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Kawasaki Z900RS Café DauertestPaprika!
Der erste Eindruck gilt ja als prägend für die weitere Entwicklung menschlicher Beziehungen. Ganz anders ist das bei Motorrädern. Sie muss man fahren, bevor man sich ein endgültiges Urteil bildet. So erging es auch uns, als wir der grünen Cafe zum ersten Mal am Rande der Präsentation ihrer Schwester Z900RS begegnet sind. Es war viel zu früh am Morgen, das Thermometer neben dem Hoteleingang erinnerte an das Eis auf den katalanischen Bergstraßen und die noch warmlaufenden Motoren entließen weiße Rauchfähnchen in die Winterluft. In solchen Momenten schaut man lieber auf die Ladekontrolle seiner Heizjacke, als auf ein im Hintergrund geparktes Sondermodell.
Wir haben sehr viel schneller Freundschaft mit diesem unter einem Seventies-Look verborgenen, aber technisch absolut zeitgemäßem Motorrad geschlossen, als der erste Blick vermuten ließ. Die wahre Freude entwickelte sich im Frühling auf ostösterreichischem Alpenasphalt. „Moment, die Cafe hat ja eine Traktionskontrolle“, zählte anfangs zu den typischen Gedankenblitzen am Kurvenausgang, was uns – das geben wir gerne zu – den Gasgriff noch abrupter zum Anschlag drehen ließ als mit der im Jahr davor getesteten Z900. Die Kontrollleuchte in den verchromten Rundinstrumenten blinkt dabei kurz auf, aber der Motor zeigt kaum eine Reaktion auf die offenbar sehr harmonisch realisierte Leistungsbeschneidung. Genau so soll Traktionskontrolle sein: sicher, dezent, einstell- und abstellbar.
Weil in unseren Zwischenberichten öfter der Vergleich mit der Z900 bemüht wurde, erinnern wir an den doch signifikanten Preisunterschied: Die technisch besser ausgestattete Cafe kostet satte 38 Prozent mehr als die Basis-Z900. Es klingt nach verkehrter Welt, dass eine Retro-Version technisch ausgefeilter dasteht, als das aggressiver anmutende Pendant aus der Sportabteilung. Aber es ist gut möglich, dass Fahrer von Café-Racern heute schlicht über ein größeres Salär verfügen als die Kollegen mit den Knieschleifern...
Dieses Plus an Ausstattung machte sich gerade im Langstreckentest positiv bemerkbar. Dafür verantwortlich ist nicht nur die Traktionskontrolle, sondern vor allem die besseren und vielfältiger justierbaren Dämpfungselemente. Tatsächlich bleibt das Fahrwerk der Café auch nach einer durchgehenden Saison im Motorradmagazin-Test frei von Kritik. Mit nur 216 Kilo vollgetankt bietet sie auch für flotte Schräglagenwechsel ausreichend Leichtfüßigkeit. Dass Café-Racer keine Supermotoflitzer sind, ist klar und wird zudem mit einer sauberen Linie auch auf holprigem Untergrund in langgezogenen Kurven belohnt. Wenn man es in dieser Klasse unbedingt superhandlich haben will, setzt man sich besser auf die Yamaha XSR 900 Abarth. Allerdings ist dafür die Montage eines höheren Lenkers nötig, weil sonst die extreme Sitzposition schon nach 20 Kilometern die Lust auf die Weiterfahrt verhagelt (siehe Vergleichstest im Motorradmagazin 6/2018).
Beim Thema Komfort waren wir uns beim ersten Aufsitzen durchaus bewusst, dass es – nomen est omen – eine gewisse Verbeugung vor dem grundlegenden Design eines Café-Racers geben muss. Überraschenderweise hält man es auf dieser Kawasaki auch eine komplette Tankfüllung lang – also 300 Kilometer – gut aus. Im direkten Vergleich ist sie deutlich bequemer als beispielsweise die ebenfalls bei uns im Dauertest gefahrene Suzuki SV650X. Auch wenn man mit solchen Motorrädern eher solo unterwegs ist, sei erwähnt, dass man als Beifahrer auf der normalen Z900RS durch die dort weniger stark ausgeprägte Stufensitzbank länger durchhält. Grundsätzlich gilt aber, dass man ein gewisses Maß an Leidensfähigkeit mitbringen muss, wenn man diese besondere Optik will.
