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BMW S 1000 R 2021 TestFliegengewicht
Auf zwei Dinge schauen wir Motorradfahrer zuerst: Auf das Gesicht und auf die PS-Angabe. Während wir uns den Kommentaren auf die letzten Videos der gesichtsoperierten Yamaha-MT-Modelle nach zu urteilen eher wünschen, in ein bekanntes Gesicht zu blicken (ist es der Wunsch nach ewiger Jugend?), erwarten wir bei der PS-Zahl immer einen Zuwachs. Je sportlicher ein Modell, desto enttäuschter sind wir, wenn die Spitzenleistung unverändert blieb, vor allem dann, wenn der Motor im Superbike-Spender deutlich mehr leistet.
Aber macht es überhaupt Sinn, die Leistung eines unverkleideten Straßenmotorrades an die eines vollverkleideten Supersportlers möglichst anzugleichen? Modelle wie die Ducati Streetfighter V4 oder die MV Agusta Brutale 1000 RR mit jeweils 208 PS beantworten diese Frage: Die Fahrbarkeit leidet. Die Duc hat zwar wegen des größeren Hubraums um neun Newtonmeter mehr Drehmoment als die BMW, diese liegen aber erst bei 11.500 Touren an, die 116,5 Nm der Brutale erst bei 11.000. Das Maximum des 1000er Vierzylinders aus Bayern steht immerhin schon bei 9500 Touren an, bei 7000 durchbricht sie die 100-Newtonmeter-Marke.
BMW sah also keinen Grund, Zeit und Geld in ein Motortuning zu investieren und beschäftigte sich stattdessen mit Gewichtsoptimierung, der vielleicht höchsten Kunst im Motorradbau. Mit dem neuen, kompakteren Motor, dem neuen Flex-Frame-Chassis, Änderungen an der Auspuffanlage und weiteren Komponenten konnten insgesamt 6,5 Kilo eingespart werden – und das trotz Euro 5. Das Gewicht von 199 Kilo vollgetankt ist amtlich und findet sich im Zulassungsschein. Die von uns gefahrene M-Version mit Carbonfelgen ist um nochmal 4,8 Kilo leichter, kostet allerdings um zirka 5750 Euro mehr. Die Schmiedefelgen tun's auch, dann spart man sich immerhin 2471 Euro.
Bereift ist die M mit Pirelli Diablo Rosso III (demnächst wird der IV präsentiert), die Standardversion mit Dunlop Sportsmart 3. Letztere kommt nur in Rot, die Sport-Lackierung in Grau mit leuchtgelben Akzenten kostet 377 Euro, blau-weiß-rot gibt's nur mit dem M-Paket. Zum Grundpreis von 16.990 Euro (Österreich) bekommt man drei Fahrmodi, dynamische Traktionskontrolle und ABS Pro. Damit ist man bestens bedient, Testmotorräder von BMW sind aber niemals so bescheiden ausgestattet. In unserem Fall waren noch Heizgriffe, Tempomat, das elektronische Fahrwerk und sonst auch alles montiert.
Die Bedingungen waren nicht optimal, aus einer Präsentation im milden Süden wurde coronabedingt eine kurze Testfahrt im brüsken Bayern, die Straßen waren zudem oft verschmutzt, unsere Zurückhaltung groß. Trotzdem war die präzise, transparente Front der S 1000 R zu spüren, ihre hohe Fahrstabilität auf der Autobahn und in weiten Kurven, das hohe Vertrauen in die Linientreue und die brutalen Bremsen. Man kann die Elektronik extrem sportlich abstimmen, hohe Wheelies und steile Stoppies zulassen. Noch immer wäre die S 1000 R von allen Naked Bikes der höchsten Leistungsklasse das Motorrad der Wahl für den Einsatz auf der Rennstrecke.
Ihr Vorteil auf dem Rundkurs könnte ihr Nachteil auf der Straße sein. Sie wirkt etwas zu glatt, zu sauber, zu perfekt. Man könnte den Charakter eines V4, V2, CP4 oder Dreizylinders vermissen. Dazu kommt die nun wieder sehr brave, etwas gewöhnliche Maske. Doch während die Optik wie immer reine Geschmackssache ist, werden die fahrdynamischen Qualitäten jeden überzeugen. Die gleichmäßige Kraftentfaltung mit massig Druck von unten, das punktgenaue Anvisieren des Kurveneingangs, der millimetergenaue Eintritt in den Radius, die Rückmeldung, die Stabilität (die Schwinge wurde verlängert) und der explosive Antritt am Ausgang machen einfach Freude. Das Getriebe hat kurze, knackige Schaltwege, der Quickshifter funktioniert gut, braucht beim Runterschalten aber einen etwas festeren Tritt.
Was die S 1000 R im Umgang von Modellen die einer Super Duke oder MT-10 unterscheidet, ist, dass sie mehr mit dem ganzen Körper gefahren und kaum gedrückt wird. Diesbezüglich ähnelt sie der Streetfighter V4, die ebenfalls wie ein gestripptes Superbike wirkt. Das muss man mögen, manche wünschen sich von einem Naked Bike bestimmt eine aufrechtere Sitzposition und einen entspannteren Kniewinkel.
Besonderer Fokus lag diesmal auf einer sicht- und spürbaren qualitativen Aufwertung: beeindruckende Lenkerklemme, hochwertige Details (Plakette an der Schwinge), rundum saubere Verarbeitung und erstklassiger Gesamteindruck. Premium ist eben nicht nur ein schönes Wort in Marketing-Broschüren. Auch hier gilt: Mit der Standard-Version muss man sich nicht genieren. Und auch nicht mit den 165 PS, für die praktisch jedes Landstraßengeflecht zu eng ausfällt. Angesichts der homogenen Leistungskurve (die kW-Kurve ist fast eine Gerade) kann man außerdem verschmerzen, dass der Motor ohne Shift-Cam auskommen muss.
Stellt sich die Frage, ob man das M-Paket oder sonstige Extras unbedingt braucht. Unbedingt nicht, aber BMW hat es schon immer verstanden, Begehrlichkeiten zu wecken und wenn wir auf etwas nicht mehr verzichten wollen, dann auf das elektronische Fahrwerk DDC und den Schaltassistenten. Auch Heizgriffe sind auf einem Naked Bike nicht die schlechteste Investition, während man sich das Geld für den Tempomaten getrost sparen kann. Wer sich nicht entscheiden kann, dem stehen auch zwei Pakete zur Verfügung. Dynamic: Quickshifter, DDC, Fahrmodi Pro, Motorspoiler. Komfort: Heizgriffe, Tempomat, Keyless-Go, USB-Ladebuchse. Eine bessere S 1000 R wird man auf jeden Fall bekommen.
Grundpreis S 1000 R 2021 Österreich: 16.990 Euro
- M-Paket: 3295 Euro
- Lackierung Sport:377Euro
- Carbon-Paket: 1706 Euro
- Frästeile-Paket: 1118 Euro
- Dynamic-Paket: 1353 Euro (DDC, Fahrmodi Pro, Schaltassistent Pro, Motorspoiler)
- Komfort-Paket: 812 Euro (Keyless, Heizgriffe, USB-Anschluß, Tempomat)