Kawasaki Versys 1000 Test 2019Ab aufs Grüne
Kawasaki präsentiert die neue Versys 1000 in Lanzarote und nicht nur das Modell hat sich optisch und technisch stark verändert und weiterentwickelt (siehe Details unten). Lag der Fokus beim Pressetest der allerersten großen Versys noch auf deren sportlicher Performance und weniger auf ihrer Touringtauglichkeit, so stellt man uns diesmal voll aufmagazinierte Vorführer zur Verfügung, die anscheinend beweisen sollen, dass die Versys nicht mehr der spartanische Sporttourer von einst ist, sondern die Silberrücken im Reiseenduro-Gehege im Visier hat. Die Liste der neuen und serienmäßigen Features lesen sich wie die Zubehörpsalmen der Konkurrenz, was sich auch im Preis niederschlägt, zumal bei der neuen Special Edition. Beide Versionen werden von uns in den nächsten zwei Tagen bei sommerlichen Temperaturen auf dem vulkanischem Asphalt von Lanzarote und Fuerte Ventura gefahren. Die ersten Eindrücke gibt es morgen hier zu lesen. Vorab schon mal die wichtigsten Infos:
Neu bei beiden Versys 1000:
- Ride-by-Wire
- Tempomat serienmäßig
- Bosch-IMU
- Kurven-ABS
- Traktionskontrolle KTRC
- Bremssystem KIBS mit radial montierten Monoblock-Sätteln und radialem Hauptbremszylinder von Ninja ZX-10R und H2 übernommen
- Lichtanlage LED
- zwei Power-Modi (Full/Low)
- Windschild stufenlos einstellbar
- 12V-Steckdose neben dem Cockpit (bislang ein Extra)
Neue Features bei Versys 1000 SE:
- Semi-aktives Fahrwerk KECS, inklusive Verstellung der Federvorspannung am Heck in drei Stufen
- LED-Kurvenlicht
- Quickshifter (up/down)
- Vier Fahrmodi: Sport, Straße, Regen plus ein konfigurerbarer Modus
- Smartphone-Connectivity mit „Rideology App“; u.a. lassen sich Touren aufzeichnen und Anrufe am Display erkennen
- Analoger Tacho plus Farb-TFT-Display (beim Basismodell LC-Display)
- Lackierung mit Selbstheilungsfunktion bei kleinen Kratzern
- Großer Touring-Windschild
- Heizgriffe und Hand-Protektoren
Leider bringen die Upgrades auch einen kleinen Nachteil mit sich: mehr Gewicht. Das Basismodell legt um drei auf 253 Kilo fahrfertig zu, die neue SE bringt es auf 257 Kilo. Dabei bleibt die Leistung des 1043-Kubik-großen Reihenvierzylinder mit 120 PS und 102 Nm gleich.
2012 war es kaum vorstellbar, dass eine Reiseenduro mit einem Reihenvierzylinder funktionieren würde. Doch das tat sie, wenngleich die große Versys mehr den Charakter eines höhergelegten Sporttourers annahm - im Gegensatz zur kleinen Versys, die bereits fünf Jahre zuvor in ihrem Wesen eher den Supermotos nahe war. Zwar war die Versys 1000 schon damals serienmäßig mit KTRC und ABS ausgestattet, ließ aber im Vergleich zur Konkurrenz ein paar Sterne an Luxus und Komfort vermissen; das Originalzubehör konnte man an einer Hand abzählen. Nun, Zeiten ändern nicht nur dich, sondern auch dein Motorrad.
Wie oben beschrieben gibt es 2019 zwei Versionen des Versatile Systems, die Standard-1000er und die 1000 SE. Gefahren sind wir in Lanzarote und Fuerte Ventura nur zweitere Topversion - die noch dazu mit dem Komplettpaket "Gran Tourer" ausgestattet war. Neben den Paketen "Tourer" und "Tourer Plus" ist beim GT wirklich alles dabei, von den zwei 28-L-Seitenkoffern und dem 47-L-Topcase über zwei Nebenscheinwerfer bis zum Tankpad und breiten Sturzpads. Bei der Standard-Versys fallen die Preise für diese Pakete übrigens etwas höher aus, weil bei ihr die bei der SE serienmäßigen Handguards dazukommen.