Detail am Rande: Die runde Bikiniverkleidung im Retro-Look hat eigentlich nichts mit den alten Z-Kawasakis zu tun, die ja alle splitternackig waren. Dergleichen fand man eher bei Ducati oder im damals noch sehr überschaubaren Zubehörhandel. Originalität hin oder her, die Verkleidung der Cafe ist vor allem ein Plus an Komfort bei höherem Tempo, womit sie sich klar vom Schwestermodell Z900RS abhebt. Ginge es um die reine Funktionalität, würde man heute eine derartige Scheibe anders formen und eine Unterspülung einbauen, um die Verwirbelungen zu reduzieren. Die Vorgaben des Oldstyle-Designs schließen das bei der Cafe-Kawa aber aus.
Versuchen wir ein Resümee. Dass wir an diesem Motorrad so wenig auszusetzen haben, setzt eine grundlegende Anfreundung mit der Auslegung dieser Klasse voraus und braucht auch die Erkenntnis, dass „Retro“ manchmal besser als „Original“ sein kann. Vor einem Jahr hatten wir zum Vergleich mit der Standard-Z900RS eine originale Z900 Baujahr 1973 zur Verfügung, was sehr hilfreich ist, wenn man auf der Suche nach dem Wahren, Echten und Schönen ist. Weil die Frage ist schon erlaubt, warum man sich einen modernen Nachbau kaufen soll, wenn es zu einem durchaus vergleichbaren Preis auch die mehr oder weniger gut restaurierten Originale aus den Siebzigern gibt.
Im Prinzip ist die Antwort ganz einfach: Wer als Aufbewahrungsort eine schöne Garage mit gut ausgestatteter Werkstatt hat und als Fahrziel 1000 entspannte Kilometer pro Jahr bei freundlicher Witterung anpeilt, kann sich auch den Oldtimer zulegen. Entspannt, weil ein Blick auf die Bremsanlage und die Dimensionierung von Rahmen, Gabel und Schwinge zeigen, dass Stabilität und Sicherheit nicht die großen Themen der 1970er-Jahre waren. Ganz zu schweigen von ABS und Traktionskontrolle. Werkstatt, weil die Synchronisierung der Vergaseranlage, die Einstellung von Zündung und Ventilen sowie die allgemeine Fehlersuche nach einer soliden Grundausstattung verlangen. Damit die alten Kisten einfach nur anspringen und dann einigermaßen rund laufen, müssen sich kundige Hände um sie bemühen. Schließlich kann ja auch nicht jeder eine Stradivari spielen.
Wenn das Bike nach fünf Monaten Winterpause in der Garage auf den ersten Druck anspringen und sofort so funktionieren soll wie am ersten Tag, wird man mit der Cafe sicher mehr Freude haben. Dazu bietet sie ein Maß an Fahrstabilität, Sicherheit und kultivierter Motorleistung, das man sich zu Zeiten ihres Vorbilds nicht einmal im Ansatz vorstellen konnte. Als dritte Möglichkeit, sozusagen in der besten aller Welten, kann man sich natürlich auch eine Alte zum Basteln für die Garage und eine Neue zum Fahren kaufen. Man gönnt sich ja sonst nichts...
ZUBEHÖR IM CHECK
Neu ist die Performance-Variante der Cafe. Das Zubehörset, bestehend aus Sturzpads, Tankpad und Akrapovic-Titan-Auspuff unterstreicht den sportlichen Anspruch der Cafe und kommt auf 1140 Euro. Ob man das ausgerechnet bei diesem bereits formvollendeten Modell noch ergänzen sollte, ist eine Geschmacksfrage. Für notwendig erachten wir es jedenfalls nicht.
SHORTCUT
Ans Herz gewachsen
- Unverwechselbarer Auftritt nicht nur vor dem Kaffeehaus
- Souverän-kultivierter Vierzylinder
- Für einen Café-Racer überdurchschnittlich komfortabel
Bitte nachbessern
- Klarer Fall: Verchromte Drahtspeichenfelgen wären perfekt
- Effektiverer Windschutz unter Beibehaltung der Retrooptik