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Honda CL500: Erster TestDer beste A2-Scrambler?
Die 500er-Klasse hat bei Honda eine lange Tradition und wird dementsprechend gut gepflegt, frisch gehalten und mit neuen Modellen erweitert. Nach dem Überraschungserfolg der CMX500 Rebel – ist seit Jahren der meistverkaufte Cruiser in Europa – legen die Japaner nun die CL500 nach. Der puristische, aber hübsche Scrambler soll eine Tradition fortsetzen, die bei Honda schon über 60 Jahre zurückreicht: 1962 kam die erste CL auf den Markt, damals eine 250er, die vornehmlich für Nordamerika gedacht war.
Die Neuauflage für 2023 basiert natürlich auf den bestehenden, in Thailand gebauten 500ern, speziell auf der Rebel. So finden wir auch in der CL jene Variante des Zweizylinders, die nicht ganz das erlaubte Leistungsmaximum in der A2-Klasse ausnützt (knapp 47 statt der möglichen 48 PS), dafür aber eine etwas fülligere Drehmomentkurve im unteren und mittleren Bereich aufweist. Bei der CL sorgt eine geradere, kürzere Führung der Ansaugluft sogar für ein noch direkteres Ansprechverhalten.
Die Beschleunigung legt gegenüber der Rebel dank eines einfachen Tricks zu: Das Kettenrad besitzt einen Zahn weniger, der Endantrieb ist also kürzer übersetzt. Dass der Topspeed dafür mit 154 Stundenkilometer etwas geringer ausfällt, wird man wohl verschmerzen – Highspeed und Autobahn liegen sicher nicht im Fokus dieses Bikes.
Von der Rebel 500 wurde auch der Hauptrahmen übernommen, der Heckrahmen ist aber wie die Stahlschwinge eine Neuentwicklung speziell für dieses Modell. Letztlich sind ja auch die Fahrwerkselemente und die Reifen eigenständig: eine 41er-Telegabel mit 150 Millimeter Federweg führt ein Scrambler-typisches 19-Zoll-Vorderrad, zwei Federbeine mit 145 Millimeter Federweg beherrschen ein 17-Zoll-Rad am Heck. Speichenräder gibt es leider nicht, dafür dünn gespeichte Alufelgen. Dunlop Traimax Mixtour sorgen für grobstolliges Auftreten.
LED-Scheinwerfer und das runde LC-Display (mit minimalem Informationsgehalt) werden genauso wie die Position des Zündschlosses an der linken Flanke von der Rebel übernommen, die großen, runden Blinker sind aber neu – und glimmen vorne als Positionsleuchten permanent mit; man kennt das auch von anderen aktuellen Honda-Bikes, etwa der Africa Twin.
Völlig anders als bei der Rebel ist letztlich die Sitzposition. Der lange, flache Sattel positioniert Fahrerin oder Fahrer zehn Zentimeter höher, auf immer noch niedrigen 790 Millimetern Sitzhöhe. Der Stahllenker ist leicht erhöht, die Fußraster im Offroad-Look sind angenehm mittig angeschraubt. Angenehm ist auch das Gesamtgewicht: mit 192 Kilo vollgetankt ist die CL500 nur um einen Kilo schwerer als die Rebel und um ein paar Kilo leichter als etwa die CB500X, die ja auch ein 19-Zoll-Vorderrad besitzt.
Leichtigkeit und Unkompliziertheit sind dann auch die beherrschenden Eindrücke beim Fahren. Der Motor ist nach wie vor ein kleines Meisterwerk und perfekt abgestimmt: vibrationsarm, ruckfrei, mit harmonischen Anschlüssen und bei Bedarf auch schöner Performance durch das Drehzahlband. Dazu gesellen sich ein sauber und leicht zu schaltendes Sechsganggetriebe und eine Kupplung, die dank Assist-Funktion extrem geringe Handkräfte benötigt, sich also ganz leicht ziehen lässt.
Abgerundet wird der Antrieb von bekannt niedrigen Verbrauchswerten: Die WMTC-Konsumation liegt bei 3,6 l/100 km, bei unserer teilweise forschen Testfahrt haben wir auch nicht mehr als 3,8 l/100 km verbraucht. So lassen sich wohl auch mit dem kleinen 12-Liter-Tank vernünftige Reichweiten erzielen.
