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Classic MX SchwanenstadtAlterssprünge
Im Grunde ein ganz normales Bild auf Geläufen wie diesem: Es knattert im Tale, dann erscheinen bunt gekleidete Menschen auf ebenso farbenfrohen Motorrädern und streben den Steilhang empor, wo sie abheben wie Airbusse von der Startbahn und durch den Himmel segeln, um wenig später wieder Erdkontakt zu finden. Nicht jeder auf die geplante Weise, aber auch das kennt man ja.
Was dieses Rennen hier in Schwanenstadt so besonders macht, wird erst bei genauem Hinsehen deutlich: Die Motorräder sind alt. Ziemlich alt sogar, die meisten über 60 Jahre. Und wenn die Fahrer dann nach der Zieldurchfahrt ihre Helme lüften, dann erst merkt man, dass auch sie schon einiges erlebt haben. Über 72 Geburtstage müssen sie in der höchsten Altersklasse schon gefeiert haben, aber zum alten Eisen gehören die Cracks in dieser Liga noch längst nicht, das beweisen sie jedes Mal aufs Neue, mit furchtlosen Flugshows, Zweikämpfen auf Tuchfühlung, Drifts in die Kurve hinein und Wheelies aus ihnen heraus. Und dass man mit Mitte 70 auch noch eine Brez’n reißen, sich abputzen und wieder weiterfahren kann, das haben die Herrschaften ebenfalls klar gestellt.
Der älteste unter den 17 Startern in dieser höchsten Altersklasse heißt Jimmy Smed; er feiert im Herbst seinen 87. Geburtstag und kommt aus Jütland, Dänemark. Seine Heimatgemeinde liegt sogar noch nördlicher als Kopenhagen, trotzdem bestreitet er die Anreise im Auto noch ganz alleine: rund 1300 Kilometer nach Schwanenstadt, mit zwei gepflegten, dunkelgrünen Metisse, beide Baujahr 1962, im ebenso grünen und sauberen Anhänger. In Schwanenstadt fährt er dann seine Trainings, Qualifyings, zwei Rennen – und dann geht’s wieder die ganze Strecke zurück nach Jütland.
Was ihn so fit hält, fragen wir. „Das Motorcross-Training“, sagt Jimmy. Zwei, drei Mal pro Woche gehe er auf die Strecke, gleich bei ihnen im Ort gäbe es zum Glück eine. Das würde dann auch schon ausreichen. Alles klar, denken wir. Merke: mehr Offroad fahren!
Die Classic-Europameisterschaft für Motocrosser gibt es in dieser Form schon seit ein paar Jahren, war 2022 auch bereits in Schwanenstadt zu Gast; damals nannte sich die kleine Serie, die heuer mit drei Stationen in der Slowakei (Scerepec), Deutschland (Culitzsch) und eben Österreich ausgetragen wird, noch „European Classic Motocross Cup“; auf der Homepage heißt sie noch immer so. Seit vergangenem Jahr ist Veranstalter Harald Mühlig aber dazu übergegangen, die Serie stolz als Europameisterschaft zu bezeichnen. Dass er dafür keine FIM-Freigabe hat, quittiert der Ostdeutsche mit einem Schulterzucken.
Diese Unkompliziertheit, die sich im Regelwerk widerspiegelt, scheint auch ein Teil des Erfolgsgeheimnis zu sein. „Wir haben vor zwei Jahren mit 100 Startern angefangen“, erzählt er. „Mittlerweile waren beim Rennen in der Slowakei 160 Teilnehmer am Start – und hier in Schwanenstadt sind es fast 210.“
Sie alle verteilen sich klarerweise auf verschiedene Klassen. Wichtigstes Kriterium ist das Alter des Motorrads, innerhalb dieser Segmente wird noch nach dem Alter der Fahrer unterschieden.
