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Big Crossover VergleichTest 2025
Habt Ihr Euch schon einmal gefragt, wozu man eine Hirnhaut braucht? Die macht sich doch eigentlich nur mit der gleichnamigen Entzündung wichtig? Stimmt nicht: Insgesamt drei Hirnhäute sind dafür zuständig, dass unsere grauen Zellen geschützt und am richtigen Platz gehalten werden. Sie sind quasi die Aufhängung für unser Gehirn, und sorgen dafür, dass das Zerebrum nicht beim Bremsen an die Innenseite der Stirn gepresst wird und beim Beschleunigen an den Hinterkopf rammt.
Gute, beflissene Hirnhäute sind also durchaus von Vorteil, wenn man mit diesen beiden Crossover-Bikes unterwegs ist, speziell aber mit der Harley. Wenn man bei ihr nach dem Kurven-Exit den Drehgriff umlegt, dann werden vom Augapfel bis zum Ohrläppchen alle beweglichen Teile Richtung Heck gedrückt, man darf sich das ruhig so comicartig vorstellen wie es klingt. Gut, wenn die dritten Zähne festsitzen, sonst hätte man die auch noch am Gaumen kleben.
Crossover also. Mit diesem Begriff fangen manche von Euch wenig an und schreiben uns, es handle sich doch einfach um Sporttourer. So einfach ist es aber dann doch nicht, wie man anhand der Suzuki gut beweisen kann. Da gibt es nämlich einen klassischen Sporttourer im Programm, die GSX-S1000 GT – im Wesentlichen ein Naked Bike mit Verkleidung und Option auf ordentliche Gepäcksysteme. Was aber ist dann die höhere, aufrechtere GX? Ein Crossover, meinen wir.
Umgekehrt beschreitet Harley den Weg, ein bestehendes Adventurebike durch Umrüstung des Vorderrads auf 17 Zoll, reduzierte Federwege und eine für Gewichtserleichterung verschlankte Ausstattung straßenfit zu machen. Auch dieses Konzept können wir in der Crossover-Kategorie verorten, denn mit einem klassischen Sporttourer hat die Pan America ST so viel zu tun wie ein Säbelzahntiger im Streichelzoo.
Kurios: Obwohl die Gene der Suzuki aus einem Naked Bike und jene der Harley aus einem Adventurebike extrahiert wurden, ist das Ergebnis verblüffend deckungsgleich. Wir haben zwei hohe, aber nicht übertrieben aufragende Sportbikes, die ein wenig Windschutz bieten, ausreichend Platz für einen Passagier, die Option auf gescheite Seitenkoffer und die vor allem anderen jede Menge sportlichen Fahrspaß versprechen. Dafür bringen sie zwar völlig unterschiedliche Motorenkonzepte mit, die jedoch einander an einem Punkt treffen: 152 PS – exakt so viel leisten unsere beiden Probanden.
Unterschiedliche Zugänge, dasselbe Ziel: Wer trifft es besser?
Motor & Antrieb
Zwei wie Tag und Nacht. Auf den ersten Blick beschert uns die Suzuki einen kultivierten, cremigen Vierzylinder, während die Harley mit einem wild pochenden, am Stand ein wenig rumpelnden V2-Motor befeuert wird. Klarer Fall also für die Japanerin?
So leicht machen es uns die beiden nicht. Denn gerade der Vierzylinder, der aus einem verwichenen Superbike der Marke abstammt, neigt in gewissen Drehzahlen zu leichten Vibrationen, die man speziell in der rechten Fußraste und zum Teil im Lenker spürt. Nicht schlimm, aber wir wollen es erwähnt haben. Währenddessen wird der Revolution-Max-Motor der Harley immer kultivierter, je höher man ihn dreht. Verkehrte Welt?
Zumindest in der Cremigkeit wird der Suzuki-Motor dem Klischee eines Vierzylinders dann doch mehr als gerecht. Er hängt traumhaft schön am Gas, lässt sich wunderbar dosieren. Seine Elastizität beweist er in der simplen Tatsache, dass man im sechsten Gang mit den erlaubten 50 durchs Ortsgebiet cruisen und danach sauber, ruckfrei und erstaunlich munter nach oben beschleunigen kann. Auch eine Art Automatik, könnte man sagen.
Wird es jedoch sportlich interessant, dann kann man – auch das ein Vierzylinder-Klischee – die niedrigen Drehzahlen vergessen. Um mit der jagenden Meute mitzuhalten, muss die digitale Nadel zumindest über 7000 stehen, erst dann brutzelt das Steak. Die kleine Schattenseite: Bei so hohen Drehzahlen tritt auch eine hohe Motorbremswirkung auf, wenn man vom Gas geht. Eine sehr schnelle, saubere, flüssige Linie zu fahren, erfordert also Erfahrung, Können und auch fleißiges Werken am Schalthebel, was angesichts des superben Quickshifters eine leichtere Übung ist.
