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Christoph Lentsch
Autor: Mag. (FH) Christoph Lentsch
christoph.lentsch@motorrad-magazin.at
8.6.2021

Yamaha Tracer 9 TestSchnell weg

Text: Peter Schönlaub

Im ersten Augenblick mag man an ein Facelift denken, immerhin liegt die Vorstellung der Tracer 900 erst sechs Jahre zurück. Doch falsch gedacht: Rahmen, Fahrwerk, Elektronik, Design – alles ist brandneu. Einzig der Motor fußt weiterhin auf einem bestehendem Konzept, wurde aber wie in der MT-09 tiefgreifend überarbeitet. 42 Kubikzentimeter mehr Hubraum machen die große Tracer nun endgültig zu einer 900er, heben die Leistung um vier auf 119 PS und das Drehmoment auf 93 Newtonmeter. Noch dazu liegt es um satte 1500 Umdrehungen früher an, kein Nachteil für einen Tourer.

Viel Gewicht wurde in wichtigen Bereichen gespart: Die neuen Felgen verloren gesamt einen Kilo, der nun schön unter dem Motor zentrierte Schalldämpfer sogar 1,4 Kilo. Auch der neu designte, steifere Alu-Rahmen leistete seinen Beitrag. Allerdings wurden nicht alle Einsparungen an den Fahrer weitergegeben; Yamaha investierte auch Gewicht, speziell im Bereich des Heckrahmens, der nun aus Stahl ausgeführt wurde. So konnte die Zuladung auf 193 Kilo erhöht werden, zudem ist nun erstmals die gleichzeitige Montage von Koffern und Topcase erlaubt. Unterm Strich gewinnt die Standard-Tracer immerhin einen Kilo.

Völlig neu aufgesetzt wurde die Elektronik. Schon beim Basismodell ist nun eine 6-Achsen-Sensorbox an Bord, die ein Kurven-ABS, eine Schräglagen-Traktionskontrolle sowie eine Wheelie- und Slide-Control ermöglicht. Ein Tempomat ist ebenfalls bereits beim Baismodell an Bord. Leider hat Yamaha für die Bedienung all diese Systeme komplizierte Wege eingeschlagen. Statt wie bei anderen Modellen die Funktionalitäten in schnell wählbaren Fahrmodi zu bündeln, muss hier alles separat eingestellt werden.

Für das Ansprechverhalten des Motors stehen vier Modi, für die Assistenzsysteme drei Modi und für das elektronische Fahrwerk der GT-Version sowie das ABS je zwei Modi zur Verfügung. Letzteres lässt sich zwischen Kurven-ABS und normalem ABS umschalten – im Straßenbetrieb eine ziemlich unsinnige Möglichkeit. Auch die Slide Control wäre in diesem Modell verzichtbar, lässt sich ihr volles Potenzial nur mit ausgeschalteter Traktionskontrolle und auskeilendem Hinterrad ausloten.

Die Technik-Verliebtheit der Ingenieure zeigt sich auch an einem anderen Detail: Die Griffheizung – ebenfalls serienmäßig an der GT – lässt sich in zehn Stufen (!) regeln. Nun könnte man meinen, dass mehr immer mehr ist. Leider führt aber die Vielzahl der Funktionen zu einer Überfrachtung des ohnehin nicht sehr geglückten Cockpits. Die Idee, Informationen auf zwei kleine TFT-Schirme zu verteilen, erweist sich in der Praxis auch deswegen als Nachteil, weil man den rechten Schirm mit groß dargestellten sekundären Informationen vergeudet, während der linke mit den primären Angaben überfrachtet ist. Zudem ist der Kontrast bei heller Sonneneinstrahlung auch verbesserungswürdig.

Seltsam bleibt auch, dass Yamaha bei so vielen Funktionen ausgerechnet auf Connectivity verzichtet; die Interaktion zwischen Smartphone und Fahrzeug setzt man in dieser Klasse mittlerweile voraus, wird hier aber nicht einmal gegen Aufpreis geboten.