Das Filetstück der Serie sind natürlich die Classic-Bikes, die mehr als 50 Jahre auf dem Buckel haben müssen. Hier sieht man hauptsächlich CZ, wie jene eines tschechischen Fahrers, der farblich stringent am Start steht: Blaues Outfit, blaues Motorrad, blauer Rauch aus dem Auspuff.
Neben den Klassikern aus dem Osten findet man aber auch BSA, Rickman, Matchless, einige Husqvarnas und auch schon die ersten Suzukis. Die Altersklassen der Fahrer sind hier besonders fein abgestuft: unter 50-, über 50- und über 60-Jährige starten gemeinsam, werden aber separat gewertet. Die Herren über 66 und über 72 Jahre werden sogar mit eigenen Läufen gewürdigt.
Die nächste Motorradklasse heißt „Twin Shock“ und umfasst Motorräder mit zwei Federbeinen am Heck, luftgekühltem Motor, Trommelbremsen und konventioneller Gabel. Hier sieht man Maicos, Suzuki, Husqvarnas, auch schon die frühen Hondas und Yamahas.
Modernere Zeiten brechen dann bei den „Evos“ an, die wiederum in drei Zeitspannen unterteilt sind: „Evo 85“ reichen bis 1985, „Evo“ bis 1990 und „Super Evo“ bis 1996. Aluminiumrahmen sind auch bei der jüngsten Kategorie verboten.
Die technischen Bestimmungen sind überaus hemdsärmelig, also weit gefasst. „Signifikante Änderungen sind verboten“, heißt es lapidar. Aber zeitgerechtes Tuning ist natürlich erlaubt, da schaut keiner, ob ein paar Kubik mehr zu finden, welche Schalldämpfer montiert oder Vergaser eingebaut sind. „Beim Motocross entscheidet ohnehin zu 90 Prozent der Fahrer“, sagt Harald Mühlig.
Gleich neben dem großen Bierzelt steht ein etwas zerlemperter Van, in der geöffneten Schiebetür sitzt ein etwas geknickter Otto Haunold. Otto wäre der einzige österreichische Starter in der Altersklasse über 72 Jahren gewesen, hätte aber ohnehin in der Alterklasse darunter antreten müssen. Die ältesten Herren müssen – eine Ausnahme in der Classic-Kategorie – nämlich auch mit den ältesten Motorrädern fahren, Baujahr 1966 oder noch früher, und da wäre Ottos Rickman/BSA gerade nicht hineingefallen.
Aber warum hätte und wäre? Weil aus Ottos Socken zwei ölige Gefrierakkus herauslugen, die den Knöchel kühlen. „Das ist beim Qualifying passiert“, meint er leicht zitronig. Er wollte eigentlich die Strecke verlassen, hätte aber die Ausfahrt verpasst und daher noch eine Runde anhängen müssen. Und da wäre es dann geschehen. Sehr ärgerlich.
Ob sich ein Start trotzdem ausgehen würde? Otto schaut auf die Uhr. Noch 40 Minuten. „Das wird knapp“, sagt er und zieht dann die Socke ganz hinunter. Der Knöchel sieht wahlweise aus wie ein zu eng geschnalltes Luftballontier oder ein zu lange gegangener Germteig. Nicht gesund jedenfalls.
Ob er damit schon im Rot-Kreuz-Zelt war? Sicher nicht. Was sollen die schon machen? „Die würden mich zum Röntgen schicken, dort würde es heißen: Es muss erst abschwellen. Kenn ich alles.“ Nachsatz: „Mein Körper ist voller Narben.“
So sieht’s wohl aus, wenn man das gesamte Leben zwei Leidenschaften verschrieben hat, und eine davon ist Motocross. Seit über 50 Jahren fährt Otto schon auf allen möglichen Strecken, hier in Schwanenstadt war er zum ersten Mal im Jahr 1974. Daneben begann er bei einem Motorradimporteuer zu arbeiten, machte den Mechanikermeister und brachte alles mit der zweiten Leidenschaft unter einen Hut: der Musik. Im Sommer wurde gefahren, im Winter spielte Otto Gitarre bei bekannten Bands wie der Hallucination Company oder Drahdiwaberl, bei letzteren aber erst Anfang der 90er-Jahre, denn „davor waren sie mir zu bürgerlich“. Wer Drahdiwaberl nicht kennt: Texte und Musik waren speziell in der Frühzeit so arg, dass sie jahrelang vom ORF-Radio boykottiert wurden. „Bürgerlich“ hat sie außer Otto sicher noch niemand genannt und man will sich nicht das Gesicht von Mastermind Stefan Weber vorstellen, würde er noch leben und das hören.
