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Yamaha MT-10 SP 2017 im TestSUPERBIKE-STRIPTEASE
Weil wir während unseres Dauertests vom konventionellen Kayaba-Fahrwerk der MT-10 extrem begeistert waren, bleibt angesichts der semi-aktiven Öhlins-Komponenten mit 43-Millimeter NIX-Gabel und TTX-36-EC-Federbein eine zentrale Frage: was in aller Welt soll bei der MT-10 SP in Sachen Straßenlage noch besser sein? Nach 400 Test-Kilometern bewahrheitet sich einmal mehr der Spruch: das Bessere ist des Guten Feind. Die MT-10 SP wetzt ebenfalls mit souveräner Präzision, grandiosen Fahrwerksrückmeldungen und haarsträubender Kurvengeschwindigkeit durch die Radien, punktet im Vergleich mit der Kayaba-Standard-Federung jedoch mit einem Alzerl höherer Stabilität beim Anbremsen und Einlenken. Lässt die Straßenqualität zu Wünschen übrig, passt sich das elektronisch gesteuerte, semi-aktive „Öhlins Smart EC“ in den beiden Automatik-Modi (A-1 und A-2) blitzschnell (Datenanalyse hundert Mal pro Sekunde) an die ruppigen Fahrbahnzustände an, adaptiert sich ans Tempo und die aktuelle Fahrsituation (wie zum Beispiel scharfes Anbremsen oder hartes Beschleunigen). Aber versuchen wir trotz aller Technologie-Begeisterung nüchtern zu bleiben: dramatisch groß ist der Performance-Gewinn zwischen dem ohnehin schon überdurchschnittlich gut abgestimmten Standard-Fahrwerk und dem schwedischen Öhlins-Gold (dessen Komponenten übrigens in Japan gefertigt werden) nicht. Wer mit der MT-10 regelmäßig auf der Rennstrecke unterwegs sein will, sollte auf jeden Fall die simpler per Knopfdruck einstellbare, vielseitigere SP-Version in Erwägung ziehen. Auf Landstraßen-Ausfahrten mit der 2700 günstigeren Standard-Version der MT-10 wird man das elektronische Öhlins Smart-EC dagegen kaum vermissen: allzu vernachlässigbar sind Performance- und Komfortgewinn durch die semi-aktiven Fahrwerksanpassungen während der Fahrt.
Trotz künstlicher Intelligenz besteht natürlich auch bei der MT-10 SP die Möglichkeit das Fahrwerk ohne semi-aktive Eingriffe manuell einzustellen. Dafür stehen die Programme M1 bis M3 zur Verfügung, in denen die Dämpfung an Front und Heck den eigenen Vorstellungen entsprechend angepasst werden kann – nur nicht mittels Schraubendreher-Klicks, sondern bequem per Knopfdruck im TFT-Menü.
Das elektronische Fahrwerk der SP-Version ist also neu, abgesehen davon bleibt die Faszination der MT-10 jedoch erfreulicherweise komplett unangetastet. Schon bei unserem umfangreichen Power-Naked-Vegleichstest 2016 war sich die Motorradmagazin-Redaktion einig wie selten zuvor: die MT-10 ist aktuell das kurzweiligste Motorrad im Streetfighter-Segment und schafft trotzdem den schwierigen Spagat zwischen radikalem Fahrspaß und erstaunlicher Universalität: auf Wunsch mutiert sie (z. B. in der nun erhältlichen Ausstattungsvariante „Tourer Edition“) ohne Weiteres zu einem probaten Langstrecken-Untersatz. Höchstens die Zwangsstopps an der Zapfsäule dämpfen die Reiselust im Sattel der MT-10: alle hundert Kilometer gönnt sie sich rund 6,5 Liter Benzin.
Die Verwandlung vom braven Dr. Jeckyll zum ungezügelten Mr. Hyde geht bei der MT-10 SP beinahe nahtlos vonstatten. Flugs per Lenkerwippe die TCS-Traktionskontrolle während der Fahrt per Knopfdruck aufs Minimum gezügelt – und Feuer frei! Mit mächtigem Grip am 190er-Pneu feuert die 210 Kilo leichte MT-10 SP wie im Zeitraffer von Ecke zu Ecke, das Vorderrad beginnt proportional zur zunehmenden Drehzahl zu schweben und der charismatische 998-Kubik-Vierzylinder brüllt seine markante Zündfolge durch den Titan-Schalldämpfer in die Prärie des südafrikanischen Hinterlandes. Wenn das aufsteigende Vorderrad und die folgende harte Landung Unwohlsein in der Magengrube beschert, aktiviert der Pilot Stufe Zwei der Antischlupfregelung und hält so ohne Mühe die steigende Front in Zaum. Auf die „goldene Mitte“ des TCS-Settings kann man beinahe blind vertrauen und sich dennoch jederzeit auf Wunsch wild austoben. Dank des nun serienmäßigen Schaltassistent repetiert man blitzschnell durchs hervorragende Sechsganggetriebe, fürs Herunterschalten bleibt dem Piloten jedoch auch bei der edlen SP-Version der Griff zum Kupplungshebel nicht erspart.
Schon ab 5000 Touren scheint die Yamaha vor Energie zu explodieren und fegt wild wie ein ausgewachsenes Unwetter durch das Winkelwerk. Kein Zweifel, ihre Superbike-DNA kann die MT-10 SP nicht verleugnen. Gibt man der Yamaha die Sporen, presst sie ihr Transformer-Gesicht mit LED-Lichtern gnadenlos vehement bis 245 Stundenkilometer in den Fahrtwind. Erst bei Tempo 230 verlässt die MT-10 SP merklich die Kraft und den Piloten meist der Mut, obwohl der Windschutz hinter der am Rahmen fixierten Lichtmaske für erstaunliche Ruhe um den Oberkörper sorgt.
Die drei Riding-Modes zur Justierung der Gasannahme wurden fürs Modelljahr 2017 auf „1 – 2 – 3“ (statt bisher „Standard – A – B“ ) umbenannt und auf sanftere Gasannahme getrimmt. Herrlich wie harmonisch die MT-10 SP in ziemlich allen Belangen abgestimmt ist. Vorbildlich neutral und unangestrengt steuert man die Japanerin durch allerlei Radien. Spielerisch und präzise wie ein Skalpell lässt sich das Handling-Wunder mit immenser Lenkpräzision von links nach rechts pfeffern und pariert dabei besonders Bodenwellen souverän. Aufstellmomente bei Kurven-Bremsmanövern sind der Nackten fremd. Klare Sache: Ein Ritt auf dem neuen MT-Flaggschiff ist ein emotionales Erlebnis der Sonderklasse - und alleine wegen der spektakulären und dennoch eleganten Lackierung in "Silver Blu Carbon" gehört die SP-Version der MT-10 garantiert zu den begehrtesten Motorrädern der kommenden Saison.