Vieles besser macht Yamaha indes bei der Hardware. Schon die neuen (leicht gekürzten) Federelemente des Basismodells sind vorne und hinten in Vorspannung und Zugstufe einstellbar. Dass man für das Federbein eines Tourers kein Handrad vorsieht, ist allerdings ein weiterer Lapsus.

Das Kayaba-Fahrwerk ist zudem äußerst straff ausgelegt, was die Sportlichkeit forciert. Speziell auf guter Fahrbahn ist es erstaunlich, wie agil, direkt und souverän die Tracer 9 zu Werke geht. Hier profitiert man auch von einer sehr guten Nissin-Bremsanlage, die am Vorderrad von einer Radial-Bremspumpe angesteuert wird. Werden die Straßen schlechter, beginnt man allerdings ein wenig zu leiden, und auch das schnelle Fahren wird kompromittiert, da man über kurze Stöße gefühlsmäßig zu springen beginnt.

Weitaus komfortabler geht hier die GT zu Werke. Ihr ebenfalls von Kayaba zugeliefertes, semi-aktives elektronisches Fahrwerk bügelt vergleichsweise elegant über die Wellen, nur bei sehr harten Kanten spürt man auch hier die Stöße, allerdings deutlich entschärft. Das Fahrwerk regelt übrigens nur die Dämpfung und ist in zwei Stufen einstellbar; das komfortable Setup ist sehr konziliant, fürs sportliche Fahren allerdings zu beschwingt. Die Vorspannung muss man vorne und hinten allerdings auch an der GT einstellen, am Stoßdämpfer findet sich aber zumindest ein Handrad.

Sehr gut gelungen ist die Ergonomie, die man noch zusätzlich einstellen kann. Für Sattel, Lenker und Fußraster stehen jeweils zwei Positionen parat. Vor allem der Sattel hinterließ einen sehr komfortablen Eindruck, auch jener für den Sozius wurde verbeitert und dicker geschäumt. Der Sozius profitiert zudem von tiefer angesetzten Rastern und einem dementsprechend entspannteren Kniewinkel.

Als nicht ganz frei von Turbulenzen erwies sich die Scheibe; selbst in hoher Position stört sie das Sichtfeld zwar nicht, bringt aber auf der Autobahn ab etwa Fahrergröße 1,80 Meter Unruhe auf die Oberseite des Helms. Ein noch größerer, etwas breiterer Schild befindet sich aber im generell üppig bestückten Zubehörprogramm.

 

Als Punktlandung klassifiziert sich aber am Ende der Motor, der mit wunderbarer Abstimmung perfekt beide Einsatzzwecke abbilden kann: den Sport und das Touring. Wie geschmeidig der Motor ist, lässt sich daran ablesen, dass man im sechsten Gang mit 50 Stundenkilometer durch das Ortsgebiet cruisen kann. Umgekehrt baut er schönen Druck auf und lässt sich dank etwas verlängerten Übersetzungen im ersten und zweiten Gang auch im Stop-and-Go-Verkehr ohne Unartigkeiten bewegen. Dazu kommt eine schöne Soundkulisse, die für den Fahrer immer präsent, im Umfeld aber eher dezent bleibt.

Einzig die Sparsamkeit ist wohl keine ausgewiesene Stärke; um den WMTC-Verbrauch von fünf Litern zu erreichen, bedarf es einiger Zurückhaltung, was angesichts der tracerschen Fahrdynamik nicht ganz einfach ist. Wir beendeten die erste Testfahrt mit sechs Liter, manche gleich schnelle, aber hochtouriger fahrende Kollegen brachten es auf sieben. Immerhin: Reale Reichweiten von 250 Kilometer vor Reserve sollten machbar sein.

Unterm Strich: Viel Licht und auch ein wenig Schatten bei Yamahas traditionsreichem Crossover-Bike. Wie es sich im Vergleich zu den Klassenkollegen fährt, werden wir noch in diesem Frühjahr herausfinden.

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