Kontrastprogramm, wieder einmal ums Eck: Dort steht ein perfekt geputzter, wunderschön klassischer Van im Husqvarna-Branding. Er gehört Kris Rosenberger, der die Twin-Shock-Klasse mit seiner Husqvarna 500 dominiert: Im Vorjahr hat er vier von sechs Läufen gewonnen und den Titel geholt. Auch heuer wird ihm der Sieg nicht zu nehmen sein: Die ersten vier Läufe – auch die beiden in Schwanenstadt – hat er souverän für sich entschieden.
Kris ist freilich kein Unbekannter. Will man das abgekaute Bild vom „Benzin im Blut“ verwenden, dann passt das für den 55-Jährigen perfekt. Kris fährt mit allem, das Räder hat und gewinnt dabei häufig. Unter anderem war er 1997 Rallye-Staatsmeister, noch heute nimmt er mit zugespitzten WRC-Autos an vielen Läufen teil (war iberischer Meister) und zeigt mit betagten Porsche 911 an Klassik-Veranstaltungen, dass man auch bei Gleichmäßigkeitsprüfungen quer ums Eck kommen kann. Zusätzlich zählt der amtierende Motorradhändler (Rosenberger Motors in Graz) zu den Begnadeten, die mit vier und mit zwei Rädern schnell sein können, was er hier in Schwanenstadt mit stolzen Luftständen und erdigen Drifts beweist. Und mit hurtigen Zeiten, die nicht einmal zehn Sekunden langsamer sind als beim Schnellsten der Evo-Klasse – die schon Scheibenbremsen, potentere Motoren, Monoshock-Federbeine und vieles mehr besitzen.
Die schärfsten Waffen sind naturgemäß die Super Evos, die schon richtig modern aussehen, speziell im Detail. Der Blick auf die Komponenten täuscht aber: Die schnellsten Fahrer und emsigsten Tüftler haben hier viele Elemente ausgetauscht und modernisiert, etwa die Bremsen. Hemdsärmeliges Reglement, man erinnert sich.
Ein Blick in die Starterliste verblüfft: Hier sind viele Stars der aktuellen MX-Staatsmeisterschaft vertreten: der mehrfache Staatsmeister Lukas Neurauter, der regierende Doppelstaatsmeister Michael Stauffer und auch unser Team-Motorradmagazin-MX2-Fahrer Florian Dieminger geben sich die Ehre. Alle drei Genannten fahren wie viele andere in dieser Klasse mit farbenfrohen KTM 360, die noch immer für eine erstaunliche Performance und heiße Rundenzeiten gut sind. „Ich bin auch immer wieder erstaunt, wie gut sich diese fast 30 Jahre alten Crosser fahren lassen“, erzählt Dieminger, der mit seinen 20 Jahren selber um fast ein Jahrzehnt jünger ist. „Ein kleiner Unterschied liegt in der Sitzposition, im Gewicht sind die Zweitakter aber sogar leichter und erstaunlich agil, bei den Bremsen und beim Fahrwerk nicht weit weg von heutigen Renngeräten.“
Warum er hier am Start steht? „Wie meinem Vater taugen mir die Crosser dieser Ära, wir haben einige zu Hause und schrauben gerne daran herum. Außerdem fahr ich gerne auf so legendären Strecken, für mich ist das Spaß und Training zugleich.“ Ob er einmal gerne auf den richtig alten Bikes starten würde? „Eher nicht, ich hab keinen Bezug zu dem Zeug, außerdem fährt sich das ganz anders, speziell mit so wenig Federweg.“ Nachsatz: „Aber großes Kompliment an die alten Herren! Ein Wahnsinn, dass sie sich diese Strapazen in ihrem Alter antun und die schwierige Strecke bezwingen!“
Stichwort Schwanenstadt: Die oberösterreichische Naturrennstrecke passt natürlich ganz perfekt zum Thema, ist ja selbst ein Klassiker. WM-Läufe finden ja leider keine mehr statt, die letzten wurden im Jahr 2005 ausgetragen. Aber nicht wenige Starter können sich noch daran erinnern, einige standen sogar selbst einmal am Start.