Das Fahrwerk trägt ebenfalls zum freundlichen Charakter des Scramblers bei. Die Abstimmung wurde ganz bewusst auf der weichen Seite angesiedelt, man genießt also viel Fahrkomfort zum kleinen Nachteil, dass sich das Bike über welligem Terrain ein wenig aufschwingt – aber nie so, dass Schweißperlen auf der Stirn erscheinen oder es gar gefährlich wird. Wer ein wenig experimentieren mag, kann die Vorspannung an den beiden Federbeinen in fünf Stufen justieren. Bei den gut 90 Kilo ihres Autors war das Fahrverhalten in Stufe 4 und 5 noch harmonischer als in der standardmäßig eingestellten Stufe 2.
Die Sanftheit des Fahrwerks wirkt sich aber nicht negativ auf die Präzision aus: Man kann auch mit der CL500 zielgenau einlenken, das Bike bleibt angenehm stabil in Schräglage. Korrekturen sind am breiten Lenker und dank des geringen Gewichts jederzeit ganz einfach möglich. Auch wenn der Scrambler mit seinem 19-Zoll-Vorderrad nicht ganz so wieselflink einlenkt wie etwa die CB500F, so ist das Handling trotzdem einfach und unkompliziert.
Von der Sanftheit profitiert übrigens nicht nur der Komfort – auch bei gelegentlichen leichten Offroad-Etappen erweist sich diese Auslegung als großer Vorteil. Die CL500 meistert selbst ausgewaschene Schotterwege, und wenn man im Staub einmal ein Schlagloch oder eine kleine Kante übersehen hat, dann bügelt der kompakte Scrambler diese unangenehmen Erscheinungen erstaunlich souverän aus. Wer auf diesem Terrain ein wenig unsicher ist, der bekommt hier ein feines Einstiegsgerät, das mit niedriger Sitzhöhe und ebenso niedrigem Gewicht Schotterpassagen ihren Schrecken nimmt.
Souverän und dieser Klasse angemessen werken die Bremsen. Vorne und hinten je eine Scheibe (vorne im Vergleich zur Rebel auf 310 Millimeter vergrößert) hinterließen bei der ersten Testfahrt sowohl in der Verzögerungsleistung als auch in der Dosierbarkeit einen tadellosen Eindruck. Das bei Honda von anderen Modellen bekannte Emergency Braking Signal – automatisches Warnblinken bei starker Verzögerung – wird auch hier serienmäßig appliziert.
Lässt sich also gar nichts bekritteln an der Honda CL500? Doch, zwei Bereiche sind es. Zum einen könnte das LC-Display etwas kontrastreicher sein; selbst in der hellsten Stufe sind die Anzeigen bei starkem Sonnenlicht schlecht ablesbar; und zum anderen muss man sich bewusst sein, dass die Talente zum Soziustransport nur in geringem Maß vorhanden sind: Der Platz ist zu klein, die Fußraster sind zu hoch angebracht und die Federbeine zu weich. Selbst schlanke Beifahrerinnen oder Beifahrer bewirken schon ein starkes Einsinken des Hecks.
Gute Punkte sammelt die Honda CL500 aber letztlich wieder beim Individualisierungsprogramm. Neben vier Farben (Orange, Blau, Schwarz, Mattgrün) steht ein volles Zubehör-Sortiment bereit, mit nützlichen Dingen wie Textil-Satteltasche, Gepäckträger, Topcase, Handschützer und ästhetischen Komponenten wie etwa ein hoch gesetzter Kotflügel, Seitenabdeckung in Form einer Startnummerntafel, eine Scheinwerfermaske oder Federbein-Abdeckungen.
Unterm Strich: Die CL500 ist eine ebenso freundliche wie hübsche und unterhaltsame Erweiterung der Halbliter-Palette von Honda. Sie ist unkompliziert in Bedienung und Fahrverhalten, ist komfortabel, setzt auf einen erprobten und daher verlässlichen Antrieb und macht beim Fahren enorm viel Spaß – erst recht in dem ihr zugeschriebenen Terrain, also verwinkelten Nebenstraßen, gelegentlichen Schotteretappen und natürlich auch in der Stadt, wo die aufrechte Sitzposition – und die gut platzierten Rückspiegel! – für wertvolle Übersicht sorgen.
Mit all diesen Meriten ist die Honda CL500 natürlich eine exzellente Wahl für Aufsteiger in die A2-Klasse – aber auch für erfahrene Fahrerinnen und Fahrer, die sich der Spirale des Immer-Mehr, Immer-Stärker, Immer-Teurer entziehen wollen und ihr Heil in einem puristischen, ungekünstelten, erfreulich zu fahrenden Charmeur finden wollen.
Die Auslieferungen haben bereits begonnen, der Preis der Honda CL500 liegt in Österreich bei 7490 Euro, in Deutschland bei 6999 Euro inkl. Nebenkosten.