Preise Tourer-Pakete Kawasaki Versys 1000:
Tourer: 1120 Euro (SE: 975)
Tourer Plus: 1680 Euro (SE: 1520 Euro)
GranTourer: 2399 Euro(SE:2299 Euro)
Das Mehr an Luxus erklärt sich nicht allein mit dem Wettrüsten ausgewachsener Reissenduros - das Kawasaki nur in Sachen Leistung nicht mitgehen möchte -, sondern mit dem Durchschnittsalter der Versys-Kundschaft, das sich zwischen 40 und 60 bewegen soll. Ich bin also seit einem Jahr selbst Mitglied dieser Zielgruppe und kann das Verlangen nach mehr serienmäßigen Annehmlichkeiten und übersichtlichen Upgrades verstehen. Außer ein paar Koffern vermisst man an der SE eigentlich nichts. Ein hoher, verstellbarer Windschild, Tempomat, Heizgriffe, Handguards und sogar ein Quickshifter sind serienmäßig an Board. Die Vorspannung der Federbeins lässt sich per Knopfdruck an die Beladung anpassen, das Fahrwerk funktioniert elektronisch. Die Navigation durchs Menü funkioniert intuitiv, das TFT-Display zeigt alle Informationen übersichtlich und glasklar leserlich an. Dabei hilft, dass der Drehzahlmesser als analoge Anzeige ausgelagert wurde. Auch die Bedienelemente wirken hochwertig und langlebig. Eine Hintergrundbeleuchtung an den Knöpfen hätte noch ein wenig edler gewirkt.
Ein paar Features könnte die SE gegenüber der Versys eventuell noch bieten, zum Beispiel ein paar PS mehr (ähnlich der Leistungsabstufung der Triumph Street Triples), einen elektronisch verstellbaren Windschild oder ein Keyless-Go-System mit Zentralverriegelung der Koffer. Doch das ist Jammern auf hohem Niveau, denn sobald man losfährt, sind derartige "Mängel" schnell vergessen. Der 1047-Kubik-Reihenvierer zieht kräftig durch - wobei er etwas laut werden kann - und lässt praktisch nie Leistung vermissen, zumal das Getriebe knackig-kurz abgestuft ist und mit dem Quickshifter kupplungsfrei rauf- und runtergeschaltet werden kann. Wer einmal gestartet ist, will sobald nicht mehr stehen bleiben. Bei einem Tankvolumen von 21 Litern und einem Testverbrauch von 6,1 Litern auf 100 Kilometer sollten also fast 350 Kilometer am Stück möglich sein. Der Windschild bietet auch in der untersten Stufe sehr guten Windschutz bei einer Körpergröße von 1.80 Meter und entspannter Sitzhaltung. Damit hat man übrigens auch einen guten Stand, obwohl die breite, bequeme Sitzbank auf 840 Millimeter liegt. Für Fahrer unter 1.70 Meter empfiehlt sich die niedrige Sitzbank mit 820 mm Höhe.
Die Koffer sind mit dem Zündschlüssel zu bedienen und lassen sich sogar mit zwei linken Händen einfach abnehmen und wieder anstecken. Bei voller Bekofferung kann man 103 Liter Fassungsvermögen nutzen und sollte damit auch die Lieblingsstücke aus dem Schuhschrank der Begleitung für ein verlängertes Wochenende nicht zu Hause lassen müssen. Zwar haben die beiden Versys mit 253 bzw. 257 Kilo vollgetankt etwas zugelegt, was der üppigeren Serienausstattung geschuldet ist, doch sobald der Galopp erreicht ist, entwickeln sie eine Gier nach Kurven, der die großzügige Schräglagenfreiheit lange kein Ende setzt. Bei unserem Test habe ich es nur durch absichtliches Drücken am angenehm breiten Lenker geschafft, mit den Fußrastern aufzusetzen. Besondes erfreulich beim Bügeln über teils unendlich lange Geraden auf der Vulkaninsel: Selbst bei knapp 200 km/h blieb die Versys mit Seitenkoffern und Topcase stoisch ruhig, sofern nicht gerade ein fester Föhn von seitwärts auf die Verkleidung blies. (Empfohlen wird im Topcase allerdings eine Höchstgeschwindigkeit von 130.)
Um diese Geschwindigkeit auch sicher wieder zu reduzieren, steht einem nun die Bremstechnik der ZX-10R und Ninja H2 zur Verfügung: 310-mm-Scheiben, radial montierte Vierkolben-Bremssättel und eine radiale Bremspumpe kooperieren wie ein Präzisionsschraubstock bedient von einem Pianisten: knallhart und auf den Tausendstel Millimeter dosierbar. Das Potenzial der Bremsen konnte kaum ausgenutzt werden, das Kurven-ABS setzte nur selten sein. Auf den Asphalt übertragen wird die Kraft von Brigestone T31 Sport Touring in den Dimensionen 120/55-17 und 180/55-17. Damit ist die Versys also nach wie vor ein hundertprozentiges Straßenmotorrad, ein Hybrid aus Reiseenduro und Sporttourer, der nicht einfach zum Inflationsausgleich überarbeitet wurde, sondern eine neue Evolutionsstufe erreicht hat... Mehr zum Test gibt es ab 21.3. im Motorradmagazin 2/2019.