Auch ohne Weltmeisterschaft präsentiert sich die Strecke in perfektem Zustand, wunderbar gewartet vom rührigen MSV Schwanenstadt, der auch die Classic-EM perfekt ausgerichtet und organisiert hat. Rund 150 Funktionäre plus ein paar Dutzend Helfer der Feuerwehr sind dafür an diesem Wochenende im Einsatz. Dass sich wirklich niemand zu schade ist, hier mit Hand anzulegen, zeigt die in der Nähe beheimatete Familie Kofler, auch MSV-Schwanenstadt-Mitglieder: der Teamchef (Klaus), der ehemalige WM-Fahrer (Maximilian) und der aktuell Führende in der IDM Supersport (Andreas) sind alle vor Ort, um tatkräftig mitzuhelfen.
Diesen gleichzeitig professionellen wie familiären Charakter spürt man, und er wird auch von den vielen Zuschauern goutiert, die es sich auf den Hügeln bequem gemacht haben, von dort die Action verfolgen und zwischendurch durchs Fahrerlager spazieren, wo Motorsport in seiner ehrlichsten Form zu finden ist. Man bewundert Maicos in den hypnotischen Farben der Siebziger und Achtziger, erinnert sich vielleicht selbst noch an junge Tage mit der ersten Honda und diskutiert mit Besitzern von BSA über den Niedergang der britischen Motorradindustrie und deren Wiedergeburt durch Triumph und vielleicht ein paar anderer Marken, die vielleicht wieder aufleben könnten.
Und man klopft den alten Recken auf die Schultern, sofern sie nicht gerade Kraft bei einem Schläfchen tanken, in den Transportern, in den Zelten oder einfach im nächstbesten Stuhl, der zu finden war. Weil: Anstrengend sind die Rennen allemal, auch für die Jüngeren unter den Älteren. „Bei zehn Zentimeter Federweg überlegst du dir jeden Sprung“, sagt ein verschwitzter Herbert Karl aus der Oberpfalz, stilecht bekleidet mit bunter Lederhose. Über 30 Jahre hätte er die schon, ein treuer Begleiter! Dann wendet er sich wieder seiner Jawa zu – ein weiteres Rennen will noch gefahren werden.
Die Österreicher unter den Top-3 (Tagesränge)
Klasse Twin Shock (unter 50)
1. Michael Gritsch (Husqvarna 510)
2. Robert Lietz (Suzuki 250)
Klasse Twin Shock (über 50)
1. Kris Rosenberger (Husqvarna 500)
3. Bernhard Triebl (Husqvarna 500)
Klasse Evo (unter 50)
2. Thomas Wolf (Honda 500)
3. Jürgen Kröpfl (Honda 250)
Klasse Evo (unter 50)
1. Manfred Kainz (Honda 500)
2. Georg Kainz (Honda 250)
Klasse Super Evo
1. Lukas Neurauter (KTM 360)
2. Michael Stauffer (KTM 360)
3. Florian Dieminger (KTM 360)