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Kawasaki Ninja 1000SX 2020 TestLast Samurai
Mit der Modellgeneration 2020 wird die einstige „Z1000SX“ von Kawasaki zur „Ninja 1000SX“ geadelt. Einerseits ein ehrenvoller Titel mit traditioneller Verbindung zum Rennsport, andererseits die Richtigstellung einer allzu missverständlichen Typeneinteilung: das „Z“ steht bei den Grünen bekanntlich für Fahrzeuge der unverkleideten Streetfighter-Palette – zu denen die aerodynamische 1000SX ganz offensichtlich nicht gezählt werden kann. Obwohl das Segment der Sporttourer wegen des aktuellen Reiseenduro-Trends im letzten Jahrzehnt deutlich Federn lassen musste, empfiehlt sich die Kawasaki Ninja 1000SX dennoch als erste Wahl für all jene, die gerne in flottem Tempo weite Distanzen zurücklegen und Offroad-Abstecher ohnehin links liegen lassen.
Obwohl Rahmen, Schwinge und Antrieb auf dem Vormodell basieren, spendiert Kawasaki der vierten Generation der SX ein umfangreiches Technik-Upgrade, wie wir bereits hier berichtet haben. Der Reihenvierzylinder wurde für 2020 auf die bevorstehenden Euro-5-Emissionsvorschriften vorbereitet (ist derzeit aber noch Euro-4-homologiert), der Verzicht auf die Doppel-Auspuffanlage spart rund zwei Kilo Ballast. Außerdem bekommt das 1043-Kubik-Triebwerk unterschiedlich lange Ansaugtrichter, überarbeitete Nockenwellen und Ride-by-Wire implantiert. Dank des neuen elektronische Gasgriffs verfügt jetzt auch die Ninja 1000SX über einen praktischen Tempomat für lange Autobahnetappen und vier Fahrmodi (Sport, Road, Rain, User), die jeweils die Parameter der schräglagenabhängigen, dreistufigen Traktionskontrolle und der Power-Modi (142 oder 106,5 PS) adaptieren. Ein neues 4,3-Zoll-TFT-Display mit zwei wählbaren Layouts und Tag-/Nacht-Modus fasst die Einstellungen der Assistenzsysteme samt aktueller Fahrdaten übersichtlich und gut ablesbar zusammen. Das Cockpitinstrument lässt sich (wie auch bei Z650 und Z900) außerdem mit der Kawasaki-eigenen Smartphone-App koppeln.
Der neue, geschmeidig und präzise werkende Schaltassistent beherrscht Gangwechsel in beide Richtungen und vermittelt eine Extraportion Rennsport-Feeling. Auch das Setup des Federbeins mit leicht zugänglicher Vorspannungsschraube und besonders der 41-Millimeter-Gabel wurde liebevoll perfektioniert: ihr Ansprechverhalten wurde spürbar feiner. In den abwechslungsreichen Radien rund um Cordoba und Sevilla bewährt sich das modifizierte Fahrwerkssetup auf Anhieb. Selbst bei deftigen Schlaglöchern und Bodenwellen hält die Ninja 1000SX präzise und stoisch die angepeilte Linie und quittiert selbst waghalsige, schnelle Schräglagenwechsel trotz ihrer fahrfertig 235 Kilo höchstens mit kurzem Kratzen der Raster am Asphalt. Der Radstand von 1440 Millimetern geht keinesfalls auf Kosten der Handlichkeit im engen Winkelwerk. Für eine Tausender wedelt die SX unglaublich flink durch den haarigen Kurvenslalom, die leicht vorgebeugte Sitzposition und der (für Sportmotorrad-Verhältnisse) gemäßigte Kniewinkel sorgen beim Piloten jederzeit für das souveräne Gefühl von Sicherheit und Kontrolle. Kommod ist der Sitzkomfort obendrein: der jetzt breitere, für Fahrer und Sozia deutlich komfortabler gepolsterte Sattel überzeugt während unserer fast zweitägigen Testfahrt auf ganzer Linie.
Dank der hervorragenden Harmonie von Antrieb und Alu-Chassis erobert die Ninja 1000SX die Herzen von sportlich ambitionierten Tourenfahrern sprichwörtlich im Handumdrehen. Der Reihenvierzylinder hängt bauarttypisch seidig am Gas, kennt kaum Lastwechselreaktionen und verfügt trotz seiner Spitzenleistung bei 10.000 Touren schon im Drehzahlkeller über mehr als genug Schubkraft. Daher hat das grüne Langstrecken-Kraftpaket auch gegen schaltfaules Dahingondeln beim entspannten Sightseeing nichts einzuwenden: auf kurvenreichen Passagen taugt der zweite Gang von zirka 50 bis 100 km/h tadellos als Automatik, zusammen mit der dritten Getriebestufe haben wir so rund 80 Prozent unserer abwechslungsreichen Testrunde klaglos absolviert. Bei Bedarf und mit vollständig gelüfteten Drosselklappen lässt das fabelhafte Triebwerk des Sporttourers dank scheinbar grenzenlosen Feuers natürlich dennoch den Adrenalinspiegel steigen und feuert wie entfesselt vehement Richtung Horizont. Dabei reagiert die Ninja 1000SX selbst auf nasser Fahrbahn nie unartig oder kapriziös – auch wegen der fein regelnden, äußerst effizienten Traktionskontrolle.
Neben dem Automatik-Feeling, der sportlichen Reise-Ergonomie und der hervorragend dosierbaren, fest zupackenden Bremse an der Front (die ihr eher biss-schwaches Hinterrad-Pendant in den Schatten stellt) kommt dem Langstreckenfahrer natürlich auch das vierfach verstellbare Windschild entgegen. Durch Drücken eines Entriegelungsknopfes unter der Instrumentenkonsole kann die Plexiglas-Scheibe justiert und arretiert werden – dazu benötigt man beide Hände, eine Bedienung während der Fahrt ist also höchstens mit aktiviertem Tempomat möglich. Der Helm bleibt jedoch bei jeder Höhe dem Fahrtwind ausgesetzt – die SX empfiehlt sich daher eher für Frischluft-Fetischisten.
Die beste Nachricht kommt zum Schluss: im Vergleich zum Z-Vormodell senkt Kawasaki Österreich den Preis der Ninja 1000SX beachtlich: um 15.599 Euro (für Grün oder Weiß) ist der Sporttourer ab März erhältlich, die abgebildete Lackierung in Grau/Grün/Schwarz kostet jedoch 200 Euro Aufpreis. Für eine maßgeschneiderte Zubehör-Lösung mit Koffern, Heizgriffen, Akrapovic-Schalldämpfer und so weiter stehen drei verschiedene Editionen (Performance, Tourer, Performance-Tourer) zur Auswahl, die rund 1500 bis 2800 Euro kosten. Unterm Strich hat Kawasaki den hauseigenen Sporttourer technisch auf Augenhöhe mit den Oberklasse-Reiseenduros gebracht und preislich attraktiv positioniert. Wir wollen den Bericht von der ersten Probefahrt jedoch nicht ohne einen Hinweis auf unsere kommende Dauertest-Saison schließen: da wird die Ninja 1000SX unseren Redaktionsfuhrpark erweitern und uns für rund acht Monate durch den Alltag begleiten. Mehr „Erfahrungen“ im Sattel der grünen Langstreckenrakete folgen daher in Kürze.