Die Harley tritt mit ihrem Zweizylinder ganz anders auf. Sie bietet schon Power ab niedrigsten Drehzahlen und ist jederzeit gerne bereit, viel davon bereit zu stellen. 127 Newtonmeter bei 6750 Umdrehungen sprechen eine klare Sprache: Das Öffnen des Gasgriffs nach der Kurve wird mit einem Zoom nach vorne beantwortet, der süchtig macht. Dabei ist der Punch durch eine sehr gute Abstimmung der elektronischen Drosselklappe minutiös kontrollierbar, aber wenn man dann das Handgelenk bis zum Anschlag dreht, eine Erfahrung der besonderen Art.
Weil man generell nicht so hohe Drehzahlen bemühen muss und auch aufgrund des V2-Charakters ist die Motorbremswirkung bei der Pan America geringer, man kann das mächtige Schiff flüssiger in die Kurve hineinlaufen lassen. Ihr Quickshifter kommt allerdings nicht an jenen der Suzuki heran, wirkt knochiger und neigt zu starken Schaltrucken, speziell beim Hinaufschalten in den unteren drei Gängen.
In puncto Performance herrscht dennoch Gleichstand. Ab Start gewinnt die Harley sofort ein paar Meter Vorsprung, den die Suzuki mit steigendem Tempo (und steigender Drehzahl) wieder aufholt. Kopf an Kopf also am Ende.
Beide Motoren leiden wie so viele andere großvolumige Verbrenner unter der Hitze; etwas mehr strahlt aber noch die Harley ab, bei gleißenden Temperaturen im Stop-and-Go muss man schon die Zähne zusammenbeißen. Dafür steigt sie wiederum besser aus, wenn es ums Nachtanken geht: Die bekannt durstige Suzuki genehmigt sich ein paar Zehntel mehr.
Unterm Strich: Hier regieren die persönlichen Vorlieben. Die Suzuki fährt sich im normalen Leben einfacher, weil sie geschmeidiger ist. Die Harley wiederum sprüht mit ihrem Punch aus dem Keller vor lauter Feuer und Euphorie, auch ist sie im Attackemodus konzilianter.
Fahrwerk & Fahrspaß
Schlägt hier die Stunde der Suzuki? Immerhin kommt sie serienmäßig mit einem formidablen, von uns mehrfach hochgelobten elektronischen Skyhook-Fahrwerk, während die Harley aus Einsparungsgründen konventionelle Federelemente verpasst bekam.
Tatsächlich ist die Spreizung des Suzuki-Fahrwerks eine Spur höher, aber da die Abstimmung an der Harley eine Punktlandung ist, kann sie sich gar nicht weit absetzen. Die Harley schafft es außerdem, ihre etwas längeren Federwege für überraschend guten Komfort zu nützen, ohne dass die Gabel beim Bremsen ungebührlich weit eintauchen würde. Am Ende waren sich beide Testfahrer auch einig, dass die Transparenz und das Feedback bei einem dermaßen gut abgestimmten konventionellen Fahrwerk noch eine Spur höher ist als bei einem elektronischen, sei es auch noch so gut wie an der Suzuki.
Was beide Modelle sehr gut können: präzise und leichtfüßig einlenken. Die Harley ist dabei sogar noch eine Spur agiler, fast supermotoartig, während die Suzuki dafür mehr Stabilität in schnellen Kurven bietet. Mit diesen Eigenschaften können beide das Vorurteil entkräften, große Bikes wären behäbig. Ganz im Gegenteil, Herrschaften!
Gut, aber nicht perfekt funktionieren bei beiden indes die Bremsen. Das gehobene sportliche Potenzial würde da wie dort noch eine Spur herzhafter zupackende, noch eine Spur besser dosierbare Anker vertragen.
Und beim Thema Reifen gibt es einen ganz klaren Sieger: Das sehr schlaue Team bei Suzuki hat uns die GX mit einem Bridgestone Battlax S23 hingestellt – also einem der momentan besten Hypersportreifen. Gegen dieses Maß an Grip und Vertrauen können die guten serienmäßigen Michelin Scorcher Sport an der Harley nichts ausrichten.
Hightech & Ausstattung
War es bislang ein Rennen Kopf an Kopf, in dem eher die persönlichen Vorlieben entschieden als die realen Unterschiede, so geht dieses Kapitel klar an die Suzuki. Nicht nur besitzt sie das elektronische Fahrwerk und den besseren Quickshifter, sondern auch das bei weitem überlegene Infotainmentsystem. Der von Bosch zugelieferte 6,5-Zoll-TFT-Bildschirm ist kristallklar und liefert gestochen scharfe Informationen in erwartbarer Fülle, die Bedienung ist vorbildlich.
