54 PS Dauerleistung verfügt. Traktionskontrolle und Kurven-ABS stammen von Bosch, die Federelemente von Showa, verzögert wird mit einer Bremsanlage von J. Juan aus Spanien. 240 Kilo bringt die optisch aufgeräumte und durchaus gefällige Zero SR/F auf die Waage. Damit ist sie bei gleicher Spitzenleistung fast einen halben Zentner schwerer als eine KTM 790 Duke und beim Rangieren daher nicht gerade ein Fliegengewicht. Wenn die Ampel auf Grün springt, gibt es dennoch kein Halten: in weniger als vier Sekunden zoomt sich das E-Bike mit 190 Newtonmetern Drehmoment im „Sport“ Modus aus dem Stand auf Tempo 100 – nicht nur sprichwörtlich im Handumdrehen, ganz ohne zeitraubendes Kuppeln und Schalten. Unser Test attestiert der Zero außerdem mehr als 190 km/h Topspeed, dann glimmt im Cockpit jedoch prompt die Temperaturwarnlampe. Die elektronische Gasannahme gelingt butterweich, und weil das Motor-Antriebsritzel auf der Schwingenachse sitzt und so eine konstant straffe Spannung des Zahnriemenantriebs ermöglicht, ist „Lastwechselreaktion“ ein völliges Fremdwort für die SR/F.
Beim Kurven-Swing schleicht sich das E-Motorrad trotz seines stattlichen Gewichts mit neutralem, unaufgeregtem Handling und komfortabler, aufrechter Sitzposition ins Herz des Piloten. Allerhöchstens in engen Haarnadelkurven wird das Einlenkverhalten träge und die Kopflastigkeit des steifen Chassis spürbar. Auch die Bremsanlage erfüllt ihre Mission angesichts der „erschwerten Bedingungen“ klaglos. Während sich die Big-Piston-Gabel nahtlos in den positiven und dennoch zugleich bodenständigen Gesamteindruck einreiht, entpuppt sich das Federbein als fahrdynamische Achillesferse der sonst unaufgeregten SR/F: eine unglückliche Kombination von allzu softer Feder und schlechter Dämpferabstimmung sorgt für ein holpriges, hartes Fahrgefühl. Das Aufschaukeln bei Schräglagenwechseln macht es zur harten Prüfung in den extrem rutschigen, hoch montierten Alu-Fußraster auf anvisierter Linie zu bleiben.
Nur auf glattgebügeltem Asphalt lässt sich der eindrucksvolle Schub des wartungsarmen Wechselmotors mit Rekuperationsfunktion ungetrübt genießen – in unserem Test bis zu 195 Kilometer weit, sofern man sich mit der gedrosselten Performance des „Eco“-Modus mit maximal 90 km/h begnügt. Trotz rasanter Zwischensprints erreichten wir bei unseren Ausfahrten im „Sport“- und „Street“-Mapping je nach Strecke aber immer noch respektable Reichweiten zwischen 125 und 160 Kilometern, bis das TFT-Farbdisplay einen Zwischenstopp an der Steckdose verordnet. Hat man das Glück eine Schnellladestation mit Typ-2-Stecker verfügbar zu haben, darf man die Tour nach knapp zwei Stunden Kaffee-Zwangspause fortsetzen. Ein billiges Vergnügen ist das übrigens nicht: während eine kWh aus der konventionellen Haushaltssteckdose in Österreich zwischen 13 und 24 Cent kostet, kann sich dieser Tarif an der E-Zapfsäule je nach Uhrzeit und Anbieter dank willkürlicher Preisgestaltung sogar verdreifachen. Fürs Aufladen daheim am 230-Volt-Kabel über den 525 Euro teuren EU-Adapter braucht es jedoch ganz besonders eines: Zeit und Geduld. Denn ein vollständiger Ladezyklus dauerte bei uns mehr als sechs Stunden. Dann ist der (laut Herstellerangabe) 14,4 kWh große Akku bereit für die nächste Runde – komisch nur, dass die Lithium-Ionen-Batterie an unserem Messgerät nicht einmal 12 kWh bunkert.
Wenn man sich mit der überschaubaren Reichweite und dem Anschaffungspreis von 23.190 Euro für das von uns getestete Premiummodell mit Heizgriffen, Tempomat und 6-kW-Ladesystem abfinden kann, spricht unterm Strich nichts dagegen zum Elektromotorrad-Pionier zu mutieren. Alternativen zur Zero sind im Elektro-Segment ohnehin spärlich gesät. In Sachen Fahrdynamik und Ausstattung auf Augenhöhe zur SR/F fährt derzeit – abgesehen von der exotischen Energica Eva – nur die famose Harley-Davidson LiveWire, die sich für den emissionsfreien, elektrifizierten Kulturschock jedoch satte 10.200 Euro mehr bezahlen lässt. Der Fahrspaß im Zero-Sattel steht jenem auf einem konventionellen Verbrennerfahrzeug jedenfalls um nichts nach: die Sprint- und Durchzugsqualitäten beeindrucken, ihre Handhabung ist kinderleicht und die (fast) lautlose Fortbewegung fasziniert nicht nur den Piloten, sondern steigert besonders die Motorrad-Akzeptanz in einer zunehmend mobilitätskritischen Gesellschaft. Hat die kalifornische Zero SR/F also das Zeug zum Trendsetter à la iPhone? Nicht auszuschließen. Denn „cool“ ist am Ende doch immer das, was nicht nur einem Einzelnen, sondern stets der breiten Masse gefällt.