Das Display der Harley ist zwar noch eine Spur größer (6,8 Zoll), aber die Lesbarkeit und vor allem Darstellung – Brillanz – ist verbesserungswürdig. Auch die Art und Weise, wie die Informationen dargereicht werden, könnte überdacht werden. Letztlich nervt auch die Blinkerbetätigung mit zu kleinem Hebel und keiner haptischen Bestätigung beim Ausschalten.
Tempomat, Heizgriffe, Fahrmodi, Connectivity, USB – all das ist auf beiden Bikes zu finden und in dieser Preisklasse auch erwartbar. Die um einen Hauch bessere Verarbeitung und Materialqualität im Detail führt aber unterm Strich zu einem klaren Punktesieg für Suzuki.
Reise & Komfort
Gut sitzt man auf beiden Bikes, beinmäßig eine Spur entspannter aber auf der Harley. Die sportlichen Gene der Suzuki münden in eine doch etwas engagiertere Sitzhaltung, vor allem, da die Fußrasten im Vergleich zur Harley eine Spur weiter hinten montiert sind.
Dafür punktet sie wiederum mit einem etwas besseren Fahrersitz – allerdings hatten wir den aufpreispflichtigen Premiumsitz verbaut. Die Harley ist viel weicher ausgelegt, doch auf langen Strecken ist der sehr gut geschäumte, etwas straffere Premiumsitz von Suzuki ein Vorteil.
Erstaunlich wenig Unterschiede treten bei den Soziusplätzen zutage. Beide sind sehr einladend und absolut langstreckentauglich. Ein Alzerl mehr Raum und Komfort bietet die Harley.
Die Suzuki schlägt wieder mit dem besseren Windschutz zurück. Wir hatten hier ja den Sportschild verbaut, der perfekt zum serienmäßig kleinen, dunklen Schild der Harley passt. Man muss beiden zugestehen, dass sie in Anbetracht ihrer Größe (oder eigentlich: Kleinheit) einen sehr guten Job machen: Die Oberkörper werden gut entlastet, der Kopf bleibt zwar im Wind, aber frei von Turbulenzen. Eine Spur besser schützt die Suzuki, deren Scheibe man überdies (mit Werkzeug) in drei Positionen befestigen kann.
Kleine Dinge im Alltag: Gute Sicht in den Spiegeln bieten beide, an der Harley stört allerdings der etwas zu kurze Seitenständer. Dafür haben sich die Designer auch des Bereichs unter der Sitzbank angenommen: Er wurde sorgsam verkleidet und mit einem gut nutzbaren, kleinen Staufach ausgestattet. Angenehm beim Reisen: Die Harley bietet mit größerem Tankvolumen und leicht geringerem Verbrauch rund 50 Kilometer mehr Reichweite. Außerdem gewähren die Amerikaner vier Jahre Garantie, dafür muss man wieder alle 8000 Kilometer zum Service – mit der Suzuki darf man getrost die halbe Distanz mehr abspulen.
Fazit
„So nah und doch so fern“, singt die Erste Allgemeine Verunsicherung. „So gleich und doch so anders“, könnten wir in einer passenden Abwandlung über diese beiden Bikes urteilen. In den Eckdaten erstaunlich ähnlich zeigen sie auf der Straße komplett unterschiedliche Charaktere, die wiederum von einer Eigenschaft geeint werden: Beides sind faszinierende Power-Crossover für sportliche Performance, die aber trotzdem im Alltag und auf Reisen beste Figuren machen.
Wer die Geschmeidigkeit eines Vierzylinders mag, dazu viel Souveränität und ein hohes Reifestadium im Finish und in den Details, der greift zur Suzuki. Wir haben das Bike in unserem Dauertest der vergangenen Saison auf Herz und Nieren geprüft und die Vielseitigkeit dieses Konzepts gelobt – daran hat sich nichts geändert. In diesem Vergleich ergänzend müssen wir den Blick auch noch auf das Preisschild richten: Die GSX-S1000 GX kostet um 3700 Euro weniger als die Pan America ST, bringt dafür aber schon das elektronische Fahrwerk mit.
Wer Harley will, muss also tiefer in die Tasche greifen. Dafür bekommt man einen der faszinierendsten V2-Motoren am Markt, gekonnt abgestimmt und mit richtig fettem Punch und ebensolchem Donnersound von unten. Keine Frage: Es ist dieser süße Macho-Wahnsinn gepaart mit dem wendigen, ebenfalls sauber abgestimmten Fahrwerk, der den Reiz der Pan America ST ausmacht. Dazu kommt noch eine komfortable Sitzposition, dank der man über einige kleine Lässlichkeiten an der Peripherie hinwegsieht.
Japanische Perfektion gegen amerikanische Lebensfreude? Zwei Klischees, die sich in diesem Fall bewahrheiten und die Wahl zur Qual machen. Kleiner Trost: Egal, wie man sich entscheidet, am Ende liegt man niemals falsch.